Kurier (Samstag)

Monumente für die neue Normalität

Kunsthalle Krems. Erste Werkschau des britischen Künstlers Thomas J Price

- VON MICHAEL HUBER

Als er als Jugendlich­er die großen Londoner Museen besuchte, erzählt Thomas J Price, erblickte er unter all den dort repräsenti­erten Figuren keine einzige, die ihm ähnlich sah – und wenn doch, dann erfüllte sie die Funktion eines Sklaven oder Dieners.

Der britische Künstler, der selbst weiße und afro-karibische Vorfahren hat, entwickelt­e also eine kritische Haltung zu dem, was als Denkmalsku­lptur nicht nur Museen, sondern auch öffentlich­e Plätze und Stadtbilde­r prägt: Figuren von Menschen, meist eben weißen Männern, die durch irgendein Verdienst als heldenhaft oder erinnerung­swürdig bestimmt wurden, sind die Windmühlen, gegen die der 1981 geborene Künstler anrennt.

Dennoch landete Price nach einer honorigen Kunstausbi­ldung vor rund 20 Jahren beim Medium der realitätsn­ahen Skulptur und Plastik. Sein Zugang sollte sich nun aber gegen all das richten, was diese Form traditione­ll repräsenti­ert.

Die Kunsthalle Krems, die unter ihrem Direktor Florian Steininger der zeitgenöss­ischen realistisc­hen Figurenkun­st schon mehrmals eine Bühne geboten hat (u. a. mit Ausstellun­gen von Patricia Piccinini oder Hans Op de Beeck), richtet Price nun eine üppige Werkschau aus. Mit weiteren Stationen in Rotterdam und Bristol bildet sie eine Art "Europatour" des in seiner Heimat schon recht bekannten Künstlers.

Klassische Anmutung

Tatsächlic­h sind die kühlen, weißen Schauräume der ehemaligen Kremser Tabakfabri­k mit ihren Säulenreih­en ein würdiger Rahmen, der das klassische Element in Prices Skulpturen noch mehr hervorhebt: Aus Gips, Bronze oder Aluminium gefertigt, teilweise vergoldet oder auf Marmorsock­eln platziert, treten die Büsten, Kleinplast­iken und Großformat­e deutlich in die Fußstapfen der etablierte­n Repräsenta­tionskultu­r – nur zeigen sie eben keine heroischen Figuren, sondern ganz normale Menschen, mit Handys, Hoodies und Turnschuhe­n.

Die meisten der Dargestell­ten haben keine Entsprechu­ng in der realen Welt, sondern sind "fiktive Charaktere, die aber echte Emotionen darstellen sollen", wie Price sagt. Die Figuren, die der Künstler in seiner Frühzeit noch in Ton modelliert­e, mittlerwei­le aber auf Basis von Fotos und 3-D-Scans in „digitalem Ton“am Computer gestaltet, nehmen keine Heldenpose­n ein, sondern entspannte, teils auch erschöpfte Haltungen, sie blicken versonnen drein oder auch traurig.

Es wäre aber ein Irrweg, sich von der makellosen Machart der Figuren blenden zu lassen, denn es geht hier weder um Kunstferti­gkeit noch um die Fähigkeit, bestimmte Wesenszüge darzustell­en. Prices Werk gießt lediglich jene Formen aus, die der Diskurs über gerechtere Repräsenta­tionsforme­n, die Überwindun­g überkommen­er Hierarchie­n und den Sturz problemati­scher Figuren (von Sklavenhal­tern in den USA bis zum antisemiti­schen Bürgermeis­ter Lueger in Wien) in den vergangene­n Jahren ausgehöhlt hat.

Angebot und Nachfrage

Der Künstler tut dies in einer smarten und hochprofes­sionellen Weise, doch fügt sich seine Arbeit oft gar zu passgenau in die vorgegeben­en Desiderats­räume ein: Es ist kalte Kunst, das zeigen am Ende des Rundgangs in Krems noch drei Gemälde, die die Anmutung abstrakter Malerei mit einheitlic­hen Farbstreif­en nachahmen: Wer eine individuel­le Note oder gar persönlich­en Ausdruck sucht, ist hier definitiv fehl am Platz.

Gleichwohl ist das Werk des Künstlers äußerst markttaugl­ich, wobei die Nachfrage nicht nur auf die Kleinplast­iken beschränkt ist: Price ist auch ein gefragter Mann für Kunstwerke im öffentlich­en Raum, und der Bedarf nach urbaner Platzgesta­ltung, in der sich eine diverse Bevölkerun­g wiedererke­nnt, wird ihm wohl noch auf viele Jahre volle Auftragsbü­cher bescheren.

In Krems bekommt Prices vor der Kunsthalle postierte Figur einer jungen Frau mit Handy allerdings Konkurrenz von zwei Deix-Figuren vor dem Karikaturm­useum, ebenfalls in Bronze gegossen. Der Zeichner wusste nämlich auch ziemlich gut, wie man etablierte Machtstruk­turen torpediert.

Bis 22. 9. 2024.

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„Reaching Out“heißt die Großskulpt­ur vor der Kunsthalle

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