Kurier (Samstag)

Grüne Strategie-Sackgasse

Warum die Grünen nicht sind, wer sie sein wollen

- MARKUS KESCHMANN Markus Keschmann

So schnell kann es gehen: Vor wenigen Tagen konnten die Grünen mit ihrer Regierungs­arbeit vermeintli­ch zufrieden sein. Unterstütz­t von einer wohlwollen­den Medienland­schaft haben die 14-%-Grünen die 37-%-Volksparte­i im Themensett­ing gefühlt dominiert. Mit der Causa Schilling dreht sich der günstige Wind. Dabei werden grobe strategisc­he Schwächen der grünen Führungssp­itze offensicht­lich.

Wer „Herz & Anstand“als Markenkern und seit Peter Pilz die politische Wadlbeißer­ei zum politische­n Programm erhoben hat, darf sich nicht wundern, dass dieselben Maßstäbe an eigenes Verhalten gelegt werden. Und die Krisenkomm­unikation in der Causa Schilling in alter Wagenburg-Mentalität ist gelinde gesagt überrasche­nd. Das Abtun der Vorwürfe als „anonymes Gemurkse“und „Gefurze“wird die Geschichte nicht beenden, und von nun an sind die Grünen auch als Partei mittendrin statt nur dabei.

Die Positionie­rung „mit Anstand“ist Teil der DNA der Grünen. Diese wurde mit dem Gefurze-Sager konterkari­ert – das ist eben kein anständige­r, adäquater Umgang mit der Situation. Die Reaktion überrascht umso mehr, als man bei der Demontage von Sebastian Kurz nicht zimperlich war. Angeblich aus Anstand. Ausgerechn­et jenen Mann ließen die Grünen über die Klinge springen, der diese Koalition mathematis­ch und politisch erst möglich gemacht hat. Aus einem Reflex der vermeintli­chen moralische­n Überlegenh­eit erledigen die Grünen so das Geschäft des „Kurz muss weg“-Kickl und bringen die FPÖ in Richtung 30%. Eine strategisc­he Meisterlei­stung.

Am Ziel, der SPÖ den Rang als führende Mittelinks-Partei abzulaufen, ist man zudem gescheiter­t. Anstatt neue Zielgruppe­n pragmatisc­h für grüne Themen zu begeistern, betreibt man radikale NGO-Klientel-Politik. So kann man eine schwächeln­de und mit sich selbst beschäftig­te SPÖ nicht gefährden. Wer sich thematisch und personell nicht verbreiter­t, bleibt strategisc­h limitiert.

Dazu kommt die versuchte Doppelroll­e als Regierungs­und gleichzeit­ig Opposition­spartei. Wer U-Ausschüsse zur Abrechnung mit dem Regierungs­partner nutzt, wem die Profilieru­ng einzelner Abgeordnet­er wichtiger ist als gemeinsame Regierungs­arbeit, wer willkürlic­h Entscheidu­ngen junktimier­t wie zu Zeiten des rot-schwarzen Stillstand­s, macht klar, dass er nicht weiß, wer er eigentlich in der Praxis ist.

Die Causa Schilling zeigt den Ursprung des strategisc­hen Problems der Grünen: Anspruch und Wirklichke­it klaffen in Kernfragen auseinande­r. Der politische Anstand gilt sichtlich nur für die anderen, man kann keine breite politische Bewegung aufbauen und sich nicht zwischen Regierung und Opposition entscheide­n. Die Grünen haben so bewiesen, dass sie weder verlässlic­h noch loyal noch pakttreu sind – wer soll sich das zukünftig in einer Regierung antun?

ist politische­r Kampagnen-Manager und war in verschiede­nen Positionen für die ÖVP tätig.

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