Besuch beim Hoffnungsträger
SebastianKurzmacht sich vordemEU-Afrika-Forumselbst ein Bild vorOrt
Gesperrte Straßen, Soldaten mit Gewehren am Straßenrand: KeineFrage, AddisAbeba erwartethohenBesuch.Werda im Autokonvoi vomFlughafen Richtung Innenstadt fährt, wirddenBewohnernderäthiopischen Hauptstadt schnell klar– wehendochallepaarMeter österreichische Fahnen. Ebenfalls alle paar Meter hängen Plakate mit jeweils zwei Gesichtern: das des äthiopischen Regierungschefs und das seines österreichischen Kollegen. Eineinhalb Wochen vor dem EU-Afrika-Forum zum Thema Digitalisierung und Innovation inWien besuchte Sebastian Kurz – auch in seiner Rolle als EURatsvorsitzender – am Donnerstag den erst seit kurzem regierenden Abiy Ahmed.
Hoffnungsträger
Bisher im Westen weitgehend unbekannt, ist der ExMilitärundEx-Geheimdienstler binnen acht Monaten zum Hoffnungsträger avanciert und wird als derzeit größter politischer und wirtschaftlicher Reformer des afrikanischen Kontinents gefeiert. Auch in der EU, der nicht zuletzt dank der Migration wirtschaftlicheundpolitischeEntwicklung in Afrika ein Anliegenist. DiewirtschaftlicheZusammenarbeit stärken, um die Entwicklung in Afrika voranzutreiben und die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern – das ist das Motto der Afrika-Reise, die Kurz noch bis Samstag absolviert.
Eine besonders große Chance, dass dieses Vorhaben auch gelingt, sieht der Kanzler in Äthiopien. Er bewundere, wasAbiyAhmedfür sein Land tue, streute Kurz dem 42-Jährigen bei einer Pressekonferenz Rosen, denn er mache Äthiopien zu einem „Role Model“für lebendige Demokratien in Afrika. Abiy gab das Lob zurück: Er freue sich, einen ebenfalls jungen Kollegen begrüßen zu dürfen, diktierte er in die zahlreichen Mikrofone und nannte Kurz mehrmals „meinen Bruder“. Österreich, das Äthiopien bereits 1992 zum Schwerpunktland seiner Entwicklungszusammenarbeit gemacht hat, sei einer „der ältesten Freunde“seines Landes, soAbiy.
Tatsächlich hat der Premierminister – oder Dr. Abiy, wie er im Land genannt wird – Beachtlichesgeschafft. Ende März übernahm er die Regierungsgeschäfte von HailemariamDesalegn.
Skeptiker, dieihnihmbloß einen weiteren Apparatschik sahen, belehrte Abiy eines Besseren. Er beendete den Grenzkrieg mit Eritrea, besetzte die Hälfte seines Kabinetts, den Posten des Höchstrichters und das Amt des Staatspräsidenten mit Frauen – was Kurz zu dem Scherz veranlasste, in Sachen Frauenpartizipation sei Äthiopien einVorbild für Österreich.
Zudem entließ Abiy RegimegegnerausderHaft, politische Parteien, die als Terrorgruppen gebrandmarkt und verbotenwaren, wurden wieder zugelassen. Medien dürfen heute deutlich freier berichten, Oppositionelle kehren von ihren Anhängern gefeiert nachÄthiopien zurück.
Wachstumsraten von zuletzt sieben Prozent, milliardenschwere Infrastrukturprojekte und gut ausgebildete junge Menschen machen das Land zudem für Investoren aus dem Ausland interessant, allen voran das in Afrika massiv engagierteChina.
Große Probleme
Der Jubel über die großen Erfolge lässt leicht vergessen, dass Äthiopien, früher vor allemwegenHungersnöten bekannt, immernochmit vielen Problemen zu kämpfen hat, die massiv zur Migration nach Europa beitragen. Zwei Drittelderrund105Millionen Äthiopiersindunter25, esgibt zwar viele hochgebildeteUniAbsolventen, aber kaum Jobs; Beschäftigungsprogramme fehlen. Die Städte boomen, die Mehrheit der Menschen lebt als Selbstversorger von der Landwirtschaft.
Immer noch zählt das LandzudenärmstenderWelt. Dochgeradedasmotiviertviele Junge, in Addis Abeba hat sicheineStart-up-Szeneetabliert, von der sich Kurz und mitreisende Vertreter österreichischerUnternehmen, darunter Vamed und Doppelmayr, ein Bildmachte.
Großes Konfliktpotenzial bieten allerdings auch die 80 Ethnien, die im Land leben, Extremisten im Ausland heizen die Stimmung auf. Allein heuer mussten laut demGenfer „Beobachtungszentrum für Binnenvertriebene“(IDMC) 1,4 Millionen Menschen wegen Gewaltausbrüchen ihr Zuhause verlassen, was Äthiopien zum Land mit denweltweitmeistenBinnenvertriebenenmacht.
Heute, Freitag, reist Kurz weiter nach Ruanda, das er als zweites „aufstrebendes Fortschrittsund Innovationsland“bezeichnet, trotz menschenrechtlicherDefizite.