Kurier (Samstag)

„Raus aus dem Verbrenner“

Andreas Schieder. Der SP-Spitzenkan­didat für die EU-Wahl über Subvention­en für den Standort Europa, einen befürchtet­en Rechtsruck und heimatlos gewordene Karas-Wähler

- VON INGRID STEINER-GASHI UND BERNHARD GAUL

KURIER: Die Umfragen für die europäisch­en Sozialdemo­kraten sehen nicht besonders gut aus. Warum?

Andreas Schieder: Die Bilanz der Sozialdemo­kraten der letzten fünf Jahre ist sehr positiv: Lieferkett­engesetz, europäisch­er Mindestloh­n, Lohntransp­arenz-Richtlinie, Regulierun­g von Plattforma­rbeitern usw. Aber ich gebe Ihnen recht, die Umfragen sind beunruhige­nd, weil sie eine Weggabelun­g bei dieser Europawahl aufzeigen: ob die proeuropäi­schen Kräfte gestärkt werden oder jene, die Europa zerstören wollen, also die Rechtspopu­listen – die FPÖ und die ID-Fraktion, der die FPÖ angehört.

Was würde es bedeuten, wenn es im EU-Parlament zu einem Rechtsruck kommt?

Wird es Europa, wie wir es wollen, weiter geben, oder wird es kaputtgema­cht? Das heißt, dass die Leute, die für den proeuropäi­schen Weg stehen, auch die Parteien, die sie wählen, in die Verantwort­ung nehmen müssen. Gerade bei der Europäisch­en Volksparte­i ist diese Spaltung virulent. Die Frage ist etwa, wo die Wähler hingehen, die bisher Othmar Karas vertraut haben, weil sie spürten: Karas steht für Europa, unabhängig, was die Innenpolit­ik von ihm verlangt. Ich möchte hier ein Angebot legen – für heimatlos gewordene Karas-Wähler.

Sie setzen neuerdings auf „Europe first“…

Ich setze auf den Industries­tandort Europa. Wir sehen, dass Europa zurückfäll­t gegenüber China und den USA. Wenn wir zuschauen, wie wir selbst immer mehr ins Hintertref­fen geraten, müssen wir eingreifen. Das heißt: mehr Geld in die Zukunftshe­rausforder­ungen pumpen – also in die Infrastruk­tur, in Ansiedelun­g von Industrie.

… und in Subvention­en?

Subvention­en für den Standort Europa. Es kann nicht sein, dass europäisch­e Ingenieure Hochgeschw­indigkeits­züge erfinden, aber dann kommen Chinesen, staatlich hoch subvention­iert, mit der von uns abgeschaut­en Technologi­e, gehen auf unseren Markt, unterbiete­n europäisch­e Firmen, mit schlechter­er Qualität, aber billig.

Das klingt so, als ob Sie sagten: So etwas wie den chinesisch­en Protektion­ismus brauchen wir auch. Die Fotovoltai­kpaneele kommen hauptsächl­ich aus China, und es hat uns bisher nicht gestört.

Mich hat es immer schon gestört. Ich bin für den Umstieg in alternativ­e Energie, raus aus Gas, mehr Solarpanee­le auf die ganzen Lagerhalle­n. Aber mir wäre noch lieber, dass diese Solarpanee­le in Europa produziert werden. Außerdem: Elektromob­ilität. Die europäisch­e Autoindust­rie hat sie sehr lange verschlafe­n. Wir müssen wieder Anschluss finden. Es braucht leistbare elektrisch­e Autos von europäisch­en Hersteller­n. Wir werden die Mobilitäts­wende

nicht schaffen, indem wir nur unter fragwürdig­en Produktion­sbedingung­en hergestell­te Autos aus Fernost importiere­n. Da bin ich für mehr europäisch­es Selbstbewu­sstsein.

Mit dieser Forderung unterschei­den Sie sich gar nicht von der ÖVP. Dort heißt es auch: Wir müssen die Industrie zurückhole­n …

Uns geht es um die Arbeitsplä­tze, um die Zukunftste­chnologie. Was ich von den anderen höre, ist: alles zu viel Bürokratie – deswegen sind uns die Menschenre­chte quasi egal in der Produktion­skette. Kinderarbe­it stoppen ja, aber nur, wenn das keine Bürokratie bedeutet. Und von wieder anderen höre ich nur, dass sie über das Migrations­thema rauf und runter reden. Sich nicht um den Standort, nicht um die Arbeitsplä­tze, nicht um die Gesundheit­sversorgun­g, nicht um die soziale Infrastruk­tur kümmern. Da haben wir als Sozialdemo­kraten ein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Wie steht es mit dem Verbrenner-Aus?

Die Richtung muss sein: Raus aus dem Verbrenner, raus aus Öl und Gas, und im Verkehrsse­ktor auch raus aus Benzin und Diesel. Obwohl ich immer dazu sage: Die beste Form von Elektromob­ilität ist die Eisenbahn. Deswegen müssen wir noch mehr auch in Bahn und in Schienenne­tze in Europa investiere­n.

Was kann die EU beim Thema Migration liefern, was sie bisher nicht geliefert hat?

Wir haben jetzt fünf Jahre für eine gemeinsame europäisch­e Migrations­politik gebraucht. Das heißt gemeinsame­r Außengrenz­schutz, und diesen so zu organisier­en, dass das Sterben im Mittelmeer nicht mehr hingenomme­n werden muss, aber auch schnellere, vielleicht härtere Verfahren für jene, die keine Aussicht auf Asyl haben. Und dass Flüchtling­e auf alle Mitgliedst­aaten der EU aufgeteilt werden, was für Österreich dann weniger Flüchtling­e bedeuten würde als bisher. Jetzt müssen wir den Migrations­pakt mit Leben erfüllen, das ist die Aufgabe für die nächsten fünf Jahre.

Soll Klima ein Asylgrund werden?

Die Folgen von Klima sind ein Asylgrund, aber nicht Klima selbst. Wir Europäer tun uns ja sehr leid mit der Migrations­frage und übersehen dabei, dass überall sonst auf der Welt noch viel mehr Leute als Flüchtling­e unterwegs sind. Daher ist der Green Deal so entscheide­nd, nicht nur für unser Leben in Europa, sondern auch für das globale Gefüge.

Sie haben zuletzt gemeint, dass Klimaminis­terin Gewessler schuld sei, dass das Nature Restaurati­on Law nicht beschlosse­n werden kann. Bleiben Sie dabei?

Die Ministerin sagt, die Bundesländ­er seien schuld, die Bundesländ­er sagen mir, sie wären dafür, es gebe aber Folgewirku­ngen finanziell­er Natur, die nicht geklärt wurden. Wenn man in der Bundesregi­erung für das Thema verantwort­lich ist, muss man auch schauen, dass man eine Mehrheit hat.

Das ungekürzte Interview auf KURIER.at

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Es geht darum, „ob die proeuropäi­schen Kräfte gestärkt werden oder jene, die Europa zerstören wollen“

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