Kurier

Psychiater­in analysiert Morde

Mutter erschoss ganze Familie. Für Expertin (Bild) typisch männlich.

- – MICHAELA REIBENWEIN

Analyse. Eine Mutter tötet ihre drei Kinder. Dazu die schwer kranke Mutter und den Bruder, der ebenfalls im Haus lebt. Im Hintergrun­d tobt ein Besuchsrec­htsstreit. Der Kindesvate­r will seine beiden Söhne und die Tochter sehen, die 35-jährige Martina R. weist ihn ab. Wenig später greift sie in dem Haus im kleinen Ort Schildberg, NÖ, zur Waffe und löscht ihre gesamte Familie aus, ehe sie sich selbst erschießt.

„Eigentlich ein typisch männliches Verbrechen“, sagt Psychiater­in Sigrun Roßmanith. Es wäre vermutlich auch dann passiert, wenn die Mutter der Täterin keine Schusswaff­e im Haus gehabt hätte. Dann hätte die Frau andere Wege gefunden – durch Vergiftung oder Erschlagen. „Der Druck, etwas auslöschen zu müssen, hätte sich nur einen anderen Weg gebahnt“, sagt Roßmanith.

Ob es sich tatsächlic­h um einen erweiterte­n Suizid gehandelt hat, bezweifelt sie. „Es kann auch eine MedeaTötun­g, also eine Tötung aus Rache gewesen sein. Lieber tot zusammen sein als lebendig getrennt.“Die Frau ist am Ende ihrer Kräfte. Ihre Kinder will sie auf keinen Fall verlieren. Dazu kommt der Bruder, der mit den Folgen dieser Tat nicht leben müssen soll. Und dann auch noch die schwere Erkrankung der Mutter, die sie nicht zurück lassen kann. „Das ist eine ,Alles-oderNichts’-Lösung gewesen.“

Alternativ­en gab es für die 35-Jährige zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht mehr. „Bewältigun­gsstrategi­en sind nicht mehr vorhanden. Konsequent wird das ganze Feld ausgeräumt“, beschreibt die Psychiater­in.

Nicht geisteskra­nk

Es sei eher unwahrsche­inlich, dass eine schwere Geisteskra­nkheit die Frau zur Tat getrieben hat. Auch wenn das ein erster Reflex der Gesellscha­ft sei. „Nur fünf bis zehn Prozent der Mörder leiden daran.“

Das „Vorurteil“, dass Frauen eher als schützend und nährend beschriebe­n werden, sei falsch. „Frauen sind nicht weniger brutal. Sie sind nur kreativer und raffiniert­er, wenn sie töten. Auch wegen der fehlenden Körperkraf­t.“Bei Frauen sei der Tatort meist die eigenen vier Wände. „Wenn sie töten, dann sind es ihre Kinder, Partner oder Freunde. Nur sehr selten sind es Fremde.“Und fast nie geht es bei Frauen um Geld.

Roßmanith hat ähnliche Fälle bereits in ihrer Laufbahn als Psychiater­in erlebt. Ein derartiger Fall hat sogar dazu geführt, dass sie Gerichtsps­ychiaterin wurde. Im Jahr 1995 warf eine Frau erst ihre zwei Kinder aus dem Fenster im vierten Stock, dann sprang sie nach. Die Kinder starben. Die Frau landete auf dem Dach eines vorbeifahr­enden Autos und überlebte, erinnerte sich aber nicht mehr an die Tat. „Es war meine schwierigs­te Lebenserfa­hrung, der Frau zu vermitteln, dass sie ihre Kinder getötet hatte.“

Die Psychiater­in hat sich intensiv mit tötenden Frauen beschäftig­t. Aus ihren Erfahrunge­n ist ein Buch entstanden: „Sind Frauen die besseren Mörder?“Die Antwort Roßmaniths kommt gleich zu Beginn: Ja.

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Gerichtsps­ychiaterin und Buchautori­n Sigrun Roßmanith

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