Farbsymphonie: Die BeautyLooks der Saison
Die Make-up-Trends für den Herbst gleichen einer Partitur: Die Noten sind Farben und Formen, die zu einem Orchester an ikonischen Looks verschmelzen. Gemeinsam nehmen sie uns auf eine stilistische Zeitreise mit.
Den Auftakt machen die 70er, die 90er bilden den Ausklang.
Was normalerweise der Mode vorenthalten bleibt, sich Stilikonen der Geschichte zu bedienen, rückt diesen Herbst die Make-upTrends in ein ganz neues Licht. Von Versace bis Dolce&Gabbana wandern sie diese Saison die stilistische Tonleiter hoch und runter. Man könnte fast meinen, der bittere Verlust von Kunst und Kultur im vergangenen Jahr hat nicht nur Spuren von Tristheit und Demut hinterlassen, sondern auch so manche Designer zu künstlerischen Höchstergüssen beflügelt – getragen von der Inspirationsquelle Nummer eins: der Musik. Mit einem Paukenschlag eröffnen die Laufsteg-Looks ein Klangspiel aus Farben, angelehnt an die aufregendsten Musik-Äras der Geschichte – eine taktvolle Zeitreise, die all jene Stile honoriert, die damals für Aufsehen gesorgt und ganze Generationen geprägt haben. Auch noch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Blütezeit manifestieren sie ihre Gültigkeit und Wirkungskraft. Allen voran geht ein melodisches Quartett vier unterschiedlicher Prêt-à-porterLooks, die uns zurück in die Vergangenheit bringen und Stilnote für Stilnote ein rhythmisches Konzert der schönsten Farben für den Herbst wiedergeben.
Glamourmania
Als die Kunstfigur Ziggy Stardust die Bühne betrat, war klar: Klassische Geschlechterrollen sind passé. Die Kombination aus femininen Glitzer-Kostümen und androgynem Make-up zu Beginn der 1970er-Jahre durch Stars wie David Bowie revolutionierten den vorherrschenden Stil und wurden zum Erkennungsmerkmal des in London entstandenen Glam Rocks. Mit der Verschmelzung von männlichen und weiblichen Stilelementen, die bis dato stark getrennt gehalten wurden, arrangierte man sich neu: Gender-Normen wurden kulturell wie stilistisch aufgebrochen – eine Ästhetik, die heute wie damals für Aufsehen und gleichzeitig für absoluten Glamour sorgt. Beim Makeup dominierten futuristische Akzente, sie verhalfen den ungewöhnlichen Fashion Looks zu noch mehr Starpotential. Genau dieser Stil-Ingredienz bedient sich das diesjährige Herbst-Make-up bei Versace, das auf dem Mailänder Laufsteg für Furore sorgte: Dick gezogene Eyeliner in XXL nehmen hier in leuchtenden Nuancen auf den Lidern Platz: von spacigem Azur bis hin zu magischem Magenta. Die präzise applizierten Cat-Eye-Formen spielen gekonnt mit Geometrie und passen sich entsprechend der eigenen Augenform mit mehr oder weniger Schwung, Mega- oder Maxibreite an seine Trägerin an. Mit diesem „Graphic Wing“gibt man sich heute GlamRock-getreu der Überschwänglichkeit hin, anstatt dem Minimalismus zu frönen. Ganz nach diesem Motto, nämlich „Mehr ist mehr“, bringen dann noch geschickt im inneren Augenwinkel aufgetupfte, silberfarbene Schimmer-Pigmente den Look zum Strahlen – „Stardust“, wie ihn sonst nur Ziggy hätte in Szene setzen können. Gelernt von den Meistern dieser Ära, gibt sich der so allürenstarke Look ansonsten sehr zurückhaltend. Ein natürlich strahlender Teint, geebnet mit Hilfe ausgleichender CC-Creams und lumineszierendem Puder zum zarten Abmattieren, nougatfarbener Gloss auf den Lippen sowie ein wenig „Pearl-Glow“, als Highlighter aufgetupft auf den Wangenknochen, runden das ikonische Star-Make-up ab.
