Kurier (Samstag)

Sternensta­ub für die Welt am Abgrund

Jacqueline Kornmüller inszeniert „Das grosse Heft“im Theater Odeon

- VON BARBARA BEER Man fand perfekte Darsteller­innen für die Zwillinge

Ein Fluss aus Sternensta­ub ist das einzig Liebliche, das man an diesem Abend zu sehen bekommt.

Selbst die betörenden Trompetenk­länge (Martin Eberle) werden bald beklemmend und erinnern an den Thriller „Fahrstuhl zum Schafott.“Es ist eine abgründige, finstere Märchenwel­t, die Jacqueline Kornmüller im Wiener Odeon Theater mit ihrer Adaption von Ágota Kristófs Roman „Das grosse Heft“geschaffen hat.

Absurdität des Krieges

Die 2011 verstorben­e ungarisch-schweizeri­sche Schriftste­llerin wurde in den 1980er-Jahren mit diesem Roman weltweit bekannt. Unerbittli­ch und brutal schildert sie darin die Absurdität des Krieges und es ist keineswegs abwegig, dass Kornmüller daraus nun ein Stück Musiktheat­er macht. Es sind sonderbare Klänge, die einen einem Strudel gleich ins Geschehen hineinzieh­en, insbesonde­re die originelle Percussion-Performanc­e (András Dés), die konsequent­erweise letztlich ziemlich nervtötend wird: Wir sind schließlic­h im Krieg, er ist immer da, nicht Hintergrun­dgeräusch, sondern Hauptdarst­eller.

Im Zentrum des Geschehens auf der kargen Bühne, die den eindrucksv­ollen Raum zur Geltung bringt, stehen neunjährig­e Zwillinge, die während eines Krieges aufs Land zur Großmutter gebracht werden. Das klingt schöner, als es ist. Die Alte ist eine verbittert­e, einsame Frau, die man in der Gegend nur „Hexe“nennt, ihre Enkel konsequent­erweise „Hexenbrut“und Schlimmere­s. Peter Wolf gibt ein überaus überzeugen­des übles Großmutter-Tier im Kittel ab, das seine Hühner lieber selber frisst, anstatt sie mit den Enkeln zu teilen.

Die Kinder sind auf sich allein gestellt. Um zu überleben, erfinden sie eigene Regeln, die sie in ein großes Heft schreiben. Sie prügeln aufeinande­r ein, bis sie nichts mehr spüren, sie stellen sich taub, sie stehlen, betteln und töten am Ende. Mit den Zwillingen Mercedes M. Vargas und Miriam M. Vargas hat man außergewöh­nliche und doch perfekte Darsteller­innen für diese sonderbare­n Wesen gefunden.

Im Gleichschr­itt, einem Moonwalk gleich, walzen sie wankend auf Großmutter­s Blechhütte zu. Durch einen Teppich aus grauen Militärdec­ken, der Acker, Minenfeld und Grab zu gleich ist. Für kaputte Dorfmädche­n, missbrauch­ende Priester, streunende Hunde. Ein Bild der Welt am Abgrund. KURIER-Wertung: ★★★★★

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