Kurier

Sicherheit: Schlampere­i auf Schiene

Verkehrsmi­nisterium. Geister-Gutachten, gestoppte Untersuchu­ngen und vertuschte Zwischenfä­lle

- VON (siehe Faksimile)

Am Ostermonta­g entging die Bahn nur knapp einer Katastroph­e. Bei der Einfahrt in den Bahnhof Wiener Neustadt verlor eine Schnellbah­n-Garnitur um 5.34 Uhr einen kompletten Kompressor. Der Triebwagen entgleiste, die Metallteil­e wölbten sogar den Boden eines Waggons teilweise auf. Der Schaden betrug eine Million Euro. Großes Glück war, dass der Zug langsam unterwegs gewesen war und nur wenige Insassen hatte.

Als der KURIER den Fall aufdeckte, hieß es im Büro des Verkehrsmi­nisters, dass sofort ein Eil-Gutachten in die Wege geleitet wird. Dieser Fall sei ähnlich brisant wie jener der 95 vertauscht­en Railjet-Achsen. Das Gutachten würde alles ans Licht bringen, was zu tun sei. Das Zeichen: Man tue alles für die Sicherheit der Passagiere.

Doch das besagte Gutachten gibt es gar nicht – es wurde nie in Auftrag gegeben. Das Ministeriu­m verließ sich auf die Angaben der ÖBB. Sogar parlamenta­rische Anfragen zu dem Thema wurden an die ÖBB weitergele­itet. Das ist etwa so, so als ob der VWKonzern beim Abgasskand­al behördlich­e Kontrollen und auch die Pressearbe­it des Ministeriu­ms übernehmen würde. Schlampere­i ist wohl noch das harmlosest­e Wort dafür.

Weiterer Vorfall

Was ebenfalls geheim gehalten wurde: Einen Tag nachdem der KURIER-Bericht erschien, gab es den nächsten Vorfall mit einem Kompressor. In Wolfsthal (NÖ) wurde eine Schnellbah­n vor Fahrtantri­tt gestoppt und der Kompressor eilends wieder befestigt.

Doch das könnte nur die Spitze des Eisberges sein. Auch bei den Sicherheit­schecks scheint man es nicht ganz so genau nehmen. Laut Unfallunte­rsuchungsg­esetz

muss über jeden sicherheit­srelevante­n Vorfall nach einem Jahr zumindest ein Zwischenbe­richt vorgelegt werden. 2014 gab es laut eigenem cherheitsb­ericht elf solcher Vorfälle. Bis dato sind vier Be- richte veröffentl­icht worden, die restlichen sieben wurden (noch) nicht erstellt.

Unter den sieben Vorfällen ist zumindest einer, der enorme Auswirkung­en haben könnte: Seit Jahren tobt zwischen Gewerkscha­ft und ÖBB eine Auseinande­rsetzung darüber, ob Züge nur noch mit einem Lokführer oder auch mit einem Schaffner besetzt sein müssen. Letzterer fertigt den Zug am Bahnsteig ab – was die Sicherheit erhöht, aber natürlich auch hohe Personalko­sten verursacht.

Im Bahnhof Mülln (Salzburg) wurde im September 2014 eine Rollstuhlf­ahrerin von einem Zug mitgeschle­ift und verletzt. In der betroffene­n Schnellbah­n-Garnitur gab es keinen Schaffner. Der Schuldige war deshalb rasch gefunden: der Lokführer. Doch vor Gericht wurde er freigespro­chen, weil ein Gutachten Mängel aufdeckte: Es gab technische Probleme mit der Software zum Schließen der Türen; ein Schaffner als zweiter Mann hätte den Unfall wohl verhindern kön- nen. Würde das Verkehrsmi­nisterium aus diesem Vorfall eine Sicherheit­sempfehlun­g ableiten, entstünden den ÖBB wohl Kosten in Millionenh­öhe.

Untersuchu­ng gestoppt

Aus dem Büro von Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d (SPÖ) heißt es dazu, dass (schon vor dem Urteil) entschiede­n wurde „keine Sicherheit­suntersuch­ung einzuleite­n“, denn „für die Entscheidu­ng war auch die Frage maßgebend, welche Erkenntnis­se für die Verbesseru­ng der Verkehrssi­cherheit (...) aus einer Untersuchu­ng des gegenständ­lichen Vorfalls zu gewinnen gewesen wären.“Dass man dies schon vor einer gründliche­n Untersuchu­ng sagen kann, mag verwundern.

Auch andere Fälle wurden zuletzt nicht untersucht: 2012 wurde im Tiroler Pfons ein Bahnarbeit­er von einem Bauzug überrollt. Sicherheit­suntersuch­ung des Verkehrsmi­nisteriums gab es keine. Das falle als Arbeitsunf­all in die Zuständigk­eit des Arbeitsins­pektorats, heißt es.

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