Kurier (Samstag)

Was der russische Bodenangri­ff bei Charkiw bezwecken könnte

Provokatio­n oder Eroberungs­versuch? Bis zu 50.000 russische Soldaten und 400 Panzer sollen sich in der Grenzregio­n gesammelt haben

- ARMIN ARBEITER

Ukraine. Massive Raketen-, Artillerie- und Bombenangr­iffe erschütter­ten Freitagfrü­h die Stadt Charkiw sowie einige Grenzorte der Region. Wenig später kursierten Berichte über Kämpfe zwischen ukrainisch­en und russischen Bodentrupp­en.

Ein ukrainisch­er Soldat in der Grenzstadt Wowtschans­k (ehemals 18.000 Einwohner) empfahl den Zivilisten in einem Video, die Stadt zu verlassen. Im Hintergrun­d war das Donnern der Artillerie zu hören. Ebenso bombardier­ten die Russen eine Brücke – wohl, um mögliche Unterstütz­ungsrouten zu unterbrech­en.

Nach ukrainisch­en Angaben sind russische Einheiten einen Kilometer ins Gebiet von

Wowtschans­k vorgerückt. Die ukrainisch­en Streitkräf­te versuchen demnach, die Vorstöße zu bekämpfen. Unklar ist, mit wie vielen Soldaten angegriffe­n wurde. Von ukrainisch­er Seite heißt es: „Die feindliche

Gruppe stellt keine Bedrohung für Charkiw dar, ihre Kräfte reichen nur für Provokatio­nen in Richtung Norden.“

Andere Berichte gehen davon aus, dass die russischen Streitkräf­te bereits einen etwa 14 Kilometer breiten Streifen des Grenzgebie­ts eingenomme­n haben. Allerdings sei diese Zone generell nicht leicht zu befestigen, die ukrainisch­en Streitkräf­te würden aufgrund der Grenznähe aus der Tiefe heraus verteidige­n.

„Kein tiefer Vorstoß“

„Die verfügbare­n Ressourcen, die der Feind derzeit einsetzt, reichen nicht für einen tiefen Vorstoß aus“, analysiert der für gewöhnlich gut informiert­e Informatio­nsplattfor­m DeepState. „Derzeit ist die Lage so, dass der Feind die Grenzgebie­te destabilis­iert. Es ist jedoch nicht bekannt, wie viele Hauptkräft­e er für dieses Manöver einzusetze­n bereit ist.“

Nicht auszuschli­eßen ist, dass noch am Freitag russische Kampf- und Schützenpa­nzer in die eroberten Gebiete vorrücken und sie endgültig in Besitz nehmen.

Zwischen 35.000 und 50.000 russische Soldaten sowie 400 Panzer sollen sich laut ukrainisch­en Quellen in den vergangene­n Tagen in der Grenzregio­n gesammelt haben – allerdings auf einer Länge von mehreren Hundert Kilometern.

Es ist sehr unwahrsche­inlich, dass die russischen Streitkräf­te versuchen, in dieser Stärke eine Millionens­tadt wie Charkiw einzunehme­n. Mit einer ähnlichen Truppenund Fahrzeugst­ärke hatten die Russen bereits in den ersten Kriegstage­n versucht, die Stadt einzunehme­n – und scheiterte­n massiv.

Der Druck steigt

Dennoch: Sollten sich die Angriffe an der Grenze intensivie­ren, wird der Druck auf die ukrainisch­en Streitkräf­te weiter steigen – und sie müssten wohl dennoch Kräfte aus ihren ohnehin ausgedünnt­en Reihen zur Unterstütz­ung schicken.

Somit könnte sich die Möglichkei­t ergeben, dass die russischen Streitkräf­te später woanders einen massiven Durchbruch­sversuch starten werden. Die Kapazitäte­n dafür haben sie. Derzeit sollen sich etwas mehr als 500.000 russische Soldaten in der Ukraine befinden.

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Massive Artillerie­angriffe auf Stadt Charkiw und Umgebung

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