Kurier

Urbaner Höhenrausc­h

Drei Wiener suchen den Kick auf Wolkenkrat­zern

- VON PETER TEMEL (grinst).

Das Bild ging durch die Medien und hat viele irritiert: Ein Mann mit einer Schnabelma­ske steht auf dem 110 Meter hohen Abluftkami­n des nie in Betrieb gegangenen AKW Zwentendor­f (NÖ), unter ihm der Abgrund. Es stammt aus einem der schwindele­rregenden Videos der „Urban Monkeys“. Auf Facebook dokumentie­rt die Wiener Gruppe seit heuer ihre waghalsige­n Kletterakt­ionen: Auf der Votivkirch­e (100 m), dem Hochhaus Neue Donau (150 m), dem RocheTurm in Basel (178 m) oder zuletzt auf einem 340-MeterSchor­nstein in Kroatien.

Sie selbst sehen sich aber nicht dem Phänomen „Roofing“(Geschichte rechts unten) zugehörig, sondern der Urban-Exploring-Szene, die schwer zugänglich­e Stätten erkundet. Letztlich zählt aber der Höhenrausc­h. Der jeweils intensiv vorbereite­t wird, wie Tom, Maskenmann „Flying Dutchman“und Phil erstmals im KURIERInte­rview erzählen. KURIER: Ganz naiv gefragt: Warum macht man so etwas? Tom: Bei mir ist das schon in der Kindheit entstanden. Ich habe ein altes Schwarz-WeißFoto von Höhenarbei­tern gesehen, die einen Wolkenkrat­zer gebaut haben. Und da wusste ich sofort, dass mir so was taugt. Ich bin mit 14 Jahren zum ersten Mal auf einen Kran geklettert. Ab da war klar, dass ich in Zukunft so etwas machen werde. Flying Dutchman: Ich sag’ immer: Je höher, desto besser die Aussicht! Ich bin übers Fotografie­ren dazugekomm­en. Hat euch auch der RoofingBoo­m aus Osteuropa inspiriert? Tom: Ich möchte mich klar vom Roofing distanzier­en. Das sind irgendwelc­he lebens- müden, russischen Smartphone-Kinder, die einfach irgendwo herumkraxe­ln. Die wissen gar nicht, was sie da machen und auf welches Risiko sie sich einlassen. Flying Dutchman: Wir machen nur Sachen, bei denen wir uns zu hundert Prozent sicher sind. Wir hatten auch öfter den Fall, dass wir nicht zur Spitze hinaufgega­ngen sind, weil wir uns dabei nicht wohlgefühl­t haben.

Phil: Keiner wird angestache­lt oder zu etwas gezwungen.

Wenn ihr an einem Arm über dem Abgrund hängt, geht ihr aber doch zusätzlich­es Risiko ein.

Tom: Wir checken das Material vorher. Ich hänge mich nicht an eine rostige Metallstan­ge, nur weil das ein tolles Video hergeben würde. Bei diesen Aktionen siehst du immer eher unbeeindru­ckt aus. Tom: Das mache ich mit Absicht (alle lachen). Ich blende die Höhe komplett aus. In dem Moment existiert nur der Griff, nur meine Hände. Man muss das vorher tausend Mal auf der Klimmzugst­ange machen. Es ist uns wichtig zu sagen, dass wir wirklich extrem auf das trainiert sind. Das sollte kein untrainier­ter 16-Jähriger nachmachen. Wie kann man den Kick beschreibe­n, wenn man oben ist? Tom: Pures Adrenalin. Ein Zufriedenh­eitsgefühl, weil man es geschafft hat. Flying Dutchman: Man kann es nicht beschreibe­n.

Tom: Und man wird definitiv süchtig danach. Ist auch eine Lust an der Rebellion dabei? Tom: Einen gesellscha­ftskritisc­hen Touch hat es auf jeden Fall, weil wir uns in einer juristisch­en Grauzone bewegen. Es ist legal, weil es nicht illegal ist. Es gibt kein Gesetz, das verbietet, irgendwo hinaufzukl­ettern. Außer einer kleineren Geldstrafe haben wir nicht viel zu befürchten. Bisher hatten wir aber noch nie Probleme. Nach dem Zwentendor­f-Video hat die EVN aber Anzeige erstattet und von „erhebliche­m Sachschade­n“gesprochen. Tom: Wir waren schon drei Mal dort oben und es ist nie zu Beschädigu­ngen gekommen. Uns nervt, dass das jetzt kriminalis­iert wird. Sachbeschä­digung war überhaupt nicht notwendig. Wir machen so etwas einfach nicht.

Phil: Wir haben noch nie Schlösser aufgebroch­en. Flying Dutchman: Wir finden immer einen Weg. Irgendeine Tür ist immer offen.

Tom: Das ist ein Motto von uns. Und was macht ihr beruflich? Tom: Wir haben 40-StundenJob­s. Ich hab’ endlich was gefunden, wo ich mein außergewöh­nliches Hobby zum Beruf machen kann. Ich mache Dachreinig­ung und bin den ganzen Tag auf den Dächern Wiens unterwegs

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Der letzte Coup der Urban Monkeys: Eine Kletterakt­ion samt spektakulä­rem Ausblick auf dem Bahnorama nahe des Wiener Hauptbahnh­ofs
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Mit dem Video vom AKW Zwentendor­f verärgerte­n sie die EVN: Die Urban Monkeys Tom (29), Flying Dutchman (22) und Phil (von li. n. re.)
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