16 Tage heile Sportwelt
Olympische Spiele 1936. Während die Nazis der Welt Toleranz vorspielen, bereiten sie im Hintergrund den Krieg vor
Groß, blond, blauäugig – da steht Hitlers Mann, der Herrenmensch: Carl Ludwig „Luz“Long soll – auf Führerbefehl – die Überlegenheit der arischen Rasse mit einem Sieg über den Schwarzen James Cleveland Owens im Weitsprung amtlich machen. Wie schreiben August 1936 und Jesse Owens ist bei den Olympischen Spielen in Berlin der hohe Favorit, aber auch extrem nervös.
Da spricht ihn Luz Long in hartem Englisch an: „Jazzy Owenz, ich weiß, was in Ihnen vorgeht“. Der Deutsche redet seinem US-Rivalen gut zu und legt ihm als Orientierungsmarke sein Handtuch neben den Absprungbalken. Owens springt. Olympischer Rekord. „Alles, was ich Long anbieten konnte“, sagt er später, „war meine Freundschaft.“Der nimmt sie an und wird in der Neuen Leipziger Zei
vom 11. August 1936 mit einem damals außergewöhnlich mutigen, möglicherweise lebensgefährlichen Satz zitiert: „Der Kampf der Farben ist beendet. Schwarz war der Beste, einwandfrei der Beste, mit 19 Zentimetern vor Weiß.“
Die beiden Ausnahmesportler zeigen den Rassisten die lange Nase. „Luz erhielt von höchster Stelle den Verweis, nie wieder einen Neger zu umarmen“, vermerkt Longs Mutter Johanna darauf hin handschriftlich.
Als vor bald 80 Jahren die Olympischen Spiele in Berlin mit einem Fackellauf – dem ersten seit der Antike – und Pomp eröffnet werden, hat man gerade 600 Sinti und Roma in einem „Zigeunerlager“zusammengetrieben – unter unmenschlichen Zuständen hausen sie direkt neben den Abwässern der Millionenmetropole. Während der Spiele herrscht Ausnahmezustand – mit einer gespenstischen Doppelbödigkeit. Josef Goebbels verkündete in einer Olympia-Rede: „Wir wollen uns kennen- und schätzen lernen und dadurch eine Brücke bauen, auf der die Völker Europas sich verständigen können.“In seinem Tagebuch steht wahrheitsgetreuer: „Eine große Propagandatat.“
Scheinwelt
Darum sind auch die Schilder „Juden verboten“aus den Straßen verschwunden. Es wird gefeiert und gelacht, die Bars bleiben offen, auch wenn sie eigentlich nicht in das Deutschland-Bild der Nazis passen. Statt des Horst-Wessel-Liedes erklingt dort Swing. Dabei haben die Nazis den „Nigger-Jazz“längst verboten.
Im olympischen Dorf werden mehr als 140 Häuser (inklusive finnischer Sauna) in eine künstliche Seenlandschaft gebaut. Kein Geringerer als Richard Strauss, der sich für Sport nicht im Geringsten interessiert, komponiert die „Olympische Hymne“– „für die Proleten“, wie er an Stefan Zweig schreibt. Und Leni Riefenstahl dokumentiert alles in einem pathetischen Film. „Seit 1924 gab es die Auflage, einen offiziellen Olympia-Film anzufertigen“, erzählt Sportwissenschaftler Rudolf Müllner. „Weil es sich um kurze Dokumentarfilme handelte, fanden sie üblicherweise keine große Öffentlichkeit. Anders der Film von Riefenstahl: Der abendfüllende Kinofilm entwickelte immense politische Kraft.“Eindeutig: „Die Spiele 1936 waren Medienspiele.“
Hitler und sein Gefolge als friedliche, offene Weltbürger da- stehen lassen, das ist das Ziel der Spiele. „Die Spiele wurden instrumentalisiert“, sagt Müllner. Allerdings müsse man mit diesem Begriff vorsichtig sein. „Das klingt so, als gäbe es den guten, anonymen Sport, der den bösen Politikern gegenübersteht. So war es aber nicht. Viele Sportfunktionäre waren Nazis.“
Größenwahn
Die Zeichen des Bösen waren im Land der Spiele von 1936 bereits zu erkennen. Der Stil der Bauten und der Pomp rund um die Spiele zeigt den Größenwahn der Nazis. Die ungehemmte Neigung zum Monumentalen, zum Körper- und Feuer-Kult bricht durch. Und erste Boykott-Wellen gegen jüdische Geschäfte, erste staatlich organisierte Pogrome und die Nürnberger Rassengesetze sind schon Realität.
Aber all das reichte nicht für einen Boykott, wie es ihn bei späteren Spielen in Moskau und Los Angeles aus ganz anderen Gründen gab. Schließlich hatte die NaziDiktatur den freien Zugang „für alle Rassen und Konfessionen“garantiert. Und so kamen so gut wie alle nach Berlin. Bis auf wenige Ausnahmen: Judith Deutsch zum Beispiel. Das 16-jährige Mädl war 1935 zur besten österreichische Sportlerin gekürt worden. Am 26. Juni 1936 teilte sie mit, ihr „Gewissen verbiete ihr als Jüdin die Teilnahme“. Hunderte Drohbriefe folgten, Deutsch wurde mit zwei weiteren jüdischen Schwimmerinnen „wegen schwerer Schädigung des österreichischen Sportes und grober Missachtung des olympischen Geistes suspendiert“. Die Karrieren der drei Schwimmerinnen waren ruiniert.
Müllner: „Die Spiele ’ 36 sind ein Paradebeispiel für Politisierung von Sport. Auf fiese Weise wurde die schöne Oberfläche einer Diktatur inszeniert, während im Hintergrund der faschistische Angriffskrieg vorbereitet wurde.“Die politische Dimension sei gut – vor allem vom deutschen Sporthistoriker Horst Ueberhorst – erforscht, sagt Müllner: „Ueberhorst meinte: Es besteht kein Zweifel, dass die Spiele im politischen Kalkül Hitlers eine ganz bedeutende Rolle gespielt haben. Einerseits schweißt Sport die Leute innenpolitisch zusammen und macht einen Außenfeind – das wirkt systemstabilisierend. Andererseits wollte man außenpolitisch zeigen: Hier ist ein friedliebendes Land. Beides ist aufgegangen.“