Wie die Politik 13 Milliarden weniger Steuerlast erreicht
Ehrgeiziges Ziel geht nur mit mutigen Reformen
Eigentlich sollte es an diesem Punkt der Koalitionsverhandlungen rasch vorangehen – bei den Staatsfinanzen verfolgen ÖVP und FPÖ das selbe Ziel. Zumindest auf dem Papier: Die Steuern sollen so reduziert werden, dass die Abgabenquote – also der Anteil der Steuern an der Wirtschaftsleistung – auf 40 Prozent fällt. Was 12 bis 13 Milliarden Euro Entlastung bedeuten würde. Ist das machbar? Die Reform 2016, die als bis dato größter Wurf verkauft wurde, hat nur 5,2 Milliarden Euro bewegt.
Wie sehr ähneln oder unterscheiden sich die Steuerpläne von ÖVP und FPÖ?
„Es gibt recht große Überschneidungen“, sagt Margit Schratzenstaller, Budgetexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Beide Parteien wollen die Lohnund Einkommensteuer senken und die kalte Progression abschaffen. Die Unternehmen würden massiv profitieren, wenn tatsächlich die Körperschaftsteuer auf nicht entnommene Gewinne wegfällt. Auch den Familien wurden üppige Steuerzuckerl versprochen. Große Einigkeit gibt es freilich auch bei dem, was dezidiert ausgeschlossen wird (Erbschaftsoder Vermögensteuern etwa) oder unerwähnt bleibt, wie höhere Umweltsteuern.
Eine Abgabenquote von nur noch 40 Prozent des BIP: Wie soll sich das ausgehen?
Die FPÖ hat dazu mit Details geknausert, die ÖVP zumindest eine grobe Rechnung angestellt (vgl. Grafik). Die zäumt das Pferd von hinten auf: Bis 2022 soll die Wirtschaft jährlich im Durchschnitt um 3,5 Prozent nominell, also inklusive Inf lationsrate, wachsen. Am Ende würde das Bruttoinlandsprodukt somit 428 Milliarden Euro ausmachen. Damit die Abgabenquote dann auf 40 statt 43,2 Prozent (2015) kommt, dürften die Staatseinnahmen nur 171 Milliarden Euro betragen. Daraus errechnet das Kurz-Team 12 bis 14 Milliarden Euro Einsparungsbedarf, ebenfalls bis 2022.
Zur Gegenfinanzierung soll höheres Wachstum 4 bis 5 Mrd. Euro zusätzlich einbringen. Wie funktioniert das?
Aus heutiger Sicht ist die Wachstumsannahme durchaus plausibel – das Wifo geht bis 2022 von real 2 Prozent Plus jährlich aus. Rechnet man eine Inflationsrate von 1,5 bis 2 Prozent dazu, wä- ren nominell 3,5 Prozent Wachstum durchaus drin. „Ein ausgezeichnetes Zeitfenster für Reformen“, findet Deloitte-Österreich-Chef Bernhard Gröhs – zumal die Zinskosten historisch niedrig sind. Mit klugen Steuersenkungen für die Unternehmen könne Österreich „auf dieser Welle reiten“und höheres Wachstum als Deutschland erzielen – wie nach der Öffnung in Osteuropa. Die Erwartung wäre, dass die Firmen mehr investieren, die Bürger konsumieren und die Arbeitslosigkeit sinkt, was für den Staat mehr Einnahmen und weniger Kosten bedeutet. Der Grad der Selbstfinanzierung sei aber „relativ optimistisch angesetzt“, sagt Schratzenstaller. Schließlich soll der Staat zugleich seine Ausgaben deutlich kürzen – was das Wachstum belastet.
Wo lassen sich mit einer „Ausgabenbremse“4 bis 5 Milliarden Euro einsparen?
Da wurde an allen Details gespart. Die Staatsausgaben dürften nur im Ausmaß der Inflation steigen. Viele Pflichtausgaben sind aber nicht so einfach zu deckeln. Und die Etats für Verteidigung und Öffentliche Sicherheit, die ÖVP und FPÖ wohl am Herzen liegen, sind seit 2013 ebenfalls über der Inf lationsrate gestiegen.
