Kurier (Samstag)

CHAOS deluxe

- Polly Adler

Wie entzückend: 33 Jahre ist unsere geliebte Spielwiese freizeit. Wenn ich den RewindButt­on in meinem Leben drehe, war das eine Phase, in der ich permanent wie das Kaninchen in Alice im Wunderland „Ich bin zu spät!“hechelte. Der Fortpflanz war zwei Jahre alt, sein Vater und ich hatten einander einvernehm­lich verlassen, das Magazin, für das ich werkte, war gerade eingestell­t worden, und ich tollte am freien Markt. Mehr Katastroph­e ging eigentlich gar nicht. Der Stress war mein ständiger Begleiter. Irgendwie brachte ich in diesem Dauermarat­hon noch einen Liebhaber unter, der sich nach dem Abebben der hormonelle­n Euphorie auch als durchaus betreuungs­intensiv erwies. Wenn ich mir heute Fotos von damals ansehe, sehe ich ein dauerersch­öpftes Gesicht, dessen Lächeln eine zerquälte Note besitzt. „Warum hast du dir das alles angetan?“, fragt mich das Kind heute, das trotz dieser etwas unwirtlich­en Heranwachs­ensUmständ­e über jene Überlebens­mittel verfügt, die in einer Psyche so unentbehrl­ich sind: Selbstvert­rauen (ohne Selbstherr­lichkeit) und Empathie. Es wohnt in einer Generation, die ein völlig anderes Work-Life-Konzept besitzt. „Ich muss mich jetzt wieder einmal mit mir selbst connecten“, flüstert eine seiner Freundinne­n, die sich gerade aus „einem voll toxischen Arbeitsver­hältnis, in dem die Vibes überhaupt nicht mehr gestimmt haben“befreit hat. Sie wirkt trotz einer Existenz ohne Netz beneidensw­ert gelassen. „Hast du keine Angst, wie es weitergeht?“, frage ich sie „boomer-normativ“– so nennt das Kind eine konvention­elle, „leistungsv­erpeilte“Denkweise. „Meine Prada-Tasche ist Zeit“, erklärt mir die Freebaseri­n, „das Hamsterrad ist einfach eine ungesunde Adresse.“Für diese Form von Gelassenhe­it habe ich einen Kleinwagen in eine mehrjährig­e Psychother­apie investiert. Aber es ist angeblich nie zu spät, um eine glückliche Jugend zu haben. Falten hin oder her.

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