Märtyrertode im Kaffeehaus
Kritik. Georg Friedrich Händels Oratorium „Theodora“in der Regie von Stefan Herheim in der Halle E des Museumsquartiers – eine etwas mühsame Angelegenheit
Drei! Auf nur drei Aufführungen brachte es Georg Friedrich Händels „Theodora“im Jahr 1750 am Londoner Covent Garden Opera House. Dann verschwand das Werk in der Versenkung. Ein kapitaler Flop. Inzwischen jedoch wird das Stück (Libretto: Thomas Morell) immer wieder auf seine szenische Tauglichkeit hin abgeklopft, jedoch meist mit überschaubarem Erfolg.
Für das MusikTheater an der Wien hat sich nun Intendant Stefan Herheim in der Halle E des Museumsquartiers an diesen kruden Stoff gewagt. Zu einer Renaissance von „Theodora“dürfte aber auch seine Interpretation nicht führen. Denn dafür fehlt es dem Ganzen inhaltlich an Substanz. In musikalischer Hinsicht hat Händel ebenfalls trotz Bravourarien viel Besseres abgeliefert.
Leerläufe
Worum geht es? Eigentlich um nicht viel. Prinzessin Theodora ist in frühchristlicher Zeit von den Römern zum Christentum übergetreten und weigert sich, Gott Jupiter ein Opfer darzubringen. Gleiches gilt auch für den Theodora liebenden Didymus. Auf die Weigerung der Jupiter-Anbetung steht allerdings die Todesstrafe. Am Ende stirbt das Liebespaar nach vielen Klagen und Gottesanrufungen den gemeinsamen Märtyrertod. Das allerdings ist dann handlungstechnisch doch ein bisschen dünn für eine Nettospielzeit von dreieinhalb Stunden, obwohl man an der Wien bereits Kürzungen vorgenommen hat.
Was also tun mit dieser religiösen Kontemplation, in der es noch drei weitere Rollen (den freundlichen Septimus, die ebenfalls den Christen gewogene Irene und den bösen Römer Valens) sowie einen vor allem kommentierenden, nur selten in die Aktion eingreifenden Chor gibt?
Touristen
Stefan Herheim hat sich dafür entschieden, das NichtGeschehen ins Wiener Café Central zu verlegen. Theodora ist hier Kellnerin ebenso wie Didymus, Septimus und Irene; Valens ist der Männer begrapschende Chefkellner. Die Mitglieder des gewohnt großartigen Arnold Schoenberg Chors sind bunt gewandete Touristen (Kostüme: Gesine Völlm), die Kaffee trinken, Zeitung lesen, Torten essen oder sich unterhalten. In der großen Bekehrungsszene stehen sie – wie auch die Hauptprotagonisten – in weißer Unterwäsche da, dann darf die Kleidung wieder angelegt werden.
Billardtisch
Ein Entkommen aus diesem Café Central, das Silke Bauer sehr schön und detailverliebt auf die Bühne gestellt hat, gibt es übrigens für niemanden. Zwischen Kaffeehaustischen, Stühlen, Tortenvitrinen und einem Billardtisch spielt sich alles ab. Tag und Nacht vergehen. Der Billardtisch wiederum ist ein Gefängnis für Theodora, auf diesem liegt sie (ebenfalls in weißer Unterwäsche) und – ja, genau – ruft Gott an. Immerhin gibt es ein ganz witziges Fechtduell mit Queues zwischen Didymus und Valens. Am Ende steht nicht der Tod, sondern die fristlose Entlassung der beiden Aufmüpfigen, die in Privatkleidung getrennt auf die Wiener Herrengasse spazieren. Das Café versinkt allmählich; ein schwarzer Todesengel mit weißen Flügeln steht auf dem Dach. Das Publikum dankte dem Leading Team mit freundlichem Applaus.
Jubel hingegen für die musikalische Seite. Allen voran für Sopranistin Jacquelyn Wagner als betörend singende und spielende Theodora und für den atemberaubenden Countertenor Christopher Lowrey als Didymus, der alle (gefürchteten) Höhen mit Bravour bewältigt. Auch die Mezzosopranistin Julie Boulianne und der Tenor David Portillo als Septimus wurden zurecht gefeiert. Nur Bassbariton Evan Hughes als Valens kann bei dieser Stimmakrobatik nicht ganz mithalten.
Seitenwechsel
Am Pult des soliden, trocken klingenden La Folia Barockorchester gab Countertenor Bejun Mehta sein Debüt als Dirigent. Man hätte ihn auch gern auf der Bühne erlebt. KURIER-Wertung: āāāāā