Datenschützer übt Kritik: „Das ist ein Armutszeugnis“
Rund 80 Anzeigen wegen Körperverletzung. So viele wurden von den Tirol Kliniken, die unter anderem die Innsbrucker Universitätsklinik verwalten, alleine im Jahr 2017 registriert. Die Gewaltbereitschaft von Patienten und Angehörigen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Zu Opfern von Attacken wird immer wieder auch das Krankenhauspersonal.
Die Tirol Kliniken werden Sicherheitsmitarbeiter künftig mit Bodycams (am Körper getragene Kameras) Dienst versehenlassen.„Ichgehedavon aus, dass wir die ersten im deutschsprachigen Raum sind“, sagte Jürgen Schreiber, Security-Manager der Klinik, am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.
Aggressoren werden ab Montag bei einem Einsatz ihr eigenes Bild auf dem Bildschirm der mitgeführten Kameras sehen können. Das soll deeskalierend wirken. Läuft die Situation weiter aus dem Ruder, wird der Einsatz nach einem Hinweis des Security in Bild und Ton aufgezeichnet.
„Böse Menschen machen vor Spitälern nicht halt“, sagt Schreiber. Mussten seine Mitarbeiter2013rund330 Malzu Einsätzen – darunter auch Verstöße gegen das Hausrecht durch Ruhestörer – ausrücken, so waren es 2017 schon 950 Fälle. Schreiber ortet aber vor allem eine Zunahme der Gewaltbereitschaft: „Wo früher eine Ohrfeige gegeben wurde, wird heute mit der Faust zugeschlagen“, sagt er.
ÜberdievergangenenJahre wurden Sicherheitspersonal und Dienstzeiten aufgestockt. An der Innsbrucker Klinik sind in der Zwischenzeit rund um die Uhr vier Mitarbeiter im Einsatz. Dass die nun auch Bodycams tragen sollen, ist nicht zuletzt zwei Vorfällen im vergangenen Jahr geschuldet, die auch für Schlagzeilen sorgten.
„Die Auseinandersetzung von zwei rivalisierenden Gruppen in der Stadt hat sich bis ins Krankenhaus fortgesetzt. Es wurde aufeinander eingeschlagen und eingestochen“, erzählt Schreiber.
ÖBB sind zufrieden
Behandlungsräume werden aber – wie auch Patientenzimmer – für die Bodycams tabu bleiben. Das ist eine Auflage der Datenschutzkommission, die den Einsatz genehmigt hat. Eine Genehmigung gab es 2016 auch für die ÖBB, die seither Sicherheitsmitarbeiter mit Bodycams auf den Bahnhöfen Wien, Linz und Graz einsetzt. „Die Erfahrungen sind gut“, sagt ÖBB-Sprecher Roman Hahslinger. Das Projekt soll ausgeweitet werden.
Der Einsatz von Bodycams wurde im Vorjahr auch im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) diskutiert. Mittlerweile ist dies jedoch kein Thema mehr. „Für das Personal finden regelmäßige Deeskalationsschulungen statt“, sagt eine Sprecherin. „Es gibt Sicherheitsdienstleistungen, ausgebildete Deeskalationsmanager vor Ort und teilweise Videoüberwachung.“ Reaktionen. Hans Zeger von der ARGE Daten (Österreichische Gesellschaft für Datenschutz) – gilt als Vorkämpfer für diesen. Dass die Tirol Kliniken in Innsbruck und Hall nun aufgrund wachsender Gewaltbereitschaft von Patienten und Angehörigen Bodycams zum Einsatz bringen wollen, löst bei dem Experten Kopfschütteln aus.
„Wenn ich offensichtliche Probleme nur durch Bodycams lösen kann, dann ist das in Wahrheit ein Armutszeugnis und ein Hinweis auf mangelnde Befugnis, so eine Institution zu führen“, reagiert Zeger harsch. „Ich will nicht die Täter schützen. Aber mit so einer Maßnahme signalisiere ich jedem, der ins Spital kommt, dass ich ihn nicht als Hilfesuchenden, sondern als Gefahr betrachte.“
Recht auf Sicherheit
Sigrid Pilz, als Wiener Patientenanwältin für die größte Krankenhauslandschaft Österreichs zuständig, sieht die Angelegenheit differenzierter. „Die Gewaltbereitschaft von aggressiven Patienten und Angehörigen im Bereich der Spitäler ist ein Thema. Die Mitarbeiter haben ein Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz“, stellt sie fest. Vor dem Einsatz von Bodycams müsse man sich zunächst aber die Ursachen ansehen. „Das Gesundheitswesen hat auch eine Bringschuld“, sagt Pilz.
Überfüllte Ambulanzen und mangelnde Informationen für wartende Patienten: „Das alles macht Stress“, sagt Pilz. Polemisch geführte Debatten über Mängel im Gesundheitssystem würden Unsicherheit, die zu Aggression führen kann, schüren: „Daraus entsteht bei manchen das Gefühl, dass ihnen etwas vorenthalten wird.“Pilz stellt klar, dass „sich niemand Übergriffe bieten lassen muss“.
Wenn Krankenhäuser jedoch auf Security mit Bodycams setzen, müssten Patienten mit gut sichtbaren Hinweisen darauf aufmerksam gemacht werden. Der Datenschutz beachtet werden. „Der Einsatz von Bodycams darf nur zur Wahrung der Sicherheit von Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern dienen.“