Licht und Schatten über der Sommerfrische
Die klassischen Fremdenverkehrsgemeinden sind beliebt wie zu Kaisers Zeiten. Er war es auch, der den Adel, die Künstler und das Bürgertum dorthin brachte.
Für den Fremdenverkehr war und ist’s ein Glück, dass Österreichs Kaiser gerne gereist sind. Denn der Aufstieg idyllischer Gemeinden zu Sommerfrischen hat fast immer mit dem Besuch eines Habsburgers begonnen. Adel, Bürgertum und Künstler suchten die Nähe des Herrscherhauses und errichteten ihre Villen in der Nachbarschaft der kaiserlichen Schlösser. Das gilt für Baden, Reichenau und den Wörthersee ebenso wie für Ischl und das gesamte Salzkammergut.
Sommerfrische boomt
Die Sommerfrische stellt den Kontrapunkt zu Massendestinationen wie Caorle, Jesolo oder Mallorca dar. Und sie hat wieder Saison, die gute, alte Sommerfrische: Laut „Österreich Werbung“verzeichnen die Fremdenverkehrsklassiker in Kärnten und im Salzkammergut allein in der Vorsaison Mai/Juni 2017 ein gewaltiges Nächtigungsplus von sieben bis 17 Prozent.
Die Lust, den Sommer in kühleren Regionen zu verbringen, setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein, als der Adel samt Personal und sogar Mobiliar vom Stadtpalais in die Sommerresidenz übersiedelte. Solange es keine Eisenbahn gab, sollte der Urlaubsort nahe zur Hauptstadt sein, was dazu führte, dass Franz I. – der Großvater von Kaiser Franz Joseph – Baden bei Wien als Sommerresidenz erwählte. Worauf in der Kurstadt zahlreiche Villen und Grandhotels entstanden.
Kaiser Franz’ Bruder, Erzherzog Johann, gilt wiederum als Entdecker des Ausseerlandes, nachdem er sich in die Bad Ausseer Postmeistertochter Anna Plochl verliebt hatte. Auch ihm folgten Aristokraten, Großbürger und Künstler.
Zugpferd Franz Joseph
Das größte „Zugpferd“unter den Habsburgern war Kaiser Franz Joseph. Noch ehe er Ischl zur Sommerresidenz erhob, war er einmal in Begleitung seiner „Sisi“am Wörthersee eingekehrt, was zur Folge hatte, dass in Pörtschach erste, vorerst bescheidene Landgasthöfe entstanden. Velden zog nach, musste aber 1881 nach einem Großbrand fast völlig neu aufgebaut werden.
Eine besondere Rolle spielte und spielt Bad Ischl, da Kaiser Franz Joseph dort 83 der 86 Sommer seines Lebens verbrachte. Wer Rang und Namen hatte, kam nach Ischl, weil man sich Vorteile davon erhoffte, im Umfeld der Majestät gesehen zu werden. Den Gästen wurde aber auch einiges geboten: Schauspieler wie Alexander Girardi und Katharina Schratt traten im Ischler Kurtheater auf. Einmal, so wird erzählt, verließ der Kaiser eine Vorstellung, weil ihm Adele Sandrock – die Konkurrentin der Schratt – missfiel.
Bad Ischl avancierte in den Monaten Juli/August zur heimlichen Metropole der Monarchie – und zum Mekka der Komponisten. Emmerich Kálmán, Franz Lehár, Oscar Straus und Johann Strauß hatten hier ihre Sommervillen, wobei der „Walzerkönig“sogar dem sonst wenig beliebten Schnürlregen positive Seiten abgewinnen konnte. „Bei Regenwetter“, meinte er, „lässt es sich viel leichter komponieren“.
Der wunde Punkt
Womit er einen wunden Punkt der österreichischen Sommerfrische angesprochen hat: Natürlich kann das Wetter in St. Gilgen oder am Semmering nicht mit dem in Italien oder Griechenland Schritt halten. Was der weltberühmte Tenor Richard Tauber jedoch als Vorteil sah.: „Ich erholte mich an einem Regentag im Salzkammergut besser als bei zwei Wochen Sonne an der Riviera.“
Vor allem aber haben die überlaufenen Touristenzentren im Süden nicht die prunkvollen Hotels und Villen aus der Gründerzeit, die Bäder, Kurkonzerte und Spazierwege – mit einem Wort: die Atmosphäre der Sommerfrische – zu bieten. Adalbert Stifter genoss sie in Hallstatt, Gustav Klimt, Maria Jeritza und Gustav Mahler am Attersee, Oskar Kokoschka im Ausseerland. Paula Wessely und Attila Hör- biger urlaubten in den 1930er- Jahren in Gößl am Grundlsee, von wo sie abends im offenen Wagen nach Salzburg fuhren, um bei den Festspielen aufzutreten – sie als Gretchen im „Faust“, er als Jedermann.
Der auch in der Sommerfrische entstanden ist: Hugo von Hofmannsthal hat die Entwürfe des Salzburg-Klassikers in Bad Aussee geschrieben – und sich dabei dennoch erholt: „Die Monate in Aussee“, sagte der Dichter, „sind für mich das Kostbarste vom ganzen Jahr“.
Schnitzlers große Liebe
Sein Kollege Arthur Schnitzler hatte im Lauf seines Lebens mehrere Sommerfrischen, die erste war Reichenau, wo er sich in Olga Waissnix, die Wirtin des Kurhotels Thalhof, verliebte. Sie ist als Figur in einigen seiner Stücke zu erkennen. Übrigens hatte auch der Aufstieg von Reichenau an der Rax zum Nobelkurort mit dem Einzug der kaiserlichen Familie zu tun: Franz Josephs Bruder Karl Ludwig errichtete die Villa Wartholz, in der später Kaiser Karl und Ehefrau Zita Erholung suchten und in der Otto von Habsburg zur Welt kam. 1907 wurden in nicht weniger als 152 von 169 Reichenauer Häusern Sommerwohnungen vermietet.
Nachdem die Idylle nicht nur in Bad Ischl 1938 – siehe nebenstehenden Bericht – brutal zerschlagen wurde, begannen die Sommerfrischen nach dem Zweiten Weltkrieg fast übergangslos mit dem Wiederauf bau des Fremdenverkehrs. Und wurden dabei durch legendäre Heimatfilme unterstützt: St. Wolfgang etwa durch das „Weiße Rössl“mit Peter Alexander, Kärnten durch etliche WörtherseeFilme mit Hans Moser und später durch die Fernsehserie „Ein Schloss am Wörthersee“.
„Das bissl frische Luft“
Orte wie wie Gmunden, Goisern und Gastein – aber auch Abbazia und Karlsbad – sind durch Touristen und Villenbesitzer wohlhabend geworden. Die Architekten hatten ihre Prunkbauten oft dem Wiener Ringstraßenstil angeglichen, wodurch sich die Gäste „wie zu Hause“fühlen sollten. Treffend drückte die Stimmung in der Sommerfrische ein unverbesserlicher Großstädter aus, der jedes Jahr der Familie zuliebe kam: „In Ischl gibt es ein wunderbares Theater und gute Kaffeehäuser, in denen man eine Melange trinken und Kartenspielen kann. Man trifft Geschäftsfreunde und andere interessante Leute – und das bissl frische Luft muss man halt in Kauf nehmen.“
georg.markus@kurier.at