Es gibt noch viel zu wenig „Plagiatsjägerei“
Warum verteidigt ein FH-Lektor die Arbeit des ÖBB-Chefs? Replik I von Stefan Weber
Auf dem Deckblatt der Diplomarbeit von Andreas Matthä, FH Wien, 2002, findet sich eine von ihm unterzeichnete Versicherung: Er habe „andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt“. In meinem 63-seitigen Gutachten habe ich detailliert nachgewiesen, dass Andreas Matthä von mindestens sechs Quellen zum Teil absatzbis seitenweise plagiiert hat, ohne diese an irgendeiner Stelle seiner Diplomarbeit zu erwähnen.
Auch nicht im Literaturverzeichnis. Damit steht Matthäs Handeln im Widerspruch zu seiner unterfertigten Versicherung: Das war auch schon 2002 unerlaubt, und das war schon 1960 so.
Einmal handelt es sich um ein Skriptum aus dem Wintersemester 1998/’99 eines Thomas Wällisch, das bis heute online ist. Dieses hat Matthä seitenweise geplündert. Die Textforensik spricht eine eindeutige Sprache, weil Matthä Kommafehler und Typos von Wällisch unredigiert mit übernommen hat. Man muss nur genau hinschauen.
Wenn nun FH-Lektor Schellmann – aus welchen Gründen auch immer – diese Tatsachen leugnet oder auch nur relativiert, befindet er sich auf einer Linie mit Coronaleugnern und Querdenkern. Wir können in der Wissenschaft nur von Evidenz ausgehen. Alles andere ist Hokuspokus. Warum macht der FH-Mitarbeiter das (im KURIER-Gastkommentar am 20. 9., Anm.)?
Sehen wir uns seine Argumente an. „Herr Weber gibt in seinem Gutachten nicht das Literaturverzeichnis des Kandidaten bekannt […].“Nun, das kann Herr Schellmann ja selber einsehen, und das hätte er vor dem Verfassen seines Kommentars auch tun müssen. Mir liegt es vor: Die abgekupferte Literatur wird dort nicht angeführt. Schellmann weiter: „[…] samt den Schaubildern, die sicher keine originären Schöpfungen der Autoren waren, weil zu dem Thema Hunderte Publikationen in den USA auch ins deutsche Schrifttum eingingen.“Natürlich gibt es diese Schaubilder xfach, aber das ist ja gerade der Punkt: Im Detail
gibt es sie so nur in der plagiierten Quelle Wällisch. Schellmann weiß offenbar selbst gar nicht, wie man ein Plagiat erkennt.
„Wenn im Literaturverzeichnis die einschlägigen Werke mit Schaubildern angeführt waren, dann hat der Kandidat damaliger Praxis (2001) auf den FHs entsprochen.“
Die FH Wien müsste sich nun eigentlich rasch von ihrem Lektor distanzieren, denn er schreibt nichts anderes, als dass schamloses seitenweises Plagiieren aus dem Internet vor 22 Jahren der Praxis der Fachhochschulen entsprochen habe.
Es wäre interessant, die 70 Masterarbeiten einzusehen, die Herr Schellmann laut eigener Angabe erstbegutachtet hat. Vielleicht schickt er sie mir im Sinne der wissenschaftlichen Redlichkeit zur Überprüfung ex post. Ich wage die Hypothese, dass ich vieles entdecken würde.
Die Fachhochschulen in Österreich wollen Doktoratsstudien anbieten. Herr Schellmann katapultiert sie mit seiner Argumentation um zwanzig Jahre zurück.
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Stefan Weber ist an der Uni Wien habilitierter Kommunikationswissenschaftler und Plagiatsgutachter.