„Die großen Reformbereiche wären bekannt: Pensionssystem, Föderalismusreform, Spital- und Gesundheitswesen“, zählt Schratzenstaller auf. Die Frage sei, ob das politisch durchsetzbar ist und wie schnell die Einsparungen wirken. Denn ein großer Wurf braucht eine Vorlaufzeit. „Eine Milliarde Euro pro Jahr einsparen halte ich für völlig unproblematisch“, sagt indes Gröhs. Das sei „querbeet mit dem Rasenmäher machbar“. Wird die kalte Progression tatsächlich abgeschafft, sei strikte Budgetdisziplin ohnehin ein Muss. Das werde nicht ohne Schmerzen bleiben: „Wenn gebremst wird, quietscht es.“
„Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen“lautete ein Kurz-Wahlslogan. Wie viel bringt das fürs Budget?
Die ÖVP glaubt, dass hier 1,5 Milliarden Euro zu holen wären – erwähnt sind sehr vage die Kosten der Flüchtlingsbetreuung. Über eine Absenkung der Mindestsicherung müssten sich die Länder einig werden. Die viel diskutier- te Familienhilfe, die für Kinder ins Ausland überwiesen wird, macht nur 273 Millionen Euro aus – und Kürzungen wären hier EU-rechtlich umstritten. „Das ist kein großer Brocken im Ausgabensystem“, sagt Schratzenstaller.
Wie viel ist bei der Sozialversicherung zu holen?
Rund 700 Millionen Euro Einsparungen schweben Kurz vor, davon 200 Millionen Euro in der Verwaltung und 400 Millionen Euro durch weniger KrankenhausAufenthalte und mehr ambu- lante Behandlungen. „Krankenhäuser sind die teuerste Variante der Gesundheitsversorgung“, sagt Ex-Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler. „Hier könnten insgesamt bis zu 3,5 Milliarden Euro eingespart werden. Das muss aber langsam angegangen werden und ohne Qualitätsverluste.“Die Straffung der Verwaltung der Sozialversicherungen bringt jährlich rund 152 Millionen Euro oder zehn Prozent des gesamten Kostenaufwands. Das belegt eine Studie des Schweizer Beratungsunternehmens c-alm vom März 2017, die von der Wirtschaftskammer in Auftrag gegeben wurde. Bei den Gebietskrankenkassen beträgt das Einsparpotenzial 12 Prozent, bei der Pensionsversicherung 15 Prozent, bei der BVA (Öffentlich Bedienstete) 31 Prozent, bei der Versicherungsanstalt für Eisenbahner 26 Prozent und bei der SV der Bauern 19 Prozent. Außerdem könnte die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen – je nach Variante – weitere 80 bis 139 Millionen Euro bringen.
Was kann eine Verschlankung der öffentlichen Verwaltung bringen?
Laut ÖVP etwa eine Milliarde Euro. „ Im Schulwesen gibt es ein Einsparungspotenzial von zumindest 800 Millionen Euro“, sagt Fiedler. „Dieser Betrag versickert in der Schulverwaltung.“Diese Verschwendung könnte durch „Leitung aus einer Hand“abgestellt werden. „Die Pflichtschulen gehören in die Vollziehung der Länder, die höheren Schulen in die des Bundes“, sagt Fiedler. Außerdem könnten die Gebietskörperschaften redu- ziert werden. 2100 Gemeinden gibt es in Österreich. Deutliche Einsparungen könnten durch Zusammenlegungen erzielt werden. „Schweden ist fünf Mal größer als Österreich, aber hat die Zahl der Gemeinden auf 290 reduziert“, sagt Fiedler. Die Gemeinde-Zusammenlegungen in der Steiermark konnten nur gegen heftigen Widerstand durchgeführt werden.
800 Millionen Euro soll der Kampf gegen Steuerflucht bringen. Geht sich das aus?
Anonyme Großkonzerne geben im Wahlkampf eine dankbare Zielscheibe ab. Sind dort 800 Millionen zu holen? „Das glaube ich nicht“, sagt Gröhs. „Das scheint mir eher hoch gegriffen“, kommentiert Schratzenstaller.