„Charakter ist Voraussetzung für die Politik“
Reinhold Lopatka. Der EU-Spitzenkandidat der ÖVP über die „Lena-Schilling-Debatte“, den Verbrennermotor und seine Ziele bei der Wahl am 9. Juni
In Umfragen zur EU-Wahl liegt die ÖVP weit hinter der FPÖ. Dennoch hat sich Reinhold Lopatka das Ziel gesetzt, dass die ÖVP mandatsstärkste Partei wird.
KURIER: Bei den EU-Wahlen 2019 hat die ÖVP ein Rekordergebnis von 34 Prozent erzielt. Laut Umfragen wird sich das nicht wiederholen. Werden Sie diese mutmaßlichen Verluste auf Ihre Kappe nehmen?
Reinhold Lopatka: Die letzte EU-Parlamentswahl fand unter außerordentlichen Rahmenbedingungen statt. Zehn Tage vorher gab es den Ibiza-Tiefpunkt für die Freiheitliche Partei, es war vor der Abwahl von Sebastian Kurz. Das hat natürlich zu einer enormen Mobilisierung geführt. Die Wahlbeteiligung ist von 46 auf beinahe 60 Prozent angestiegen. Diese Wahl ist also nicht vergleichbar. Bei anderen EU-Wahlen hatten wir immer eine Situation, wo ÖVP, SPÖ und FPÖ annähernd gleich stark waren. Mein Ziel ist es, mandatsstärkste Partei zu werden.
Das ist eine sehr hohe Latte. In den Umfragen liegt jetzt die FPÖ vor der ÖVP – bisher war die ÖVP immer die Europapartei. Ist jetzt die FPÖ die bessere Europapartei?
Das ist die FPÖ ganz sicher nicht. Die Freiheitliche Partei tut alles, um das Projekt Europäische Union schlechtzureden, sie spricht von Wahnsinn, von Irrsinn. Ihr Spitzenkandidat sagt: Das Europaparlament ist ein Irrenhaus. In dieser Legislaturperiode haben sie zweimal den Antrag eingebracht, Österreich solle die Beitragszahlungen an die EU aussetzen. Was heißt das? Das ist das Ende der EU. Als es zum Brexit kam, haben sie gejubelt und sofort einen Antrag eingebracht, Österreich solle eine Volksbefragung über den Austritt aus der Europäischen Union durchführen. Aber unser Wohlstand hängt ganz eng mit der Europäischen Union zusammen. Auch unsere Sicherheit. Mit dem spielt man nicht. Und daher kann ich nur appellieren an die Wählerinnen und Wähler: Denken Sie wirklich darüber nach, wem Sie Ihre Stimme geben!
Bei dieser Wahl tritt Othmar Karas nicht mehr an. Er hat immer für die ÖVP einen großen Teil der Stimmen gebracht. Wie sehr wird das die ÖVP treffen, dass Karas nicht mehr an Bord ist?
Also wenn ich jetzt im Wahlkampf unterwegs bin, ist das kein Thema, auch in der Partei nicht. Ich kenne Othmar Karas sehr gut. Für mich ist er ein Thema, weil ich mit ihm beinahe täglich auch im Austausch bin: Ich habe seit zehn Jahren im Nationalrat den Vorsitz im Europaausschuss, und Othmar Karas war vom Europäischen Parlament für die nationalstaatlichen Parlamente in den letzten fünf Jahren als Vizepräsident des EU-Parlaments zuständig. Er hat die Entscheidung getroffen, nicht mehr zu kandidieren. Er war ein sehr profilierter Abgeordneter.
Was wollen Sie in den nächsten Jahren im Europaparlament erreichen? Was ist Ihr Schwerpunkt?
Wir brauchen mehr Europa, vor allem, wenn es um den Binnenmarkt geht. Der Wirtschaftsstandort Europa ist massiv unter Druck, aber wir brauchen auch eine Balance zu den – berechtigten – Umweltanliegen. Es bedarf immenser finanzieller Ressourcen, um den notwendigen technologischen Umstieg zu schaffen und zugleich die Industrie und Wirtschaft in Europa zu schützen. Der Binnenmarkt ist erst zu 30 Prozent umgesetzt. Im Interesse der Umwelt ist es natürlich, möglichst viel vom Verkehr auf die Schiene zu bringen. Aber solange ich 600 nationalstaatliche Bestimmungen, unterschiedliche Stromsysteme und Spurweiten habe; solange auf europäischer Ebene verlangt wird, dass in jedem Land der Lokomotivführer die Landessprache spricht, solange werde ich es nicht schaffen, die Schiene im Vergleich zum Flugverkehr, aber auch zum Straßenverkehr konkurrenzfähig zu machen.
Und der Verbrennermotor müsste verschwinden, um die CO -Bilanz zu verbessern. Sie sind ja gegen das Verbrennerverbot …
Der Verbrennermotor ist jetzt die heilige Kuh für alle.
Schauen Sie sich die weltweite CO -Bilanz an. Europa hat 2 hier einen Anteil von acht Prozent. Und von diesen acht Prozent macht der Verkehr wiederum nur 20 Prozent aus. Die Hälfte davon ist der Pkw-Verkehr. Das sind 0,8 Prozent. Also damit rette ich das Klima nicht. Ich bin für einen technologieoffenen Zugang. Ich bin dafür, dass man nicht von der Politik her ex cathedra verkündet: 2035 gibt es nur mehr eine technologische Lösung – den Elektromotor. Den gesamten Bereich der grünen Verbrenner, den Wasserstoff lässt man weg. Das kann es doch nicht geben.
Stichwort Lena Schilling: Sie haben gesagt, in ihrer Lage würden Sie den Rücktritt anbieten. Warum? Was ist ihr konkret vorzuwerfen?
Wenn mir die Parteifreunde sagen würden, der Schaden ist größer als der Nutzen, würde ich das natürlich akzeptieren. Aber das ist Sache der Grünen, wie sie damit umgehen. Ich habe Schilling und den Grünen nichts empfohlen. Aber das sind schwere Vorwürfe (gegen das Ehepaar Bohrn Mena; Anm.):
Ich kann Ihnen nicht völlig grundlos vorwerfen, dass bei Ihnen zu Hause häusliche Gewalt herrsche. Wo kommen wir da hin? Noch nichts von dem ist bisher dementiert worden. Die Grünen fordern auf EU-Ebene als einzige Partei sogar eine eigene Ethikbehörde, die sich den Charakter der Abgeordneten ansehen soll. Der große Unterschied zwischen mir und Lena Schelling ist der, dass sie sagt: Auf der einen Seite gibt es die Politik und auf der anderen Seite die Privatperson.
Das sagt auch der Bundespräsident.
Für mich ist der Charakter Grundvoraussetzung für die Politik. Ich finde, das kann man nicht trennen.