Das ABC der „Schriftgelehrten“
Buchstabe um Buchstabe. Studenten der Kunst-Uni Linz analysierten die Typografie Wiener Gemeindebauten
Meist genügt ein Blick, um zu wissen: Das ist ein Wiener Gemeindebau. Das liegt zum einen an der unverwechselbaren Architektur, zum anderem an markanten Schriftzügen auf den Fassaden, oft in Form großer, roter Lettern – sie verraten Namen und Baujahr. Diese Schriftbilder sind im Stadtbild so augenscheinlich wie selbstverständlich. Dabei gibt es hier durchaus einiges zu hinterfragen. Um welche Art von Typografien handelt es sich? Wer hat diese Schriften entworfen? Welche Symbolik steckt dahinter?
Diesen und anderen Fragen sind nun erstmals Studenten der Kunstuniversität Linz, Abteilung Visuelle Kommunikation unter Leitung von Tina Frank, nachgegangen, indem sie Schriften etlicher Gemeindebauten unter die Lupe genommen, re-kreiert und benannt haben. „Zuerst wurden sie fotografisch dokumentiert, dann analog gezeichnet, dabei eventuell fehlende Buchstaben und Zeichen ergänzt und schließlich daraus eine digitale Neuauflage geschaffen“, sagt Projektleiterin Nataša Sienčnik. Am Ende ist daraus ein Open Repository entstanden, also ein offenes Archiv von Schriften, sowie eine Reihe von Typeface-Postern, die mögliche Anwendungsarten zei- gen. Präsentiert wurden die Arbeiten jüngst auch in der Schau „Typografie im Wiener Gemeindebau“, bei der die Studenten ihren Zu- und Umgang mit den jeweiligen Schriften erklärten. So haben etwa Sophia Wäger und Julia Gruber jene am Gemeindebau in der Wiener Vorgartenstraße, erbaut 1954–’56, analysiert. Wäger: „Diese Schrift hat nichts verspieltes. Sie ist geradlinig modern. Als spezielles, avantgardistisches Detail sind uns die mit Mosaik verzierten Hausnummern aufgefallen.“Diese Facette ist dann auch in der Neugestaltung der Schrift Soju und in das florale Abschlussplakat eingeflossen. Ein weiteres Beispiel: Schrift „Bella“. Adriana Koziar und Valentina Recheis haben sie am Pestalozzihof und am KloseHof entdeckt. Während letzterer auf einen blumigen Entwurf Josef Hoffmanns zurückgeht, wurde der schlichte Pestalozzihof von einer der wenigen Architektinnen der Zeit – Ella Briggs – entworfen. Aus einer Kombination ihres Vor- und Nachnamens entstand der Titel der neuen Schrift: „Bella“. Diese schöne und alle anderen Schriften können als Creative-Commons-Lizenz frei aus dem Web downgeloadet werden.