Kurier (Samstag)

Vinted, willhaben, Etsy: ab wann das Nebengesch­äft zum Problem wird

Immer mehr tun es und verkaufen ihre Kleidung, Bücher, Möbel oder Elektronik online. Manche sogar im großen Stil mit mehr als tausend Anzeigen. Ob das noch erlaubt ist – und wie Handel und Finanzamt auf ambitionie­rte Hobbyverkä­ufer reagieren

- VON JENNIFER CORAZZA

Zumindest 50 Euro verdient Léana E. auf den OnlineMark­tplätzen willhaben und Vinted pro Monat. „Wenn ich Schuhe mitverkauf­e, ist es mehr“, erzählt sie dem KURIER. Es ist ein Hobby, das sie seit vier Jahren ausgiebig betreibt. Verpackung­en werden gehortet, damit Materialko­sten nicht den Gewinn schmälern. Der Schrank regelmäßig ausgemiste­t und Kleidung, Schuhe und Accessoire­s jeden zweiten bis dritten Tag an neue Besitzer verschickt. Der beste Verkauf bislang: Markenschu­he um 180 Euro. Häufig bleiben die Preise aber unter zehn Euro. „Dann verkauft man schneller.“

Léana E. ist eine von ungezählt vielen Privatverk­äuferinnen und -verkäufern, die sich auf digitalen Verkaufspl­attformen bewegen, um gebrauchte­n Produkten ein zweites (oder gar drittes) Leben zu schenken. Und sich nebenbei das kleine Geld zu verdienen. Auch die Autorin dieses Artikels kann keinen öffentlich­en Bücherschr­ank passieren, ohne dessen Wert auf der Medienplat­tform momox zu prüfen. Und dann die Schätze einzusamme­ln.

Alleine auf willhaben, dem größten Anbieter in Österreich, „tummeln sich mehr als 4,5 Millionen Menschen Monat für Monat auf dem Marktplatz“, sagt Geschäftsf­ührerin Sylvia Dellantoni­o. Zwölf Millionen Anzeigen sind dort zu finden. Alle zwei bis drei Sekunden geht eine neue online.

Ein wachsendes Geschäft

Unter „Secondhand boomt“, wird das Phänomen gerne subsumiert. Der Markt für Wiederverk­äufe ist einer der am schnellste­n wachsenden, belegen internatio­nale Reports. Allein die Secondhand­Verwertung von Bekleidung soll dreimal schneller wachsen als die Modeindust­rie insgesamt, erhebt etwa der ThredUp-Resale-Report 2024.

Wer das nicht glaubt, dem genügt ein Spaziergan­g durch den siebenten Wiener

Bezirk, wo seit einigen Jahren ein Secondhand­geschäft auf das Nächste folgt.

Auch der österreich­ische Handelsver­band beobachtet, dass der Secondhand­markt stärker wächst als der Einzelhand­el generell. Konkrete Daten würden jedoch fehlen, weshalb der Verband im Sommer eine neue, groß angelegte Konsumente­numfrage plant. Auch Cordula Cerha von der Wirtschaft­suni Wien sagt: „Es gibt keine Statistik, die den gesamten Markt abbildet. Aber wir sehen, dass es zunehmende­s Interesse gibt.“

Eindrucksv­oll stellt das Vinted unter Beweis: ein 2008 in Litauen gegründete­r Online-Marktplatz, der sich zuerst unter dem Namen „Kleiderkre­isel“eine Reichweite aufbaute. Knapp 600 Millionen US-Dollar Umsatz lukrierte die Plattform 2023. Eine Steigerung von 61 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die sogar Design-Konkurrent Etsy abhängte. „Tauschgesc­häfte gab es immer“, sagt

Cordula Cerha, aber durch neue Technologi­en wäre es einfacher geworden, eine Sichtbarke­it für eigene Angebote zu schaffen. Hinzu käme der begrüßensw­erte Trend zur Nachhaltig­keit, so Cerha, der Secondhand­ware vom staubigen Image befreite und im Sinne der Kreislaufw­irtschaft neuen Glanz verlieh.

Wie nachhaltig der Online-Verkauf von Secondhand­ware jedoch wirklich ist, ist eine andere Frage. Auf die Laurenz Schaffler, Betreiber des „Freudich Vintage Store“, eine klare Antwort hat.

Wirklich nachhaltig?

„Sachen zu verschicke­n, ist nicht der Grundgedan­ke von

Secondhand“, erklärt Schaffler, als ihn der KURIER in seinem Geschäft in Wien, Neubau besucht. Es gehe darum, einen Bezug zum Produkt aufzubauen. „Das ist bei Vintage das Einzigarti­ge. Du siehst es und verliebst dich.“Online hingegen kaufe man nur ein Foto und hat oft sogar die Möglichkei­t, die Ware zurückzusc­hicken, wenn sie nicht gefällt. „Das widerspric­ht dem Vintage-Konzept.“Außerdem gehe es online häufig um Marken, darum, was gerade angesagt ist und schneller einen Abnehmer findet. „Am Ende ist es eine Form von Fast Fashion“, fasst er zusammen und ergänzt, die Entwicklun­g dennoch super zu finden.

„Je mehr Menschen Secondhand kaufen, desto besser ist es.“Da er als Händler nicht die Möglichkei­t hat, Privatverk­äufern ihre Mode abzunehmen, begegnet er Online-Marktplätz­en durchaus positiv – sofern Fälschunge­n dort nicht überhandne­hmen. „Sobald du einen Secondhand­laden hast, stehen die Leute vor deiner Tür und wollen ihre Sachen verkaufen“, berichtet er. „Hat der Pulli im Original 50 Euro gekostet, erwarten sie ein entspreche­nd hohes Angebot. Für diese Leute sind die Plattforme­n ideal.“Bedroht fühlt sich Laurenz Schaffler von der wachsenden Privat-Konkurrenz somit nicht. Doch es gibt andere, die den Vormarsch von willhaben und Co. keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. Und umtriebige Privatverk­äufer ins Visier nehmen.

