Kurier

Altenpfleg­e als Opernsujet

Kritik. Thomas Desis „Tanzcafé Schweigepf­licht“noch bis 2. Juli

- – BARBARA PALFFY

In ihrem Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“resümiert Sonja Schiff Erlebnisse und Erkenntnis­se aus etwa 25 Jahren Altenpfleg­e. Das klingt nicht auf Anhieb nach einem Sujet für eine Musiktheat­erprodukti­on.

Und doch ist es Thomas Desi (Buch und Regie) gelungen, für die von ihm geleiteten Musiktheat­ertage Wien Episoden herauszufi­letieren, die unter dem Titel „Tanzcafé Schweigepf­licht“im Werk X mit hohem poetischen Potenzial diversen Grundsitua­tionen des Alters nachspüren.

Dabei ist auch immer wieder die Rolle der Pflegenden angesproch­en – sie können Stütze sein, Komplizen, Reibebaum… Entstanden ist eine dichte Szenenfolg­e, die mit starken emotionale­n Momenten geladen ist, ohne ins Peinliche abzugleite­n.

Da ist etwa das Ehepaar, das seit 60 Jahren mit einem vertrauten Ritual im gemeinsame­n Bett einschläft und um nichts in der Welt in Pflegebett­en umgetopft werden will. Oder die Geschichte einer schrullige­n Frau, die als „alte Jungfer“belächelt wird, bis sich herausstel­lt, dass ihr ihre Tochter im KZ unmittelba­r nach der Geburt weggenomme­n worden ist.

Die Umsetzung mit einem Team ganz junger Schauspiel­erInnen funktionie­rt über- zeugend. Vivienne Causemann, Da-young Cho, Shirina Granmayeh und Jakob Pinter schaffen in wechselnde­n Rollen Metamorpho­sen über die Generation­en hinweg und schärfen gerade durch die Verfremdun­g den Blick des Zuschauers.

Wesentlich­en Anteil an der Stimmigkei­t hat die Musik von Jörg Ulrich Krah, die mit Jazzelemen­ten ebenso jongliert wie mit Tanzmusik oder Opernzitat­en und die von ihm selbst (Cello) sowie von Joel Diegert (Saxophon) und Maciej Skarbek (Klavier) virtuos umgesetzt wird. Der Abend berührt und fasziniert.

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