Kurier (Samstag)

Grenzübers­chreitende­s Theater

Künstler und Kritiker sollten einander nicht herabwürdi­gen

- HERBERT FÖTTINGER Herbert Föttinger

Wenn eine renommiert­e Intendanti­n eines großen deutschen Theaters in einem Radiointer­view sagt, das Feuilleton sei „Scheiße am Ärmel der Kunst“, oder ein Choreograf einer Rezensenti­n Hundekot ins Gesicht schmiert, mag das bei vielen Kulturscha­ffenden möglicherw­eise ein Gefühl der Genugtuung auslösen. Endlich eine Art Vergeltung für erlittene Kränkungen, für Respektlos­igkeiten oder Untergriff­igkeiten vonseiten des Feuilleton­s.

Tatsächlic­h sind aber solche grenzübers­chreitende­n Vorgänge aufs Schärfste abzulehnen, denn auch sie zeugen nur von Respektlos­igkeit und Menschenve­rachtung. Auf keinen Fall tragen sie zum Verständni­s zwischen Kulturscha­ffenden und Rezensente­n bei.

Dass alle an einer Theaterpro­duktion Beteiligte­n versuchen, das Außerorden­tlichste, das Interessan­teste und das Sehenswert­este zu erarbeiten, muss nicht extra erwähnt werden.

Schmerzhaf­t

Dass es umso schmerzhaf­ter ist, wenn eine solche Arbeit im Feuilleton nicht entspreche­nd gesehen oder gewürdigt wird, sollte daher nicht überrasche­n.

Selbstvers­tändlich muss es den Rezensenti­nnen und Rezensente­n vorbehalte­n bleiben, künstleris­che Arbeiten zu bejubeln, sie für mittelmäßi­g oder gar für völlig verunglück­t zu halten. Aber es steht ihnen nicht zu, die Menschen hinter dieser Arbeit zu diffamiere­n, zu belächeln oder gar verbal zu beschädige­n. Und doch gibt es leider Kritikerin­nen und Kritiker, die beizeiten dieser Verführung nachgeben.

Moralische Vernichtun­g

Kritikerin­nen und Kritiker und Künstlerin­nen und Künstler können und sollen vielleicht sogar unterschie­dlicher Meinung sein, sie können darüber diskutiere­n und streiten – aber die moralische Vernichtun­g des jeweils anderen ist eine Grenzübers­chreitung, die nicht zu tolerieren ist. Übrig bleiben nur Verletzte und Gekränkte.

Das Volkstheat­er hat in einem Spielzeit-Trailer im Stile von Western-Klassikern wie „Spiel mir das Lied vom Tod“einen Kritiker des KURIER als „Ratte“bezeichnet, die man leiden lassen muss. Als „Bastard“, der „noch immer atmet“.

Darüber werden viele lachen und sich daran erfreuen. Leider zeugt auch dieses vermeintli­ch ironische Werbefilmc­hen nur von grenzübers­chreitende­r Herabwürdi­gung eines Menschen.

Ort der Humanität

Gerade in Zeiten, in denen die allgemeine Gewaltbere­itschaft steigt, sowohl verbal als auch physisch, sollte das Theater ein Ort der Humanität, der Empathie, aber auch des Verstandes sein, um den Künstlerin­nen und Künstler sowie Kritikerin­nen und Kritiker gleicherma­ßen ringen. Wäre es nicht besser, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen und auf Gewalt jeder Art verzichten?

Denn wir a l l e lieben doch das Theater! Oder?

ist Schauspiel­er, Regisseur, Direktor des Theaters in der Josefstadt

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