Eine Frage des Formats: Jérôme Dreyfuss
Exakt wie in seiner Designsprache ist Jérôme Dreyfuss auch in persona kein Freund von ausschweifenden Formulierungen. Mit der Modebranche geht der Gründer des gleichnamigen Taschen-Labels gleichermaßen hart als auch erfrischend ehrlich ins Gericht.
Ihre Marke ist seit fast 20 Jahren auf dem Markt, Sie sind noch länger in der Branche tätig. Wie hat sich die ModeIndustrie in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert?
Die größte Veränderung ist, dass sich die Frequenz von Kollektionen erheblich intensiviert hat. Wir haben auch die Geburt von großen Konglomeraten mit exorbitanten finanziellen Mitteln erlebt, die die Kreativität unserer Branche ebenso professionalisiert wie abgetötet haben. Das Ergebnis ist ein sehr hoher Grad an Komplexität, eine Diversifizierung der Akteure und der Kunden und auch ebenso der zunehmenden Vermarktung. Wir beobachten auch ein echtes ökologisches Bewusstsein, aber es ist noch lange nicht ausreichend.
Man hat fast das Gefühl, dass zumindest im vergangenen Jahrzehnt von einem Paradigmenwechsel in der Mode gesprochen wurde ...
Er ist im Gange. Es gibt ein neues Bewusstsein in der Branche, auch wenn nicht alle mit der gleichen Ehrlichkeit an dem Prozess beteiligt sind. Was heute fehlt, ist eine wirkliche Veränderung der regulatorischen Rahmenbedingungen.
Revolution ist auch hier ein sehr gutes Stichwort: Mode lebt bekanntlich vom Wandel, aber was ist wirklich neu und innovativ?
Kunsthandwerk und Savoir-faire. Diese Werte sind nach und nach der Kommunikation und dem ständigen Streben nach Neuem zum Opfer gefallen. Heute ist es in der Mode revolutionär, zu dieser Kultur des „Machens“zurückzukehren.
Welche dieser Entwicklungen haben einen besonderen Einfluss auf Ihre Marke?
Die Handwerkskunst rund um Leder. Ich kämpfe dafür, dass wir nicht dem Gebot der starren, unbeweglichen Tasche nachgeben. Leder ist ein natürliches Material, das leben muss!
Generell wird der Branche vorgeworfen, in der Vergangenheit gesellschaftspolitische Missstände verschärft zu haben, anstatt konstruktiv zu einer Lösung beizutragen. Wie politisch und aktivistisch kann oder sollte eine Marke sein?
Ich halte nichts davon, sich zu politisch oder zu forsch zu äußern, denn dafür wird die Mode nie genug Legitimation haben. Andererseits müssen wir danach streben, Dinge besser zu machen, jeder auf seiner Ebene, aber auch kollektiv, indem wir neue Standards und Regeln einführen.
Ein sehr populäres Schlagwort ist Nachhaltigkeit, für die Sie sich schon lange engagieren. Wie gehen Sie konkret mit diesem Thema um? Und – Hand aufs Herz – stehen Mode und Trends nicht im Widerspruch dazu?
Ja, da gibt es viel Scheinheiligkeit. Das Wichtigste für mich, für mein Unternehmen, ist, auf allen Ebenen einen Fortschritt voranzutreiben. Wir sind uns alle bewusst, dass die Modebranche eine extrem umweltverschmutzende Industrie ist, deswegen lautet mein Appell: Lasst uns versuchen, sie von innen heraus zu reformieren, anstatt nur am Tag der Erde Marketingkampagnen zu schalten!
Was treibt Ihre persönliche ästhetische Entwicklung noch an?
Meine Inspirationen kommen aus verschiedenen persönlichen Leidenschaften wie zum Beispiel der Architektur. Man findet auch oft Bezüge zur Berufsbekleidung: die nüchternen Linien, die Nähte, die metallischen Accessoires ...
Sie sagten in einem Interview, dass Sie beim Entwerfen immer mit einem Problem beginnen – was sehen Sie in der Zukunft auf sich zukommen?
Wenn ich ein neues Design beginne, frage ich mich, mit welchen aktuellen Herausforderungen die Frauen von heute konfrontiert sind. In 20 Jahren hat sich ihr tägliches Leben verändert, und sie haben neue Ansprüche. Ich muss praktische und funktionelle Taschen vorschlagen, die all diese Aspekte berücksichtigen. Die Funktion ist und bleibt mein Hauptanliegen.