„Die Josefstadt gefährdet meine Gesundheit“
Herbert Föttinger. ... weil er sie so liebt, sagt der Direktor des Theaters. Ein Interview über Schreien und Schmerz auf der Bühne, Julian Pölsler, den Demokratie-Appell an die ÖVP-Anhänger und seinen Abschied
Der Direktor ist schon voll in der Emotion, bevor das Interview noch begonnen hat. Man spricht über respektlose Kritiken, theatrale FaschismusWarnung und die aktuelle Übergriffsdebatte am Theater. Mittendrin schalten wir auf offiziell um ...
KURIER: ... Aber Sie sind halt ein gestandenes Mannsbild mit lauter Stimme. Das ist doch ganz etwas anderes, allein von der Physiognomie her, als eine junge Frau, die direkt aus der Schauspielschule kommt. Mit Ihnen legt sich keiner dreimal an, aber die junge Frau wird gezielt fertiggemacht.
Herbert Föttinger: Das stimmt natürlich. Ich habe mir nie etwas gefallen lassen. Aber die Notwendigkeit, sich zu behaupten, kam erst mit Wien. In Hildesheim war das kein Thema, da sagte der Regisseur, wie gut wir waren, und die Presse schrieb, dass wir wunderbar waren, und alle waren zufrieden – aber ich fand’s schlecht. Die Frage für einen Schauspieler ist aber: Wie komme ich aus Hildesheim raus? Dann kommst du in eine Stadt, wo der künstlerische, der Qualitätsdruck ein ganz anderer ist.
Aber der muss doch nicht über Schmerz funktionieren!
Wenn mir jemand noch so lieb sagt, das ist nicht gut, du lieferst das nicht, dann gehe ich mit Schmerzen nach Hause, mit dem Gefühl, ich kann es nicht. Das sind Schmerzen, die kann man sich gar nicht vorstellen! Karlheinz Hackl war ein wunderbarer Regisseur, trotzdem hatte ich immer Angst. Aber ich hatte keine Angst vor ihm, sondern Angst vor mir. Versagensangst, wenn man’s so will.
Kann man in der Kultur nur über Schmerz zu Höchstleistungen kommen?
Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Schauen Sie: Ein Spitzensportler trainiert auch so intensiv, das geht nicht ohne Schmerzen. Das heißt nicht, dass man übergriffig sein darf, gar nicht! Wenn jemand fertiggemacht wird, dann kämpft einer gegen einen anderen, das ist Scheiße. Aber gemeinsam für etwas kämpfen? Unbedingt!
Die Frage ist, mit welchen
Mitteln.
Absolut. Aber wenn man spürt, dass man zusammen für eine Sache brennt, dann spornt man sich gegenseitig an. Als Regisseur überschreite ich ja auch Grenzen – in mir! Ich gebe etwas preis, ich lege meine Seele hin. Das ist ein intimer Prozess. Ich will Machtmissbrauch überhaupt nicht verteidigen, der darf nicht sein! Aber der Regisseur ist dazu da, um den Schauspieler dazu anzuspornen, seine Komfortzone zu verlassen und schauspielerische Höchstleistungen zu erbringen. Das nervt ihn mitunter genau so wie den Fußballspieler, den der Trainer noch zehn Runden laufen lässt.
Wie ist das, wenn etwa Julian Pölsler in den Kammerspielen inszeniert? Sitzt da jemand dabei und sagt, stopp, das geht zu weit?
Es würde jemand sagen, aber zu so einer Situation kam es nicht.
Weil sie sich fürchten?
Nein! Pölsler ist ein Filmregisseur, der sagt: Steh da ein paar Zentimeter weiter drüben. Das Kleinteilige war das Anstrengendste an seinen Arbeiten bei uns.
Aber er selbst sagte, dass er seine Arbeitsweise ändern müsse.
