Kurier (Samstag)

Wenn Könner von Weltformat theatralis­che Pirouetten drehen

Kritik. „Der Wald“von Alexander Ostrowskij im Theater in der Josefstadt

- VON PETER JAROLIN

Es ist kein Wunder, dass sich nur wenige Theater an Alexander Ostrowskij­s 1871 uraufgefüh­rte Komödie „Der Wald“wagen. Denn um diese Komödie ohne Peinlichke­iten, aber mit Witz auf die Bühne zu bringen, bedarf es mindestens drei exzellente­r Schauspiel­er sowie eines Ensembles, das hier mithalten kann.

Traumtrio

Insofern hat das Theater in der Josefstadt auf das richtige Stück gesetzt, kann man doch künstleris­ch aus dem Vollen schöpfen. Denn mit Hausherr Herbert Föttinger als abgetakelt­er Provinzhel­dendarstel­ler Gennadij und Ex-Volksopern­direktor Robert Meyer als nicht minder erfolglose­r und ebenso bankrotter Provinzkom­ödiant Arkadij ist in diesem „Wald“ein komödianti­sches Traumduo zu erleben.

Eines, das sich die Pointen nur so zuwirft, das in seiben, nen verbalen Spiegelfec­htereien an die großen Charaktere eines Thomas Bernhard oder eines Samuel Beckett erinnert. Denn dem Theater sind beide verfallen, doch Geld brauchen sie auch. Dieses soll von Gennadijs Tante Raissa kommen, einer Witwe und nicht mehr ganz so reichen Gutsbesitz­erin, die noch einmal auf ein sexuelles Erweckungs­erlebnis wartet. Diese wird von der längst legendären Andrea Jonasson mit einer Grandezza, einer Größe, aber auch einer wissenden Begehrlich­keit gegedass es eine Freude ist.

Denn Begierden haben sie alle, die Protagonis­ten in diesem Theaterstü­ck über das Theater. Wobei vor allem Föttinger und Meyer – beide spielen Raissa eine Lüge nach der anderen vor – viel auch über das heutige Theater parlieren und ganz herrlich zwischen Tragik, Komik und bewusstem Pathos (immerhin sind ihre Figuren ja Provinzsch­auspieler) changieren. Da werden wunderbare theatralis­che Pirouetten gedreht mit sehr hohem Lachfaktor.

Traumensem­ble

Doch neben diesem Trio – es gibt noch viele amouröse und auch monetäre Nebenhandl­ungen – agiert ein Traumensem­ble. Etwa Claudius von Stolzmann als nicht allzu kluger Alexej, der dennoch Raissas Ehemann wird. Oder Marcello De Nardo als verschlage­ner, geschäftst­üchtiger Holzhändle­r, dessen Sohn Pjotr (Tobias Reinthalle­r) am Ende sein Glück bei Raissas armer Verwandter Axinja (Johanna Mahaffy) findet. Als saturierte Schranzen ergänzen Michael König und Robert Joseph Bartl gut. Ein Sonderlob gebührt Alexandra Krismer als Haushälter­in und Till Firit als Diener – beide sprangen bei der Premiere sehr kurzfristi­g für erkrankte Kollegen ein und wissen zu brillieren.

Eine Ansammlung fabelhafte­r Charaktere, die Regisseur Stephan Müller nach etwas verhaltene­m Beginn exzellent führt. Müller belässt die Handlung im Russland des 19. Jahrhunder­ts (Kostüme: Birgit Hutter); Sophie Lux (auch Video) hat ihm dafür ein verschiebb­ares Holzbrette­rbühnenbil­d gebaut.

Am Ende aber rezitieren Föttinger und Meyer ein Gedicht von Alexander Puschkin (auf Russisch!) über Tyrannei. Wir sind im Heute! Frenetisch­er Jubel und die Ehrenmitgl­iedschaft (siehe Seite 36) für Andrea Jonasson.

Seit 60 Jahren auf der Bühne: Andrea Jonasson als Raissa

★★★★ά

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