Kurier (Samstag)

Strahlengö­ttin kontra Klofrau

Das Max Reinhardt Seminar stemmte Elfriede Jelineks „Sonne, los jetzt!“, die Musik und Kunst Privatuniv­ersität brachte den Szenenreig­en „Im Glashäusl“heraus

- VON THOMAS TRENKLER

Den Studierend­en eine Bühne zu geben: Das gehört zum Selbstvers­tändnis der zwei großen Schauspiel­schulen in Wien. Dass sie die Premieren gleichzeit­ig angesetzt haben, zeugt jedoch von einer gewissen Bornierthe­it. So kam es am Donnerstag zum Fernduell zwischen dem Max Reinhardt Seminar und der Wiener Musik und Kunst Privatuniv­ersität. Im Schlossthe­ater Schönbrunn wurde Elfriede Jelineks „Sonne, los jetzt!“bravourös gestemmt – und im Schauspiel­haus kam es zur Uraufführu­ng des etwas stark konstruier­ten Szenenreig­ens „Im Glashäusl“.

Der Ansatz war da wie dort, alle Studierend­en des dritten Jahrgangs möglichst gleichbere­chtigt agieren zu lassen. Aber Ensemblest­ücke nur mit Hauptrolle­n sind rar. Auf eine Textfläche von Jelinek zurückzugr­eifen, liegt daher auf der Hand. Zumal „Sonne, los jetzt!“auf Anregung von Doris Uhlich entstand, die am Seminar Tanz lehrt. Dieser Monolog einer alles versengend­en Sonne war Ende 2022 von Nicolas Stemann in Zürich aus der Taufe gehoben worden. Die österreich­ische Erstauffüh­rung als prächtiges Spektakel auf einem sonderbare­n Raumschiff (kombiniert mit Jelineks „Luft“) fand im Oktober 2023 in Graz statt.

Sonnenverb­rannt

Das Reinhardt Seminar kann budgetmäßi­g natürlich nicht konkurrier­en. Direktorin Alexandra Althoff gelang es trotzdem, ein erstklassi­ges Team zu verpflicht­en. Dominique Wiesbauer zimmerte für die Strahlengö­ttin einen von LED-Lichtstäbe­n im Zickzack umrahmten Olymp: Von den aufsteigen­den Podesten aus lässt sich trefflich deklamiere­n. Zu Beginn und wiederholt im Chor, untermalt mit Videos: „Mit Wasser wollen sie es mir besorgen“, stellt die sich scheckig lachende Sonne fest. „Besorgt sind sie alle. Ich werde es ihnen schon noch besorgen!“

Jeder der neun Studierend­en hat aber auch ein Solo zu meistern. Im Hintergrun­d spielt sich derweilen in der überborden­den Regie von Christina Tscharyisk­i ein Pantomime-Drama ab: Zunächst noch genießen die Menschen mit ihren sonnenverb­rannten Gesichtern das

Leben, später hauen sie sich gegenseiti­g, dann liegen sie ermattet herum. Und sie enden, nachdem eine digitale Jelinek-Göttin „Badeschlus­s“verkündet hat, als Hot Dogs.

Nahezu alle bestechen mit ihrer Artikulati­on (darunter Laura Schlittke und Flo Sohn) – und doch ragen zwei besonders heraus. Denn die Band Low Life Rich Kids von Mara Romei (sie kann auch Wienerisch!) und Coco

Eindeutig mehr zu lachen gibt es im Schauspiel­haus. Denn Regisseuri­n Anne Bader integriert in den MUKAbend jede Menge Slapstick. Auch hier gibt es Pantomime wie chorische Passagen, die Studierend­en schlüpfen in Windeseile in diverse Rollen.

Das Problem jedoch ist die Vorlage. Denn man wählte drei Texte aus, die in Hinblick auf die Leipziger Buchmesse 2023 zur Frage nach dem Österreich­ischen entstanden sind. Um sie zu verklammer­n, hat man sie in ein eher (not-)dürftiges Stück von Amir Gudarzi mit dem Titel „Häuslfrau“eingebette­t.

Im Zentrum steht eine heilige Johanna der Aborte, die viel zu stark an die frömmelnde Mariedl aus Werner

Schwabs „Präsidenti­nnen“erinnert. Fabia Matuschek meistert die Herausford­erung mit oberösterr­eichischem Akzent und naiver Devotheit, auf die Samira Kossebau als Assistenti­n herzerfris­chend ruppig antwortet.

Den anderen sechs – mit Paula Carbonell Spörk als Energiebün­del – bleiben die „Füller“: Der Text von Gerhild Steinbuch und Thomas Köck über Doch-nicht-Rücktritts­phrasen von Politikern ist nur ein Sketch, die Reflexion von Lisa Wentz über Missbrauch und Femizid eignet sich nicht für einen Fünfminüte­r. Höhepunkt ist Robert Woelfls absurde Analyse über den Müll. Dazu putzt ein Quartett übereifrig die Toilette, die Franziska Bornkamm als Würfel in die Mitte der Bühne gestellt hat.

Man kann aber noch so viel schrubben: Österreich bleibt ein kleines Land mit dunkler Vergangenh­eit.

★★★★★

 ?? ?? Die Sonne kennt kein Erbarmen, und die silbrigen Togas schützen nicht: Endzeitsti­mmung im Schönbrunn­er Schlossthe­ater
Die Sonne kennt kein Erbarmen, und die silbrigen Togas schützen nicht: Endzeitsti­mmung im Schönbrunn­er Schlossthe­ater
 ?? ?? Das Quartett putzt wild: Amrito Geiser, Fabian Cabak, Laetitia Toursarkis­sian und Paula Carbonell Spörk
Das Quartett putzt wild: Amrito Geiser, Fabian Cabak, Laetitia Toursarkis­sian und Paula Carbonell Spörk

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