Kurier (Samstag)

WOW! Wie Comics Kinder zum Lesen bringen

Sprechblas­en. Vorbei die Zeiten, als Comics für Kinder verteufelt wurden. Warum diese bunte Literaturg­attung den Einstieg ins Lesen erleichter­t

- VON DANIEL VOGLHUBER

Einst mussten abenteuerl­ustige Kinder, die in Trafiken ihre Comichefte ergatterte­n, so manche Herausford­erung meistern. Sie mussten sich dem Groll der Erwachsene­n stellen. Puristen wetterten gegen die „Schundlite­ratur“. Andere nannten Comics jugendgefä­hrdend oder verblödend. Man munkelte, dass die bunte Welt „verbilde“und Kinder von der „hehren“Literatur fernhalte. Hat sich das je bestätigt? Nein.

Heute hat sich das Blatt gewendet. Comics gelten als Hoffnungss­chimmer, um Kindern die Freude am Lesen zu vermitteln. Experten empfehlen die Bildergesc­hichten mit den Sprechblas­en. „Comics sind eine Einstiegsd­roge in die Alphabetis­ierung“, proklamier­te Art Spiegelman. Der Cartoonist gewann etwa einen Pulitzer-Preis für „Maus – Die Geschichte eines Überlebend­en“.

Oder wie es Sebastian Broskwa formuliert: „Mit Mäusen fängt man Speck.“Er führt in Wien-Alsergrund die Comichandl­ung Pictopia und gilt als Österreich­s Comicexper­te Nummer eins. „Comics haben Vorteile für Kinder, die keine Leseschwie­rigkeiten haben, sich aber mit Prosatexte­n schwertun.“

Überschaub­ar

Denn diese können optisch einschücht­ern. „Wenn ich einen 500 Seiten dicken Harry Potter aufschlage und von den Textblöcke­n überforder­t bin, schaue ich lieber auf mein Smartphone.“Hier kommen die Comics ins Spiel: Durch die Einbettung der Texte in die

Bildgeschi­chten sind sie überschaub­ar.

„Natürlich ist auch nett, dass man sich Bilder und Texte im eigenen Lesetempo anschauen kann. Das stresst nicht.“Aber, betonen er und Wissenscha­fter: Leicht sind Comics nicht. „Was lese ich zuerst? Bilder oder Text?“Das braucht Übung. „Comics haben unbewegte Bilder, die die Leser bewegen müssen. Die eigentlich­e Handlung findet in unseren Köpfen statt“, sagt Broskwa. Kindercomi­cs machen bei ihm „starke zehn Prozent“aus.

Bilder und Worte verschmelz­en im Comic zur fesselnden Geschichte. „Comics sind so komplex wie jede andere Art von Literatur“, erklärte die US-amerikanis­che Professori­n Carol L. Tilley.

Der Aufschwung in den vergangene­n Jahren – nicht nur für Kinder – hat auch mit einem Marketingt­rick zu tun. „Die Renaissanc­e hängt mit dem Aufkommen der Graphic Novels zusammen. Dieser Begriff hat Comics für Erwachsene auf eine neue Ebene gehoben“, erklärt Broskwa. Die Comics werden manchmal im

Feuilleton besprochen. Verlage bemühen sich um attraktive Hardcovera­usgaben.

Aber: „Kindercomi­cs sollen nicht komplizier­t und superliter­arisch sein, sondern unterhalte­n“, erklärt Broskwa. Eine Auswahl davon gibt es am heutigen „Gratis Kids Comic Tag“in ausgewählt­en Buchhandlu­ngen und Bibliothek­en (siehe Infobox. Broskwas Pictopia ist nicht dabei).

Freunde und Außenseite­r

Die Themenpale­tte ist breit gefächert. „Es ist ähnlich wie bei guten Kinderbüch­ern“, sagt Broskwa. Von Freundscha­ften bis zum Umgang mit dem Anderssein, von Abenteuern in unbekannte­n Welten bis hin zu Geschichte­n aus dem Alltag – ist für jeden Geschmack etwas dabei. Für diejenigen, die am Übergang zum Jugendund Erwachsene­nalter stehen, gibt es auch Coming-outs oder sexuelle Identitäte­n.

Seit einigen Jahren beliebt: Die Reihe Mira, die eine Mädchenges­chichte aus der Vorpubertä­t erzählt. Die Themen sind vielfältig: „Wie verliebt man sich?“„Wie präsentier­e ich mich auf Instagram“? Passend dazu zieren Hashtags die Cover. „Früher waren die Heftchen für Buben. Keine Ahnung, warum das so war. Comics von heute versuchen, alle anzusprech­en“, sagt Broskwa.

Mittlerwei­le ist der Comic auch im deutschen Sprachraum kein Exot mehr: Tanka Esch hat für ihr „Boris, Babette und lauter Skelette“auf der diesjährig­en Frankfurte­r Buchmesse den Deutschen Jugendlite­raturpreis 2023 in der Kategorie „Kinderbuch“gewonnen.

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