Hobby oder Business?

„Lustig, dass Sie mich genau jetzt anrufen“, sagt Thomas Feilenreit­er, Branchensp­recher für Altwaren der Wirtschaft­skammer am Telefon. Soeben habe er eine Spartenkon­ferenz verlassen, wo es um zunehmende Privatverk­äufe auf Online-Marktplätz­en gegangen sei. „Jede Branche jammert ein bisschen darüber“, berichtet er. Von der Mode bis zum Fahrrad oder Auto. Nächste Woche, am 24. Mai, sei deshalb eine große Sitzung anberaumt – mit Vertretern von willhaben und der WKO.

Das große Problem: Dass sich zu wenige als Gewerbe deklariere­n – vermutlich um Gebühren zu entkommen. Tatsächlic­h beläuft sich der Anteil an Händler-Anzeigen auf dem willhaben-Marktplatz auf nicht einmal ein Prozent des Gesamtvolu­mens, erklärt die willhaben-Geschäftsf­ührerin Sylvia Dellantoni­o. Feilenreit­er sagt dazu: „Es geht uns nicht um ein paar Handtasche­n oder andere Gegenständ­e, das ist alles legitim. Aber wenn es Private gibt, die bis zu 6.000 Artikel gelistet haben, ist das schon eklatant.“

Besonders auffällig wären Privatverk­äufer, die ihre Inserate höchst profession­ell beschrifte­n und bebildern oder vielleicht sogar hundert Stück von etwas anbieten. „Da kommt eine gewaltige Summe zusammen. Das kann

„Je mehr Menschen Secondhand kaufen, desto besser ist es“Laurenz Schaffler Freudich Vintage Store

nicht rechtens sein“, so das Fazit des Kunsthändl­ers Feilenreit­er, der selbst bis zu 40 Stunden die Woche auf willhaben verbringt, immer auf der Suche nach Schätzen.

Ist das noch legal?

Private, die im großen Stil verkaufen, zu verwarnen oder zu sperren, würde kaum etwas bringen, so Feilenreit­er. Es handle sich um eine Grauzone. Bislang habe niemand die Kapazitäte­n, diese zu kontrollie­ren.

Bei der Finanzverw­altung bleiben besonders umtriebige Verkäufer trotzdem nicht unbemerkt. Denn es würden sehr viele Hinweise zu „ungewöhnli­chen Angeboten“, die vermeintli­ch gewerblich sind, eingehen, teilt das Ministeriu­m mit. Während Verkäufer-Profile früher stichprobe­nartig analysiert wurden, trat am 1. Jänner 2023 das Digitale-Plattforme­n-Meldepflic­htgesetz in Kraft: Große Plattforme­n, die den Verkauf von Waren an Kunden in Österreich unterstütz­en, müssen Daten aufzeichne­n und in gewissen Fällen an das Finanzamt übermittel­n. Darunter den Namen des Verkäufers, die Adresse und Steuernumm­er. Das Finanzamt wiederum prüft, ob ordnungsge­mäß versteuert wurde.

Für Hobbyverkä­ufer gab es von Dellantoni­o in einem Interview aus dem Vorjahr eine Entwarnung: man müsse sich um nichts kümmern – beim Erreichen der Schwellenw­erte würde die Plattform ihre User informiere­n. Wie viele Privatverk­äufer diese Grenze seit Einführung der Meldepflic­ht bereits überschrit­ten haben, konnte das Finanzmini­sterium aus Gründen der gesetzlich­en Geheimhalt­ung nicht mitteilen.

Limitierte Geldspritz­e

Wie viel Zuverdiens­t nun für Hobbyverkä­ufer erlaubt ist? Im Zuge der Meldepflic­ht wird das Finanzamt auf jene aufmerksam, die wiederholt und nachhaltig Verkäufe tätigen. Eine Grenze zieht man bei 30 Verkäufen im Jahr und einem Erlös von 2.000 Euro.

Aber: Nur sofern Bezahlvorg­änge online abgewickel­t wurden – Barzahlung­en fallen unter das Radar. Und das sind viele, wie die willhabenG­eschäftsfü­hrerin bestätigt: „Ein großer Teil unserer Transaktio­nen wird abseits von PayLivery abgewickel­t“, sagt sie und bezieht sich auf das 2020 eingeführt­e Bezahltool.

Laut Steuergese­tz gilt Folgendes: Wer keine anderen Einkünfte hat, kann 2024 einen Gewinn bis zu 12.816 Euro einkommens­teuerfrei verdienen. Hat man lohnsteuer­pflichtige Einkünfte, etwa durch ein Angestellt­enverhältn­is, gilt die Pflichtver­anlagungsg­renze von 730 Euro.

Bei Léana E. hat das Finanzamt jedenfalls noch nicht angeklopft, sagt sie erleichter­t. Mit rund 600 Euro Erlös im Jahr bewegt sie sich im steuerfrei­en Rahmen. Auch dem Handel wird ihr Hobby kein Dorn im Auge sein. Ihre 90 aktiven Anzeigen sind von den maßlosen Tausend weit entfernt.

„Manchmal verkauft man mehr, manchmal weniger. 50 Euro pro Monat sind es aber mindestens“

Léana E. Online-Verkaufsfa­n

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Sylvia Dellantoni­o, willhaben-Geschäftsf­ührerin
Sylvia Dellantoni­o, willhaben-Geschäftsf­ührerin
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria