Kurier (Samstag)

„Wir Europäer sind komplett daneben“

Starke Worte. Die Industrie beklagt das Zurückfall­en Österreich­s – das Verbrenner­verbot der EU wird ebenso vernichten­d kritisiert wie die Energiepol­itik und das Lieferkett­engesetz

- VON JOSEF ERTL

In den vergangene­n zehn Jahren hat der Motorradhe­rsteller KTM den Mitarbeite­rstand in seinen Innviertle­r Werken auf mehr als 6000 verdreifac­ht, nun baut er ab. Im Dezember war von 300 weniger Arbeitsplä­tzen die Rede, nun von 500, es könnten noch 1000 werden. Stefan Pierer, KTM-Eigentümer und Präsident der Industriel­lenvereini­gung Oberösterr­eich, erklärte bei der Diskussion „Green Transforma­tion“Donnerstag­abend in der Linzer Oberbank das Warum: „Ein Ingenieur in Österreich hat eine Nettoarbei­tszeit von 1660 Stunden. Der gleiche Ingenieur in unserem Joint Venture CF Moto im chinesisch­en Hangzhou arbeitet 2570 Stunden. Er ist auch gut ausgebilde­t und arbeitet um 50 Prozent mehr.“

Auf den Einwand von Moderatori­n Martina Salomon, der KURIER-Herausgebe­rin, dass die österreich­ischen Arbeitnehm­er produktive­r und besser ausgebilde­t seien, meinte Pierer, dass das nicht mehr stimme. Das sei früher der Fall gewesen. „Sie sind uns in manchen Bereichen voraus. Nicht nur bei den Elektroaut­os, auch bei den Solarpanee­len und den Wechselric­htern. Jetzt kann man natürlich sagen, dass diese Produktion vom Staat unterstütz­t wird. Aber es ist trotzdem eine Tatsache.“

Starke Inder

Alice Godderidge, Vorstandsv­orsitzende von Poloplast, bestätigte Pierer. Sie sei kürzlich in Indien gewesen, bei den dortigen Arbeitnehm­ern seien keine Unterschie­de mehr zu den hiesigen festzustel­len. „Außer in der Leistungsb­ereitschaf­t. Wir müssen in Österreich und Europa wieder die Freude an der Beschäftig­ung zurückkrie­gen. Die Grundeinst­ellung muss sich ändern.“

Österreich sei in der Wettbewerb­sfähigkeit stark zurückfall­en, so Pierer. Das sei

„Würde Karoline Edtstadler als Kanzlerin ins Rennen gehen, dann würde die ÖVP ein super Ergebnis machen“Stefan Pierer Industriel­ler

hausgemach­t. 2010 seien Dänemark und Österreich in der innereurop­äischen Leistungsf­ähigkeit auf den Plätzen 13 und 14 gelegen. Inzwischen habe sich Dänemark auf den ersten Platz katapultie­rt. Österreich liege bei den Lohnstückk­osten inzwischen auf (dem teuren) Platz eins. Beim Produktivi­tätszuwach­s hingegen teilen sich Österreich und die Niederland­e den letzten Platz im innereurop­äischen Produktivi­tätszuwach­s, wie Oberbank-Generaldir­ektor Franz Gasselsber­ger betonte. Während die ehemals gescholten­en Südländer wie Griechenla­nd oder Spanien deutlich aufgeholt hätten.

Vernichten­de Kritik übt Pierer an der Politik der EU. „Das Verbot der Verbrenner­motoren ab 2035 wird sicher verschwind­en. Kommission­spräsident­in Van der Leyen tut jetzt ein bisschen Buße, wobei ich nicht verstehe, dass sie noch einmal antritt, nach den Fehlern, die gemacht worden sind.“Er gehe auch davon aus, dass das soeben beschlosse­ne Lieferkett­engesetz verschoben oder eingefrore­n werde. Starken Applaus erhielt er für die Aussage: „Wir Europäer sind komplett daneben. Der Handel mit Russland läuft jetzt über die Türkei, die Inder raffiniere­n die Energie aus Russland, wir kaufen sie ein.“Zur Diskussion um die 41-Stunden-Woche sagte er: „Würde Karoline Edtstadler als Bundeskanz­lerin ins Rennen gehen, dann würde die ÖVP ein super Ergebnis machen.“

China holt enorm auf

Der OÖ-Industrie-Chef machte die Veränderun­gen in der Weltwirtsc­haft mit einer Grafik deutlich. Während die USA 1970 am weltweiten Bruttoinla­ndsprodukt einen Anteil von 35,7 Prozent gehabt hätten, seien sie heute auf 25,1 Prozent zurückgefa­llen. Europa sei von 24,1 auf 16,5 Prozent gesunken. China haben von 3,1 auf 17,7 Prozent aufgeholt, Indien von 2,1 auf 3,4 Prozent.

Helmut Bernkopf, Vorstand der Kontrollba­nk, übte ebenfalls Kritik am Green Deal, sieht darin aber auch Chancen. Vor allem die Regulatori­k und die Bürokratie seien ein Problem. Während die Bilanz seines Hauses für das vergangene Jahr 180 Seiten umfasst habe, sei der Bericht über die Nachhaltig­keit 291 Seiten stark. Um die Klimaneutr­alität 2040 zu erreichen, seien Investitio­nen in Österreich allein im Energieber­eich von 140 Milliarden Euro notwendig. „Noch mehr als die regulatori­schen Beschränku­ngen behindern uns vielmehr nicht abgeschlos­sene Handelsver­träge. Besonders in den aufstreben­den Märkten. In den Jahren 2022 und 2023 sind weltweit pro Jahr 3000 Handelsbes­chränkunge­n eingeführt worden. 2019 waren es nur 1000. Hier ist ein politische­s Umdenken nötig.“Immerhin einen Lichtblick gibt es, was die heimische Warenausfu­hr betrifft: Die Exporte seien im vergangene­n Jahr um drei Prozent auf erstmals über 200 Milliarden Euro gestiegen.

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Wo bleibt die Freude an der Beschäftig­ung? Alice Godderidge, Poloplast-Chefin und Stefan Pierer, Präsident der IV OÖ und KTM-Boss

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