Film im Rampenlicht: Die Highlights von Cannes
IM RAMPENLICHT
Es wäre nur allzu leicht, sich an dieser Stelle Tiraden über den Glamour hinzugeben. Zweifelsfrei ist das 1946 gegründete und damit zu den ältesten Filmfestivals Europas zählende rund zehntägige Event in Cannes von Beginn an Sammelpunkt der Reichen und Schönen – und ganz klar: Die formvollendete Liaison aus Mode, Prominenz und Opulenz hat durchwegs ihren Reiz. Aber nicht nur ob des durch den Schatten der Pandemie bedingten Stimmungswechsels, der die übliche Ausgelassenheit durchaus ein wenig trübte, lohnt es, sich dem eigentlichen Kern der Veranstaltung zu widmen: dem Film!
(Blitz-)Licht, Kameras, Aktion – von allem gibt es reichlich an der Croisette. Großes Kino spielt sich bei den Filmfestspielen in Cannes aber nicht nur auf dem Roten Teppich, sondern auch hinter verschlossenen Türen
bei den Filmpremieren ab.
Auftakt: Den machte bei der 74. Edition der Filmfestspiele in Cannes der Film „Anette“von Leos Carax mit Marion Cotillard („La vie en rose“) und Adam Driver („Star Wars: The Rise of Skywalker“) in den Hauptrollen.
Ausgezeichnete Schockmomente: „Titane“wurde mit der „Goldenen Palme“für den besten Film prämiert. Die Regisseurin Julia Ducournau ist Cineasten dank des Horrorfilms „Raw“ein Begriff und spaltete erneut die Geister.
Und Action!
Rollen wir das Feld – oder im konkreten Fall den rund 60 Meter langen Roten Teppich – von hinten auf: Auch 2021 oblag die Leitung dem Präsidenten der Festspiele Pierre Lescure und die künstlerische Ausrichtung dem Generaldelegierten Thierry Frémaux. Mit Spike Lee als Jurypräsident setzte man erneut auf die Mischung aus medienwirksamer Hollywood-Prominenz und Stars des Independent Films. So wurde die 74. Edition des Festivals von dem koreanischen Filmemacher Bong Joon-ho, der 2019 für seinen Film „Parasite“den Hauptpreis beanspruchen konnte, eröffnet. Überraschender ist dabei vielleicht die Wahl des Eröffnungsstreifens: „Annette“von Leos Carax – ein Musicalfilm. Bei der ungleichen Liebesgeschichte brillieren Adam Driver als misanthropischer Komödiant und Marion Cotillard als Operndiva. Dennoch darf auch hier Kritik geäußert werden, denn der Soundtrack der 80er-Jahre-Band „Sparks“bleibt hinter den Erwartungen zurück, und das Übermaß an Referenzen und Zitaten lässt so manchen Zuseher fragend zurück. Trotzdem gab es tosenden Applaus und Standing Ovations bei der Premiere.
Die Mischung aus HollywoodBlockbustern und Kunstfilmen ist gleichermaßen Reiz als auch Kritikpunkt des
Festivals.
Schnittpunkte
Die Mischung aus Hollywood-Blockbustern und Kunstfilmen ist gleichermaßen Reiz als auch Kritikpunkt des Festivals. Der Spagat glückt bei so manchem Beitrag wie etwa dem so lange ersehnten „The French Dispatch“, bei dem Regie-Genie Wes Anderson eine hochkarätige Truppe seiner Lieblinge versammelt: Adrien Brody („The Darjeeling Limited“), Tilda Swinton („Grand Budapest Hotel“) und Bill Murray („The Royal Tenenbaums“) sind bei der Komödie ebenso mit von der Partie wie die Neulinge im Anderson-Imperium Timothée Chalamet und Léa Seydoux. – Hochkarätig, unterhaltsam und fantasievoll, kurzum: eine gelungene Premiere. Düsterer, aber nicht weniger fesselnd ist dafür der Beitrag der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Julia Ducournau, die mit dem Fantasy-Drama „Titane“die „Goldene Palme“für den besten Film des Festivals mit nach Hause nehmen durfte. Die Handlung ist durchwegs komplex: Als kleines
Mädchen bekommt Alexia nach einem Autounfall eine Titanplatte implantiert, und während sich die optischen Auswirkungen kaschieren lassen, entwickelt sie in weiterer Folge eine körperliche Zuneigung zu Fahrzeugen und liebkost etwa nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gleich mal den Unfallwagen. Es folgen eine Karriere als erotische Tänzerin, etliche brutale Morde, die sie begeht und Bondage-Sex mit einem Boliden, der sie auf unerklärliche Weise schwängert – dass dabei statt Milch Motoröl austritt, scheint da schon beinahe eine logische Nebenerscheinung. Nach einer Flucht vor der Polizei nimmt sie die Identität des vermissten Sohnes eines Feuerwehrkommandanten an und beginnt ein neues Leben im Kreise des Feuerwehrtrupps. Es mag an dieser Stelle nicht überraschen, dass der Film die Fachkritik spaltete: „Verstörend und provokant“hieß es im Anschluss in der Presse, deren Rezensionen man aber hinzufügen muss, dass der Bruch mit den Konventionen des Genre- und ArthouseFilms auch viel Positives abgewonnen werden kann.
Szenenwechsel
Von inszenierten Schockmomenten zu historischen: Eine bemerkenswerte Anzahl an Filmen widmete sich gesellschaftskritischen Themen. Darunter „Babi Yar. Context“, ein Dokumentarfilm von Sergei Loznitsa, der die wahre Geschichte eines Massakers, dem über 30.000 Juden zum Opfer gefallen sind, aufarbeitet. Oder der Spielfilm „Große Freiheit“des österreichischen Regisseurs Sebastian Meise, der die Diskriminierung Homosexueller bis in die 1968er-Jahre beleuchtet und mit dem Preis in der Kategorie „Un Certain Regard“geehrt wurde. Diese Filme beweisen, dass es in der Glamourwelt auch Platz für ernste Themen gibt, die nun mehr und mehr ins Rampenlicht gerückt werden.
Preisträger: In der renommierten Kategorie „Un Certain Regard“konnte der Film „Große Freiheit“überzeugen. Erwähnenswert sind dabei neben dem Regisseur Sebastian Meise auch die Darsteller.
Die austro-chinesische Koproduktion „Moneyboys“des ehemaligen Haneke-Schülers C.B. Yi zeigt die Doppelmoral im Umgang mit Homosexualität in China auf und behandelt das Leben eines Strichers am Rande der Kriminalität und im Zwiespalt mit seiner Familie.