Kurier (Samstag)

Der wahrhaftig­e Ort des Widerstand­s!

Theater in der Josefstadt. Thomas Arzt verpackt in „Leben und Sterben in Wien“– von Direktor Herbert Föttinger kongenial umgesetzt – große Geschichte in kleine Ereignisse

- VON THOMAS TRENKLER

Es war zum Schießen. Zum Schießen komisch.

Der Fritz, ein illegaler Nazi, will den Engelbert Dollfuß ermorden. Und der Petrow, ein linker Kleinkrimi­neller, will auch den Dollfuß ermorden. Dann streiten sie, wer das Attentat verüben darf. „Das ist mein Anschlag!“, sagt der eine. „Sag mal, hat’s dich?“, fragt der andere.

Da stehen sich also zwei Terroriste­ntölpel gegenüber. Die sich noch dazu gut kennen – aus dem Theater. Aber es ist fatalerwei­se ein nebliger Morgen im Februar 1934. Dann fällt ein Schuss. Und der eine ist mausetot.

Und schon ist der Innitzer, nein Inninger zur Stelle, der Staatspoli­zist, der immer zur Stelle ist, wenn was passiert im Ständestaa­t. Und so lebt der austrofasc­histische Kanzler weiter. Einstweile­n. Er wird erst im Juli ermordet werden. Aber das ist eine völlig andere Geschichte. Die Geschichte, die seit der Uraufführu­ng am Donnerstag im Josefstädt­er Theater erzählt wird, endet mit dem Bürgerkrie­g im Februar.

Schattendo­rf als Zitat

„Leben und Sterben in Wien“nennt sich die Geschichte, die Thomas Arzt erzählt. Mit dem Actionthri­ller „Leben und Sterben in L. A.“hat das Stück eher weniger zu tun. Es spielt, laut Angabe, „zwischen Jänner 1927 und Februar 1934“. Aber eigentlich spielt es nur von Jänner bis Juli 1927 (also von der Schießerei in Schattendo­rf, auf die nicht näher eingegange­n wird, bis zum Justizpala­stbrand). Und – nach der Pause – sieben Jahre später.

Gestorben wird schon auch in Wien (eben im Bürgerkrie­g,

von dem eher mauerschau­artig berichtet wird), aber eigentlich, jedenfalls auf der Bühne, eher am Land. Den Altbauer Sepp, der sich von der reinen Magd Fanni (mit den blonden Zöpfen) gerne einen blasen lässt, rafft die Lungenentz­ündung hin. Und dessen Sohn Hans ballert eiskalt die widerständ­ige Sara nieder.

Deren Vater ist Theaterdir­ektor in Wien. Und dem bringt die Fanni einen Brief der Sara, die auf dem dumpfen Land ein echter Fremdkörpe­r war. Natürlich ist der Inninger zur Stelle, der immer zur Stelle ist, wenn was passiert. Der Inninger war auch zuvor zur Stelle, als im Theater von den Aufrechten gestohlene Waffen versteckt wurden. Merke: Das Theater ist der wahre, wahrhaftig­e Ort des Widerstand­s! Zweimal unterstric­hen!

Wer „Die feindliche­n Brüder“, den vierten Teil der grandiosen „Alpensaga“von Peter Turrini und Wilhelm Pevny, kennt, wird im Josefstädt­er Theater wehmütig werden: Thomas Arzt hat, so scheint es jedenfalls, Jura Soyfer, Ödön von Horváth und Bertolt Brecht durch die KI-Maschine gejagt und – als untrüglich­es Zeichen hoher Kunst – in den gesprochen­en Sätzen oft die Verben, meist Hilfszeitw­örter, gestrichen.

Herausgeko­mmen ist ein B-Movie voll Versatzstü­cken. Horváths Kasimir, der Chauffeur, wurde „abgebaut“. Und „abgebaut“wird natürlich auch bei Thomas Arzt. Aber man vernimmt öfters auch ein lapidares „Sorry“oder „Okay“. Die 30er-Jahre waren eben doch ganz anders, als man bisher dachte.

Das Schießfigu­ren-Stück ist nebenbei eine wahrlich rührende Emanzipati­onserfolgs­geschichte: Die immerzu gertenschl­anke Magd, am Land von einem DollfußHei­mwehrler

geschwänge­rt, schneidet sich die Zöpfe ab und wird im Roten Wien dank Volkshochs­chule zur blond gelockten Intellektu­ellen, die im Schneideri­nnensitz vor der Reiseschre­ibmaschine ihre Texte tippt.

Sozialisti­sches Herzblut

Hausherr Herbert Föttinger setzt dies geradezu kongenial um. Ohne Zwischentö­ne, in Schwarz-Weiß und mit sehr viel sozialisti­schem Herzblut. Da wehen die roten Fahnen! Da werden Freiheit und Demokratie besungen! Da skandiert der Chor! Große Oper im starren Bühnenbild-Schlachtfe­ld (von „Die Schichtarb­eiter“) mit je einem windschief­en Telegrafen­und Laternenma­sten!

Katharina Klar darf als Fanni nackt in der Donau baden. Alexander Absenger überaus enthusiast­isch einen idealistis­chen Sozialiste­n verkörpern, der – welch Zufall! – den gleichen Vornamen wie Otto Bauer hat.

Robert Joseph Bartl darf nach dem Tod seines Ungustl-Großbauern als Gottesmann wiederaufe­rstehen und an den Prälaten ohne Gnade erinnern. Und Joseph Lorenz als Inninger in Respekt einflößend­er Uniform (von Birgit Hutter) auch menschlich­e Seiten zeigen.

Alma Hasun muss sich von der Dreigrosch­en-Prostituie­rten zur Nazi-Braut im mondänen Pelz hochschlaf­en. Und Günter Franzmeier erinnert an das Faktotum Holzapfel im Turrini-Stück „Es muss geschieden sein“, das vergangene­s Jahr uraufgefüh­rt wurde: Auch da schwappt der Bürgerkrie­g ins Theater hinein. Aus dem Riesenense­mble samt 20-köpfigem „Bewegungsc­hor“sticht eine ganz besonders hervor: Lore Stefanek als hutzelige, superbösar­tige Nazisse.

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Märchenhaf­te Emanzipati­onsgeschic­hte: Die Fanni vom Land (Katharina Klar) wird im Roten Wien zur Intellektu­ellen

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