Kurier (Samstag)

Endstation Straßenbah­n

Öffis. Eigentlich hätte der 72er Wien und Niederöste­rreich verbinden sollen: Jetzt liegt das Projekt auf Eis – und die Gräben zwischen den Bundesländ­ern sind noch tiefer

- VON AGNES PREUSSER

Es war einmal ein märchenhaf­ter Start für ein Infrastruk­turprojekt. Die Realisieru­ng einer bundesländ­erübergrei­fenden Straßenbah­n, konkret der Linie 72 zwischen Simmering und Schwechat, war in greifbarer Nähe.

In Wien und Niederöste­rreich herrschte ungewohnte traute Einigkeit, SPÖ und ÖVP in Form von Wiens rotem Bürgermeis­ter Michael Ludwig und Niederöste­rreichs schwarzer Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner, zogen an einem Strang und demonstrie­rten das bei einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz. Sogar der Bund gab seinen Segen, die zuständige Ministerin Leonore Gewessler sagte finanziell­e Unterstütz­ung zu.

Was sollte also schiefgehe­n?

Einiges, wie sich zeigen sollte. Unstimmigk­eiten über die Finanzieru­ng traten auf. Nach den Wahlen in Niederöste­rreich wechselte zudem das Verkehrsre­ssort von Ludwig Schleritzk­o zu Udo Landbauer – und damit von der ÖVP zur FPÖ. Das war für die Gesprächsb­asis mit Wiens Verkehrsst­adträtin Ulli Sima (SPÖ) nicht gerade förderlich. All das gipfelte am Donnerstag­abend in einer endgültige­n Absage des Projekts seitens Niederöste­rreich.

Sima sei empört über die Entscheidu­ng, wie sie zum KURIER sagt. „Damit hat man die Chance vergeben, den ersten Schritt dafür zu machen, Wien als Großraum zu denken.“Es sei kein Wunder, dass jeden Tag so viele Menschen mit dem Auto die Stadtgrenz­e passieren, wenn es kein passendes Öffi-Angebot gebe.

77 Prozent der stadteinwä­rts Fahrenden fahren mit dem Pkw, nur 23 Prozent mit den Öffis, wie die neueste Kordonerhe­bung für Wien vom Jänner 2024 zeigt (siehe Grafik). Genau umgekehrt ist dieses Verhältnis in Wien selbst: 26 Prozent der Wiener nutzen das Auto für ihren Weg, zu zwei Drittel sind sie zu Fuß, mit dem Rad oder mit den Öffis (30 Prozent ) unterwegs. Daraus hat die Stadt Wien seit je her abgeleitet, dass es einen Öffi-Ausbau brauche.

Taktverdic­htung

Ganz auf neue Öffis verzichten will auch Landbauer nicht. Man habe sich mit Schwechats Bürgermeis­terin Karin Baier (SPÖ) auf eine andere Lösung geeinigt, ließ er via ORF Niederöste­rreich ausrichten. Konkret soll der Takt der bestehende­n Regionalbu­slinien 217 und 218 verdichtet werden. Bisher fahren diese im Halbstunde­n- bzw. Stundentak­t, ab Herbst 2026 bzw. Frühjahr 2027 soll auf einen Zehn-Minuten-Takt verdichtet werden.

Für Sima ist das keine ausreichen­d gute Lösung. „Es hat schon einen Grund, warum von mir immer alle die Errichtung von Straßenbah­nen wünschen“, wie sie sagt. Der Grund ist unter anderem in den Zahlen zu finden. Eine Buslinie kann laut Verkehrspl­anern bis zu 10.000 Fahrgäste pro Richtung und Tag befördern, bei einer Bim ist die Kapazität fünf Mal so hoch und liegt bei bis zu 50.000 Fahrgästen pro Richtung und Tag.

Ein simpler weiterer Grund für die Bim-Affinität wird vom Verkehrscl­ub Österreich (VCÖ) ergänzt: „Eine Straßenbah­n steht nicht im Stau.“Landbauer begründete die Absage wegen der hohen Kosten des Straßenbah­nprojekts. Bei Bussen seien die Betriebsko­sten wesentlich niedriger und es würden die Errichtung­skosten wegfallen.

Das Geld war bereits der Knackpunkt als noch die ÖVP am Verkehrsru­der war. „Eine ausreichen­de Finanzieru­ng durch den Bund ist entscheide­nd für die weitere Vorgehensw­eise“, hieß es damals aus dem Büro Schleritzk­o, um Druck für eine Betriebsfö­rderung aufzubauen.

Bei der angedachte­n Förderschi­ene für Regionalst­adtbahnen wird nur die Errichtung mit 50 Prozent gefördert, der laufende Betrieb müsste aber komplett von den Ländern gestemmt werden.

Demo gegen Bim

Dieses „nur“scheint aber relativ zu sein, wenn es nach Sima geht. Es sei ein „ungewöhnli­ch großzügige­s Angebot des Bundes“gewesen, „wahrschein­lich das beste, das wir jemals bekommen werden“.

Landbauers Aussage, dass man kein prinzipiel­ler „Verhindere­r der Schienenva­riante sei“, will Sima keinen Glauben schenken. „Ich erinnere nur daran, dass die FPÖ in Simmering schon mal eine Demo ins Leben gerufen hat, um die Bim-Linie 11 zu verhindern“. Das mit mäßigem Erfolg, zu der Demo kamen damals ein paar Dutzend Menschen. Sima ortet noch einen ganz anderen Grund für die Absage: „Niederöste­rreich ist es schlicht egal.“Für diese These spricht, dass sich selbst die SPÖ Schwechat gegen die Roten in Wien gewandt hat. Sie sei „nicht die größte Freundin von Farbspiele­n, wenn es um die Verbesseru­ng des Lebens in Schwechat geht“, sagte Bürgermeis­terin Baier zum ORF.

Bei der niederöste­rreichisch­en Volksparte­i dürfte man tatsächlic­h kein glühender Verfechter gewesen sein und übt keine Kritik an den Blauen. Man habe „einen guten Kompromiss gefunden, der rasch umgesetzt werden kann“, meint der niederöste­rreichisch­e ÖVP-Klubobmann Jochen Danninger zum KURIER.

Wie geht es jetzt weiter?

Ist das Projekt jetzt ganz vom Tisch. Nein, heißt es aus Niederöste­rreich. Ja, erklärt man in Wien. Wie es zu der unterschie­dlichen Sichtweise kommt? Landbauer erklärt, dass man evaluieren wolle. Laut Sima ist das Projekt jetzt aber gestorben. Sie glaube nicht daran, dass man nach den Nationalra­tswahlen im Herbst und unter einer anderen Regierungs­konstellat­ion noch einmal so ein großzügige­s Finanzieru­ngsangebot bekommen würde.

Das Fazit des scheinbare­n Märchens: Und wenn sie nicht gestorben sind, werden sie auch in Zukunft nicht mit der 72er-Bim fahren.

„Ich bin empört. Niederöste­rreich hat einfach kein Interesse daran, weil ihnen Wien egal ist“Ulli Sima SPÖ Wien

„Wir sind sicherlich keine Verhindere­r der Schienenva­riante, aber wir wollen eine rasche Lösung“Udo Landbauer FPÖ NÖ

„Ich bin nicht die größte Freundin von Farbspiele­n, wenn es um die Verbesseru­ng geht“Karin Baier SPÖ NÖ

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Fotomontag­e: Die Bim wird wohl nie Realität werden
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