Vinted, willhaben, Etsy: ab wann das Nebengeschäft zum Problem wird
Immer mehr tun es und verkaufen ihre Kleidung, Bücher, Möbel oder Elektronik online. Manche sogar im großen Stil mit mehr als tausend Anzeigen. Ob das noch erlaubt ist – und wie Handel und Finanzamt auf ambitionierte Hobbyverkäufer reagieren
Zumindest 50 Euro verdient Léana E. auf den OnlineMarktplätzen willhaben und Vinted pro Monat. „Wenn ich Schuhe mitverkaufe, ist es mehr“, erzählt sie dem KURIER. Es ist ein Hobby, das sie seit vier Jahren ausgiebig betreibt. Verpackungen werden gehortet, damit Materialkosten nicht den Gewinn schmälern. Der Schrank regelmäßig ausgemistet und Kleidung, Schuhe und Accessoires jeden zweiten bis dritten Tag an neue Besitzer verschickt. Der beste Verkauf bislang: Markenschuhe um 180 Euro. Häufig bleiben die Preise aber unter zehn Euro. „Dann verkauft man schneller.“
Léana E. ist eine von ungezählt vielen Privatverkäuferinnen und -verkäufern, die sich auf digitalen Verkaufsplattformen bewegen, um gebrauchten Produkten ein zweites (oder gar drittes) Leben zu schenken. Und sich nebenbei das kleine Geld zu verdienen. Auch die Autorin dieses Artikels kann keinen öffentlichen Bücherschrank passieren, ohne dessen Wert auf der Medienplattform momox zu prüfen. Und dann die Schätze einzusammeln.
Alleine auf willhaben, dem größten Anbieter in Österreich, „tummeln sich mehr als 4,5 Millionen Menschen Monat für Monat auf dem Marktplatz“, sagt Geschäftsführerin Sylvia Dellantonio. Zwölf Millionen Anzeigen sind dort zu finden. Alle zwei bis drei Sekunden geht eine neue online.
Ein wachsendes Geschäft
Unter „Secondhand boomt“, wird das Phänomen gerne subsumiert. Der Markt für Wiederverkäufe ist einer der am schnellsten wachsenden, belegen internationale Reports. Allein die SecondhandVerwertung von Bekleidung soll dreimal schneller wachsen als die Modeindustrie insgesamt, erhebt etwa der ThredUp-Resale-Report 2024.
Wer das nicht glaubt, dem genügt ein Spaziergang durch den siebenten Wiener
Bezirk, wo seit einigen Jahren ein Secondhandgeschäft auf das Nächste folgt.
Auch der österreichische Handelsverband beobachtet, dass der Secondhandmarkt stärker wächst als der Einzelhandel generell. Konkrete Daten würden jedoch fehlen, weshalb der Verband im Sommer eine neue, groß angelegte Konsumentenumfrage plant. Auch Cordula Cerha von der Wirtschaftsuni Wien sagt: „Es gibt keine Statistik, die den gesamten Markt abbildet. Aber wir sehen, dass es zunehmendes Interesse gibt.“
Eindrucksvoll stellt das Vinted unter Beweis: ein 2008 in Litauen gegründeter Online-Marktplatz, der sich zuerst unter dem Namen „Kleiderkreisel“eine Reichweite aufbaute. Knapp 600 Millionen US-Dollar Umsatz lukrierte die Plattform 2023. Eine Steigerung von 61 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die sogar Design-Konkurrent Etsy abhängte. „Tauschgeschäfte gab es immer“, sagt
Cordula Cerha, aber durch neue Technologien wäre es einfacher geworden, eine Sichtbarkeit für eigene Angebote zu schaffen. Hinzu käme der begrüßenswerte Trend zur Nachhaltigkeit, so Cerha, der Secondhandware vom staubigen Image befreite und im Sinne der Kreislaufwirtschaft neuen Glanz verlieh.
Wie nachhaltig der Online-Verkauf von Secondhandware jedoch wirklich ist, ist eine andere Frage. Auf die Laurenz Schaffler, Betreiber des „Freudich Vintage Store“, eine klare Antwort hat.
Wirklich nachhaltig?
„Sachen zu verschicken, ist nicht der Grundgedanke von
Secondhand“, erklärt Schaffler, als ihn der KURIER in seinem Geschäft in Wien, Neubau besucht. Es gehe darum, einen Bezug zum Produkt aufzubauen. „Das ist bei Vintage das Einzigartige. Du siehst es und verliebst dich.“Online hingegen kaufe man nur ein Foto und hat oft sogar die Möglichkeit, die Ware zurückzuschicken, wenn sie nicht gefällt. „Das widerspricht dem Vintage-Konzept.“Außerdem gehe es online häufig um Marken, darum, was gerade angesagt ist und schneller einen Abnehmer findet. „Am Ende ist es eine Form von Fast Fashion“, fasst er zusammen und ergänzt, die Entwicklung dennoch super zu finden.
„Je mehr Menschen Secondhand kaufen, desto besser ist es.“Da er als Händler nicht die Möglichkeit hat, Privatverkäufern ihre Mode abzunehmen, begegnet er Online-Marktplätzen durchaus positiv – sofern Fälschungen dort nicht überhandnehmen. „Sobald du einen Secondhandladen hast, stehen die Leute vor deiner Tür und wollen ihre Sachen verkaufen“, berichtet er. „Hat der Pulli im Original 50 Euro gekostet, erwarten sie ein entsprechend hohes Angebot. Für diese Leute sind die Plattformen ideal.“Bedroht fühlt sich Laurenz Schaffler von der wachsenden Privat-Konkurrenz somit nicht. Doch es gibt andere, die den Vormarsch von willhaben und Co. keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. Und umtriebige Privatverkäufer ins Visier nehmen.
