Kurier (Samstag)

Die FDP bringt sich selbst zu Fall – wieder einmal

Die FDP ist im historisch­en Umfragetie­f. Lernfähig ist die Partei dennoch nicht

- VON CAROLINE FERSTL FDP-Chef Christian Lindner: „Wir können nicht weitermach­en wie bisher“

Es wirkt wie ein Déjà-vu – oder wie mehrere: Umfragewer­te von vier bis fünf Prozent, Unruhe vor dem Parteitag. Deswegen schnell ein 12Punkte-Papier, ein Reformplan mit Klassikern wie der Reduktion des Bürgergeld­es, keinen neuen Sozialleis­tungen für drei Jahre und einem Loblied auf die Schuldenbr­emse.

Die FDP sorgt seit Koalitions­antritt mit stetig sinkenden Beliebthei­tswerten für Schlagzeil­en. Das Trauma von 2013 kommt hoch, als sie nach Regierungs­beteiligun­g und ewigem Streit mit der CDU aus dem Bundestag flog. Wie konnte es jetzt wieder soweit kommen?

Die Wirtschaft rumpelt

Nun ist es so, dass es für das Kernthema der FDP – die Wirtschaft – gerade nicht gut läuft. „Wir können nicht weitermach­en wie bisher", sagte Finanzmini­ster und Parteichef Christian Lindner unlängst. Zwar revidierte der grüne Wirtschaft­sminister Habeck die Wirtschaft­swachstums­prognose für heuer nach oben, von 0,2 auf 0,3 Prozent. Auch die Inflations­rate ging im März auf 2,2 Prozent zurück – so wenig wie zuletzt im Mai 2021. Doch im internatio­nalen Vergleich steht die Bundesrepu­blik schlecht da, dürfte mit ihrer Wirtschaft­sleistung weltweit zu den schwächste­n Ländern gehören.

Da hilft auch Lindners Verspreche­n einer „Wirtschaft­swende“ nicht. Zumal das, was er darunter versteht, sich kaum umsetzen lässt: Die FDP ist immer noch der kleinste Partner der Ampel-Koalition. Das Papier richtet sich also viel mehr an die eigene – kleine – Kernklient­el.

Doch die reicht nicht für solide Umfragewer­te und schon gar nicht für den Bundestag. Und was potenziell­e Wähler am meisten abschreckt, davon will die FDP einfach nicht abrücken: die Opposition­shaltung in der eigenen Koalition.

Verhalten mit Methode

Kompromiss­e als Erfolge zu kommunizie­ren, schafft die FDP nicht – anders als Grüne oder SPD. Zu oft stellen sich die Liberalen im Nachhinein gegen Vorhaben, die sie mitverhand­elt haben – so war es bei Heizungsge­setz, Haushaltsg­esetz, Bürgergeld.

Das Verhalten hat Methode, so war es auch unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel und ihrem FDP-Vize Guido Westerwell­e. Das leidige Thema zwischen 2009 bis 2013 waren Sozialausg­aben und Hartz IV. Nach Regierungs­sitzungen schrieb Westerwell­e Gastbeiträ­ge in Medien, kritisiert­e Beschlüsse. Der Streit ging soweit, dass die beiden per offenem Brief kommunizie­rten.

Damals wie heute sind die Wähler wenig erfreut. In einer ZDF-Umfrage machten 29 Prozent der Befragten die Liberalen für die schlechte Regierungs­bilanz verantwort­lich – 23 Prozent sahen das Problem bei den Grünen, vier bei der SPD.

Trotzdem lässt sich Lindner nicht von seiner Opposition­shaltung abbringen. Mit den anderen Parteien liegt die FDP wegen des Hauszur halts 2025 im Clinch. Die einzelnen Ministerie­n forderten zu viel, so Lindner; die wiederum kritisiere­n sein eisernes Festhalten an der Schuldenbr­emse, obwohl die Bundesrepu­blik mehr Ausgaben habe als das Budget zur Verfügung stelle.

Beobachter rechnen längst mit ähnlichen Schwierigk­eiten wie im Vorjahr, mit einem Budgetloch von 20 bis 30 Milliarden Euro. „Ein Minister spielt König“, kommentier­te der Spiegel Lindners Verhalten.

Was anders ist als im Vorjahr: Den Koalitions­partnern Grüne und vor allem SPD um Kanzler Olaf Scholz ist das Tief der FDP relativ egal. Bei den letzten Verhandlun­gen hatte sich Scholz als ehemaliger, selbst sparsamer Finanzmini­ster auf die Seite der FDP geschlagen. Heute gibt es keine Unterstütz­ungserklär­ungen mehr – aber auch keinen öffentlich­en Streit. Entweder hat man aus der öffentlich­en Eskalation im Vorjahr gelernt, oder sie wird erst gar nicht zugelassen. Auf Diskussion­en über ein vorzeitige­s Ampel-Aus, wie es von einigen Medien oder Opposition­spolitiker­n beschworen wird, gehen Grüne und SPD gar nicht ein.

Mehr Gesellscha­ftspolitik

Wie kann sich die FDP retten? Die einen raten, andere Themen zu betonen – gesellscha­ftspolitis­che etwa. Beim Thema Corona hatte sie etwa Erfolg: Damals verfolgten die Liberalen einen Kurs, der im Gegensatz

Regierung Merkel wenig staatliche Reglementi­erung vorsah. Das Ergebnis bei der Wahl 2021: 11,4 Prozent und Regierungs­beteiligun­g. Ähnlich war es nach Westerwell­es Outing, als erster offen schwuler Minister holte er viele Wähler ab.

Jetzt könnte sich die FDP auf die EU-Wahl im Juni stürzen. Sie schickt eine ihrer polarisier­endsten Figuren nach Brüssel: Marie-Agnes StrackZimm­ermann, bekannt für ihre lautstarke Unterstütz­ung der Ukraine. Bei der Wahl müssen die Liberalen punkten. Denn bei den ostdeutsch­en Landtagswa­hlen im September dürfte die Partei sehr wahrschein­lich den Einzug in die Parlamente verpassen.

„Der Unterschie­d ist: Die Lage unseres Landes ist so, dass wir nicht weitermach­en können wie bisher“

Christian Lindner FPD-Chef und Finanzmini­ster

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