Disco-Ära
Chanels Kreativchefin Virginie Viard versetzte ihr Publikum mit ihren Looks, die denen eines Nachtclubs ähneln, in Staunen. Ähnlich wie damals im legendären Studio 54, als zwischen Eighth Avenue und Broadway in Midtown Manhattan Stars und Sternchen die Nacht zum Tag machten. Es wurde gefeiert und getanzt – das Musik-Genre Disco wurde dank glamouröser Nachtschwärmer zum Leben erweckt. Wie der Name schon verrät, ging es um den Groove – am Dance Floor wie bei den Looks: Mit Lamé, Pailletten und Brokat-Elementen besetzte Kleider schmiegten sich an die tanzenden Körper, während dramatisches Make-up den Zeitgeist prägte. Der Chanel-DNA entsprechend, reininterpretierte Viard für den Herbst 2021 diese Stilelemente in prunkvollem Tweed, gepaart mit von dunklem Kajal umrandete Augen und glänzendem Laissez-faire-Haar. Ein „Look du jour“, der sich gleichermaßen damals in Midtown Manhattan wie heute im Pariser Underground Club sehen lassen kann. Als wäre man schon stundenlang durch die Nacht getanzt, genauso wirkt der auf unterem und oberem Lid platzierte und sanft verwischte Kajal, der sich auf nude-farbene oder zartmetallische Lider bettet. Die Haut hingegen erstrahlt durch Chanel-typische Perfektion mit samt-mattem Finish, die Lippen, die einen Hauch Foundation abbekommen haben, ziert maximal ein wenig Glanz.
Lautstarke Akzente
Die neue Welle, auch Post Punk oder New Wave genannt, stilisierten Künstler wie Boy George und prägten so die legendäre Farbexzentrik, die für die 1980er-Jahre noch heute typisch ist. Auch hier spielt man mit Gendernormen und bricht sie durch drastische Stilmittel wie mit stark pigmentierten (Neon-)Farben, Vokuhila-Frisuren und MaxiBrauen auf. Anders als in der zuvor noch populären Glam-Rock-Szene sind die Looks aggressiver und versprühen eine unendliche Power, gekonnt gemixt mit raffinierter Rebellion. Das Designer-Duo Dolce&Gabbana, das normalerweise der femininen Femme Fatale der italienischen Riviera ihre Ehre erweist, übertraf mit seinen kühnen Kreationen die Erwartungen der pandemiebedingt noch sehr spärlich geladenen ModeElite. Das Make-up-Element, das hier das Maximum aus den Looks herausholte, war jedoch ein ganz klassisches: der Lippenstift. Allen Erwartungen zum Trotz nicht nur in klassischem Rot, die Farbpalette erstreckte sich von prunkvollen und alltagstauglichen Beeren-Tönen bis hinzu etwas artifizielleren Blauund sogar Grün-Tönen.
Dunkle Töne
Der Grunge-Stil galt schon in den vergangenen Saisonen als beliebtes Stilmittel der namhaftesten Designer. Statt nur die Augen à la Kurt Cobain der Kultband Nirvana mit Hilfe eines Smudge Kajals in Szene zu setzen, bedienen sich Modehäuser wie Etro diese Saison dem Make-up der 90er „allover“: Aus der Kreativfeder des Make-up-Artists Petros Petrohilos stammend, bringt man Grunge nun als Komplett-Look auf die Modebühne zurück. Den Beginn macht ein recht eindimensionaler, blasser Teint. Wenig Bronzer oder Rouge, nur etwas Contouring-Puder an den Schläfen, der das Nude-Make-up leicht präzisiert. Die wahre Make-up-Kunst liegt jedoch fast schon verborgen im Detail: Anstelle plakativ schwarz umrandeter Augen mit Kajal, sorgte Petrohilos mit matten und schimmernden Tönen, von Grau über Grün bis hin zu Anthrazit, für rauchige Smokey Eyes, die minutiös entlang des Wimpernkranzes aufgetragen sind. Am Oberlid werden metallisch-schimmernde Nuancen großzügiger verblendet und geben dem Look so noch mehr Tiefe. Das große Finale machen tiefschwarz getuschte Wimpern und ein Hauch Nude-Lipstick, der dem sonst sehr düsteren Make-up ein wenig Leichtigkeit verleiht. Ein Make-up-Look, der das stilprägende Quartett für die kommende Saison mit hypnotisierendem 90er-Flair abrundet.