Hobby oder Business?
„Lustig, dass Sie mich genau jetzt anrufen“, sagt Thomas Feilenreiter, Branchensprecher für Altwaren der Wirtschaftskammer am Telefon. Soeben habe er eine Spartenkonferenz verlassen, wo es um zunehmende Privatverkäufe auf Online-Marktplätzen gegangen sei. „Jede Branche jammert ein bisschen darüber“, berichtet er. Von der Mode bis zum Fahrrad oder Auto. Nächste Woche, am 24. Mai, sei deshalb eine große Sitzung anberaumt – mit Vertretern von willhaben und der WKO.
Das große Problem: Dass sich zu wenige als Gewerbe deklarieren – vermutlich um Gebühren zu entkommen. Tatsächlich beläuft sich der Anteil an Händler-Anzeigen auf dem willhaben-Marktplatz auf nicht einmal ein Prozent des Gesamtvolumens, erklärt die willhaben-Geschäftsführerin Sylvia Dellantonio. Feilenreiter sagt dazu: „Es geht uns nicht um ein paar Handtaschen oder andere Gegenstände, das ist alles legitim. Aber wenn es Private gibt, die bis zu 6.000 Artikel gelistet haben, ist das schon eklatant.“
Besonders auffällig wären Privatverkäufer, die ihre Inserate höchst professionell beschriften und bebildern oder vielleicht sogar hundert Stück von etwas anbieten. „Da kommt eine gewaltige Summe zusammen. Das kann
„Je mehr Menschen Secondhand kaufen, desto besser ist es“Laurenz Schaffler Freudich Vintage Store
nicht rechtens sein“, so das Fazit des Kunsthändlers Feilenreiter, der selbst bis zu 40 Stunden die Woche auf willhaben verbringt, immer auf der Suche nach Schätzen.
Ist das noch legal?
Private, die im großen Stil verkaufen, zu verwarnen oder zu sperren, würde kaum etwas bringen, so Feilenreiter. Es handle sich um eine Grauzone. Bislang habe niemand die Kapazitäten, diese zu kontrollieren.
Bei der Finanzverwaltung bleiben besonders umtriebige Verkäufer trotzdem nicht unbemerkt. Denn es würden sehr viele Hinweise zu „ungewöhnlichen Angeboten“, die vermeintlich gewerblich sind, eingehen, teilt das Ministerium mit. Während Verkäufer-Profile früher stichprobenartig analysiert wurden, trat am 1. Jänner 2023 das Digitale-Plattformen-Meldepflichtgesetz in Kraft: Große Plattformen, die den Verkauf von Waren an Kunden in Österreich unterstützen, müssen Daten aufzeichnen und in gewissen Fällen an das Finanzamt übermitteln. Darunter den Namen des Verkäufers, die Adresse und Steuernummer. Das Finanzamt wiederum prüft, ob ordnungsgemäß versteuert wurde.
Für Hobbyverkäufer gab es von Dellantonio in einem Interview aus dem Vorjahr eine Entwarnung: man müsse sich um nichts kümmern – beim Erreichen der Schwellenwerte würde die Plattform ihre User informieren. Wie viele Privatverkäufer diese Grenze seit Einführung der Meldepflicht bereits überschritten haben, konnte das Finanzministerium aus Gründen der gesetzlichen Geheimhaltung nicht mitteilen.
Limitierte Geldspritze
Wie viel Zuverdienst nun für Hobbyverkäufer erlaubt ist? Im Zuge der Meldepflicht wird das Finanzamt auf jene aufmerksam, die wiederholt und nachhaltig Verkäufe tätigen. Eine Grenze zieht man bei 30 Verkäufen im Jahr und einem Erlös von 2.000 Euro.
Aber: Nur sofern Bezahlvorgänge online abgewickelt wurden – Barzahlungen fallen unter das Radar. Und das sind viele, wie die willhabenGeschäftsführerin bestätigt: „Ein großer Teil unserer Transaktionen wird abseits von PayLivery abgewickelt“, sagt sie und bezieht sich auf das 2020 eingeführte Bezahltool.
Laut Steuergesetz gilt Folgendes: Wer keine anderen Einkünfte hat, kann 2024 einen Gewinn bis zu 12.816 Euro einkommensteuerfrei verdienen. Hat man lohnsteuerpflichtige Einkünfte, etwa durch ein Angestelltenverhältnis, gilt die Pflichtveranlagungsgrenze von 730 Euro.
Bei Léana E. hat das Finanzamt jedenfalls noch nicht angeklopft, sagt sie erleichtert. Mit rund 600 Euro Erlös im Jahr bewegt sie sich im steuerfreien Rahmen. Auch dem Handel wird ihr Hobby kein Dorn im Auge sein. Ihre 90 aktiven Anzeigen sind von den maßlosen Tausend weit entfernt.
„Manchmal verkauft man mehr, manchmal weniger. 50 Euro pro Monat sind es aber mindestens“
Léana E. Online-Verkaufsfan