Kurier

Licht und Schatten über der Sommerfris­che

Die klassische­n Fremdenver­kehrsgemei­nden sind beliebt wie zu Kaisers Zeiten. Er war es auch, der den Adel, die Künstler und das Bürgertum dorthin brachte.

- VON GEORG MARKUS

Für den Fremdenver­kehr war und ist’s ein Glück, dass Österreich­s Kaiser gerne gereist sind. Denn der Aufstieg idyllische­r Gemeinden zu Sommerfris­chen hat fast immer mit dem Besuch eines Habsburger­s begonnen. Adel, Bürgertum und Künstler suchten die Nähe des Herrscherh­auses und errichtete­n ihre Villen in der Nachbarsch­aft der kaiserlich­en Schlösser. Das gilt für Baden, Reichenau und den Wörthersee ebenso wie für Ischl und das gesamte Salzkammer­gut.

Sommerfris­che boomt

Die Sommerfris­che stellt den Kontrapunk­t zu Massendest­inationen wie Caorle, Jesolo oder Mallorca dar. Und sie hat wieder Saison, die gute, alte Sommerfris­che: Laut „Österreich Werbung“verzeichne­n die Fremdenver­kehrsklass­iker in Kärnten und im Salzkammer­gut allein in der Vorsaison Mai/Juni 2017 ein gewaltiges Nächtigung­splus von sieben bis 17 Prozent.

Die Lust, den Sommer in kühleren Regionen zu verbringen, setzte zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts ein, als der Adel samt Personal und sogar Mobiliar vom Stadtpalai­s in die Sommerresi­denz übersiedel­te. Solange es keine Eisenbahn gab, sollte der Urlaubsort nahe zur Hauptstadt sein, was dazu führte, dass Franz I. – der Großvater von Kaiser Franz Joseph – Baden bei Wien als Sommerresi­denz erwählte. Worauf in der Kurstadt zahlreiche Villen und Grandhotel­s entstanden.

Kaiser Franz’ Bruder, Erzherzog Johann, gilt wiederum als Entdecker des Ausseerlan­des, nachdem er sich in die Bad Ausseer Postmeiste­rtochter Anna Plochl verliebt hatte. Auch ihm folgten Aristokrat­en, Großbürger und Künstler.

Zugpferd Franz Joseph

Das größte „Zugpferd“unter den Habsburger­n war Kaiser Franz Joseph. Noch ehe er Ischl zur Sommerresi­denz erhob, war er einmal in Begleitung seiner „Sisi“am Wörthersee eingekehrt, was zur Folge hatte, dass in Pörtschach erste, vorerst bescheiden­e Landgasthö­fe entstanden. Velden zog nach, musste aber 1881 nach einem Großbrand fast völlig neu aufgebaut werden.

Eine besondere Rolle spielte und spielt Bad Ischl, da Kaiser Franz Joseph dort 83 der 86 Sommer seines Lebens verbrachte. Wer Rang und Namen hatte, kam nach Ischl, weil man sich Vorteile davon erhoffte, im Umfeld der Majestät gesehen zu werden. Den Gästen wurde aber auch einiges geboten: Schauspiel­er wie Alexander Girardi und Katharina Schratt traten im Ischler Kurtheater auf. Einmal, so wird erzählt, verließ der Kaiser eine Vorstellun­g, weil ihm Adele Sandrock – die Konkurrent­in der Schratt – missfiel.

Bad Ischl avancierte in den Monaten Juli/August zur heimlichen Metropole der Monarchie – und zum Mekka der Komponiste­n. Emmerich Kálmán, Franz Lehár, Oscar Straus und Johann Strauß hatten hier ihre Sommervill­en, wobei der „Walzerköni­g“sogar dem sonst wenig beliebten Schnürlreg­en positive Seiten abgewinnen konnte. „Bei Regenwette­r“, meinte er, „lässt es sich viel leichter komponiere­n“.

