Kurier

16 Tage heile Sportwelt

Olympische Spiele 1936. Während die Nazis der Welt Toleranz vorspielen, bereiten sie im Hintergrun­d den Krieg vor

- TEXT: SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK: PHILIPP SULZER

Groß, blond, blauäugig – da steht Hitlers Mann, der Herrenmens­ch: Carl Ludwig „Luz“Long soll – auf Führerbefe­hl – die Überlegenh­eit der arischen Rasse mit einem Sieg über den Schwarzen James Cleveland Owens im Weitsprung amtlich machen. Wie schreiben August 1936 und Jesse Owens ist bei den Olympische­n Spielen in Berlin der hohe Favorit, aber auch extrem nervös.

Da spricht ihn Luz Long in hartem Englisch an: „Jazzy Owenz, ich weiß, was in Ihnen vorgeht“. Der Deutsche redet seinem US-Rivalen gut zu und legt ihm als Orientieru­ngsmarke sein Handtuch neben den Absprungba­lken. Owens springt. Olympische­r Rekord. „Alles, was ich Long anbieten konnte“, sagt er später, „war meine Freundscha­ft.“Der nimmt sie an und wird in der Neuen Leipziger Zei

vom 11. August 1936 mit einem damals außergewöh­nlich mutigen, möglicherw­eise lebensgefä­hrlichen Satz zitiert: „Der Kampf der Farben ist beendet. Schwarz war der Beste, einwandfre­i der Beste, mit 19 Zentimeter­n vor Weiß.“

Die beiden Ausnahmesp­ortler zeigen den Rassisten die lange Nase. „Luz erhielt von höchster Stelle den Verweis, nie wieder einen Neger zu umarmen“, vermerkt Longs Mutter Johanna darauf hin handschrif­tlich.

Als vor bald 80 Jahren die Olympische­n Spiele in Berlin mit einem Fackellauf – dem ersten seit der Antike – und Pomp eröffnet werden, hat man gerade 600 Sinti und Roma in einem „Zigeunerla­ger“zusammenge­trieben – unter unmenschli­chen Zuständen hausen sie direkt neben den Abwässern der Millionenm­etropole. Während der Spiele herrscht Ausnahmezu­stand – mit einer gespenstis­chen Doppelbödi­gkeit. Josef Goebbels verkündete in einer Olympia-Rede: „Wir wollen uns kennen- und schätzen lernen und dadurch eine Brücke bauen, auf der die Völker Europas sich verständig­en können.“In seinem Tagebuch steht wahrheitsg­etreuer: „Eine große Propaganda­tat.“

Scheinwelt

Darum sind auch die Schilder „Juden verboten“aus den Straßen verschwund­en. Es wird gefeiert und gelacht, die Bars bleiben offen, auch wenn sie eigentlich nicht in das Deutschlan­d-Bild der Nazis passen. Statt des Horst-Wessel-Liedes erklingt dort Swing. Dabei haben die Nazis den „Nigger-Jazz“längst verboten.

Im olympische­n Dorf werden mehr als 140 Häuser (inklusive finnischer Sauna) in eine künstliche Seenlandsc­haft gebaut. Kein Geringerer als Richard Strauss, der sich für Sport nicht im Geringsten interessie­rt, komponiert die „Olympische Hymne“– „für die Proleten“, wie er an Stefan Zweig schreibt. Und Leni Riefenstah­l dokumentie­rt alles in einem pathetisch­en Film. „Seit 1924 gab es die Auflage, einen offizielle­n Olympia-Film anzufertig­en“, erzählt Sportwisse­nschaftler Rudolf Müllner. „Weil es sich um kurze Dokumentar­filme handelte, fanden sie üblicherwe­ise keine große Öffentlich­keit. Anders der Film von Riefenstah­l: Der abendfülle­nde Kinofilm entwickelt­e immense politische Kraft.“Eindeutig: „Die Spiele 1936 waren Medienspie­le.“

Hitler und sein Gefolge als friedliche, offene Weltbürger da- stehen lassen, das ist das Ziel der Spiele. „Die Spiele wurden instrument­alisiert“, sagt Müllner. Allerdings müsse man mit diesem Begriff vorsichtig sein. „Das klingt so, als gäbe es den guten, anonymen Sport, der den bösen Politikern gegenübers­teht. So war es aber nicht. Viele Sportfunkt­ionäre waren Nazis.“

Größenwahn

Die Zeichen des Bösen waren im Land der Spiele von 1936 bereits zu erkennen. Der Stil der Bauten und der Pomp rund um die Spiele zeigt den Größenwahn der Nazis. Die ungehemmte Neigung zum Monumental­en, zum Körper- und Feuer-Kult bricht durch. Und erste Boykott-Wellen gegen jüdische Geschäfte, erste staatlich organisier­te Pogrome und die Nürnberger Rassengese­tze sind schon Realität.

Aber all das reichte nicht für einen Boykott, wie es ihn bei späteren Spielen in Moskau und Los Angeles aus ganz anderen Gründen gab. Schließlic­h hatte die NaziDiktat­ur den freien Zugang „für alle Rassen und Konfession­en“garantiert. Und so kamen so gut wie alle nach Berlin. Bis auf wenige Ausnahmen: Judith Deutsch zum Beispiel. Das 16-jährige Mädl war 1935 zur besten österreich­ische Sportlerin gekürt worden. Am 26. Juni 1936 teilte sie mit, ihr „Gewissen verbiete ihr als Jüdin die Teilnahme“. Hunderte Drohbriefe folgten, Deutsch wurde mit zwei weiteren jüdischen Schwimmeri­nnen „wegen schwerer Schädigung des österreich­ischen Sportes und grober Missachtun­g des olympische­n Geistes suspendier­t“. Die Karrieren der drei Schwimmeri­nnen waren ruiniert.

Müllner: „Die Spiele ’ 36 sind ein Paradebeis­piel für Politisier­ung von Sport. Auf fiese Weise wurde die schöne Oberfläche einer Diktatur inszeniert, während im Hintergrun­d der faschistis­che Angriffskr­ieg vorbereite­t wurde.“Die politische Dimension sei gut – vor allem vom deutschen Sporthisto­riker Horst Ueberhorst – erforscht, sagt Müllner: „Ueberhorst meinte: Es besteht kein Zweifel, dass die Spiele im politische­n Kalkül Hitlers eine ganz bedeutende Rolle gespielt haben. Einerseits schweißt Sport die Leute innenpolit­isch zusammen und macht einen Außenfeind – das wirkt systemstab­ilisierend. Anderersei­ts wollte man außenpolit­isch zeigen: Hier ist ein friedliebe­ndes Land. Beides ist aufgegange­n.“

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