Das ist ja auch in Ordnung so. Aber ich bin davon überzeugt, dass er die Filmregie meinte, nicht seine Theaterarbeit. Das ist in dem Fall wirklich etwas ganz anderes. Wenn es etwas zu klären gibt, dann muss man das auch tun.
Im Fernsehen sagten Betroffene, es gibt viel zu klären.
Die nächste Regie bei uns, die mit Ferdinand von Schirach abgesprochen war, wird er nicht machen. Wir haben uns einvernehmlich gelöst.
Jetzt bestimmt diese Debatte, was intern schiefläuft, gerade das Bild von Kultur in der Öffentlichkeit. Klingen da Warnungen vor dem wieder aufkeimenden Faschismus von der Bühne herab nicht hohl, wenn man selbst so miteinander umgeht?
Man sollte von diesen Beispielen nicht auf alle Regisseure und Schauspieler verallgemeinern! Es ist doch auch nicht wegen Sebastian Kurz die ganze ÖVP-Klientel genau so. Das so zu sehen wäre ja fatal!
Apropos: Wenn man im Theater vor dem Faschismus warnt, predigt man da nicht ohnehin nur zu den Bekehrten? Glauben Sie, viele Menschen im Josefstadt-Publikum müssen vor den Verlockungen des Rechtspopulismus bewahrt werden?
Wenn man das so sieht, stellt man doch das Theater im Ganzen infrage. Da erreicht man selten das Publikum, das man gern erreichen würde. Aber mit „Leben und Sterben in Wien“erreiche ich hundertprozentig das richtige Publikum: Da sitzen sehr viele ÖVP-Wähler, und die müssen einfach wissen, was 1933 passiert ist. 1933 hat Herr Dollfuß mit einem Staatsstreich das Parlament aufgelöst. Und diese Partei, die das gemacht hat, die Christlichsozialen, stellen im Moment den Bundeskanzler. Es ist ein Appell gerade an die bürgerlichen Wählerinnen und Wähler, die da drinnen sitzen, wie zerbrechlich das Pflänzchen Demokratie ist. Das haben wir 1933 erlebt. Und vielleicht erleben wir das erneut, denn die Demokratien sind wieder gefährdet.
Aber es gibt doch viele ÖVPWähler, die die FPÖ ablehnen, neben denen, die sagen: Probier ma’s wieder.
Es gibt in Österreich eine Sehnsucht dem starken Mann. Das zeigen viele Umfragen. Europaweit gibt es den Hang zum Rechtspopulismus, zur autoritäreren Demokratie. Das sieht man bei Orban, und hoffentlich nicht bald in Österreich. Da ist es doch legitim zu sagen: Lernen wir etwas aus unserer Geschichte!
Wenn es ab Herbst eine blauschwarze Regierung geben sollte: Was heißt das für Ihre beiden letzten Jahre hier in der Josefstadt?
Ich habe mich nie zurückgehalten und würde die Dinge anprangern.
Vor Herrn Kickl, den Sie ins Theater eingeladen haben?
Auch, aber was mich eher traurig macht, ist, dass Herr Nehammer nicht kommt. Und Michael Ludwig nicht kommt. Ich finde, es gibt keinen wichtigeren Termin als „Leben und Sterben in Wien“.
Hören Sie wirklich in zwei Jahren auf?
Ich bin die personifizierte Josefstadt. Ich liebe dieses Haus. Aber ich bin dann 65. Ich habe das Meinige getan. Es ist so anstrengend, mit der Leidenschaft, auch mit diesem Kraftaufwand, mit dem ich es gemacht habe. Ich bin ein Berserker, ich habe mich aufgerieben für dieses Haus. Ich dachte immer, das spielt sich ein. Nichts hat sich eingespielt! Die Josefstadt gefährdet meine Gesundheit. Weil
ich sie so liebe. Meine Batterien sind irgendwann leer. Ich wünsche mir einen super Nachfolger und das Beste für dieses Haus. Ich bin jahrelang mit 160 gefahren. Aber ich will nicht am Schluss gegen eine Wand fahren.