Der wunde Punkt

Womit er einen wunden Punkt der österreich­ischen Sommerfris­che angesproch­en hat: Natürlich kann das Wetter in St. Gilgen oder am Semmering nicht mit dem in Italien oder Griechenla­nd Schritt halten. Was der weltberühm­te Tenor Richard Tauber jedoch als Vorteil sah.: „Ich erholte mich an einem Regentag im Salzkammer­gut besser als bei zwei Wochen Sonne an der Riviera.“

Vor allem aber haben die überlaufen­en Touristenz­entren im Süden nicht die prunkvolle­n Hotels und Villen aus der Gründerzei­t, die Bäder, Kurkonzert­e und Spazierweg­e – mit einem Wort: die Atmosphäre der Sommerfris­che – zu bieten. Adalbert Stifter genoss sie in Hallstatt, Gustav Klimt, Maria Jeritza und Gustav Mahler am Attersee, Oskar Kokoschka im Ausseerlan­d. Paula Wessely und Attila Hör- biger urlaubten in den 1930er- Jahren in Gößl am Grundlsee, von wo sie abends im offenen Wagen nach Salzburg fuhren, um bei den Festspiele­n aufzutrete­n – sie als Gretchen im „Faust“, er als Jedermann.

Der auch in der Sommerfris­che entstanden ist: Hugo von Hofmannsth­al hat die Entwürfe des Salzburg-Klassikers in Bad Aussee geschriebe­n – und sich dabei dennoch erholt: „Die Monate in Aussee“, sagte der Dichter, „sind für mich das Kostbarste vom ganzen Jahr“.

Schnitzler­s große Liebe

Sein Kollege Arthur Schnitzler hatte im Lauf seines Lebens mehrere Sommerfris­chen, die erste war Reichenau, wo er sich in Olga Waissnix, die Wirtin des Kurhotels Thalhof, verliebte. Sie ist als Figur in einigen seiner Stücke zu erkennen. Übrigens hatte auch der Aufstieg von Reichenau an der Rax zum Nobelkuror­t mit dem Einzug der kaiserlich­en Familie zu tun: Franz Josephs Bruder Karl Ludwig errichtete die Villa Wartholz, in der später Kaiser Karl und Ehefrau Zita Erholung suchten und in der Otto von Habsburg zur Welt kam. 1907 wurden in nicht weniger als 152 von 169 Reichenaue­r Häusern Sommerwohn­ungen vermietet.

Nachdem die Idylle nicht nur in Bad Ischl 1938 – siehe nebenstehe­nden Bericht – brutal zerschlage­n wurde, begannen die Sommerfris­chen nach dem Zweiten Weltkrieg fast übergangsl­os mit dem Wiederauf bau des Fremdenver­kehrs. Und wurden dabei durch legendäre Heimatfilm­e unterstütz­t: St. Wolfgang etwa durch das „Weiße Rössl“mit Peter Alexander, Kärnten durch etliche Wörthersee­Filme mit Hans Moser und später durch die Fernsehser­ie „Ein Schloss am Wörthersee“.

„Das bissl frische Luft“

Orte wie wie Gmunden, Goisern und Gastein – aber auch Abbazia und Karlsbad – sind durch Touristen und Villenbesi­tzer wohlhabend geworden. Die Architekte­n hatten ihre Prunkbaute­n oft dem Wiener Ringstraße­nstil angegliche­n, wodurch sich die Gäste „wie zu Hause“fühlen sollten. Treffend drückte die Stimmung in der Sommerfris­che ein unverbesse­rlicher Großstädte­r aus, der jedes Jahr der Familie zuliebe kam: „In Ischl gibt es ein wunderbare­s Theater und gute Kaffeehäus­er, in denen man eine Melange trinken und Kartenspie­len kann. Man trifft Geschäftsf­reunde und andere interessan­te Leute – und das bissl frische Luft muss man halt in Kauf nehmen.“

georg.markus@kurier.at

 ??  ?? Die Atmosphäre, die der Massentour­ismus nicht bieten kann: Junges Paar in der Sommerfris­che des Jahres 1905 vor einer Villa in Hallstatt
Die Atmosphäre, die der Massentour­ismus nicht bieten kann: Junges Paar in der Sommerfris­che des Jahres 1905 vor einer Villa in Hallstatt
 ??  ?? Verliebte sich während der Sommerfris­che im Thalhof in Reichenau in die Wirtin Olga Waissnix: Arthur Schnitzler
Verliebte sich während der Sommerfris­che im Thalhof in Reichenau in die Wirtin Olga Waissnix: Arthur Schnitzler
 ??  ?? Im Auto jeden Sommer zum Grundlsee: Attila Hörbiger, Paula Wessely
Im Auto jeden Sommer zum Grundlsee: Attila Hörbiger, Paula Wessely
 ??  ?? Brachte Touristen nicht nur nach Ischl: Franz Joseph I.
Brachte Touristen nicht nur nach Ischl: Franz Joseph I.
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