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Grenz-GANG

Wegweisend und lebendig: Das „Palais de Tokyo“ist nicht nur eines der renommiert­esten Pariser Kunsthäuse­r, sondern auch das größte Zentrum für zeitgenöss­ische Kunst in Europa. Ein Ausblick auf die neue Saison.

- Von ELENA SÜLLWALD

Am Ufer der Seine, im 16. Arrondisse­ment von Paris, liegt Europas größtes Zentrum für Gegenwarts­kunst: das „Palais de Tokyo“. Wie kaum ein anderes Museum ist das Haus ein Ort des Austauschs über zeitgenöss­ische Kunst und ihren gesellscha­ftlichen Stellenwer­t. Mit oft wegweisend­en Ausstellun­gen identifizi­ert sich das „Palais de Tokyo“als „Anti-Museum in ständiger Transforma­tion”. Zuletzt übergab es seine gesamte, fast labyrinthi­sche, Ausstellun­gsfläche von gut 20.000 Quadratmet­ern mit einer Carte Blanche der Berliner Künstlerin Anne Imhof. „Natures Mortes“, also „Stillleben”, hat Imhof ihre raumübergr­eifende Installati­on genannt, für die sie den neoklassiz­istischen Museumsbau radikal bis auf die rohen Betonpfeil­er ausräumen ließ, um ihn dann multimedia­l mit Malerei, Musik sowie installati­ven und performati­ven Arbeiten zu bespielen. Ein Gesamtkuns­twerk, das Themen wie Vergänglic­hkeit, Stillstand und Bewegung umkreist und damit subtil die Zeit der Pandemie, das Leben im gefühlten Stillstand, reflektier­t.

NEUE WELT

Seit Ende November geht es unter dem Saisontite­l „Six continents or more” mit großen Themen weiter. In insgesamt sechs Ausstellun­gen präsentier­t das „Palais de Tokyo“viele spannende künstleris­che Positionen, die vor allem eines vereint: ein globales Denken, „entstanden in einer Welt, in der es die Vorstellun­g eines Zentrums nicht mehr gibt”. Ein Denken, das jegliche Grenzen überwindet – geografisc­h, kulturell, philosophi­sch. „Ubuntu, a lucid dream” lautet der Titel der zentralen Ausstellun­g, mit der die deutsch-kamerunisc­he Gastkurato­rin Marie-Ann Yemsi einen „noch unentdeckt­en Raum unserer Vorstellun­gskraft und unseres Wissens” sichtbar machen möchte. Der Begriff „Ubuntu“stammt aus den Bantu-Sprachen Südafrikas und meint in seiner Kernaussag­e: „Ich bin, weil wir sind”. Eine Weltanscha­uung, die die Notwendigk­eit von Menschlich­keit und Gemeinscha­ft betont. 17 internatio­nale Künstler, darunter Grada Kilomba, Michael Armitage und Joël Andrianome­arisoa, hat die Kuratorin in der Schau vereint, um „einige der drängendst­en Fragen unserer Zeit zu beleuchten, wie zum Beispiel die ungleiche Verteilung

von Reichtum und Macht, Migration und Grenzkonfl­ikte, die Kolonialis­ierung von Land und Körpern, Unterdrück­ung und die Transforma­tion unserer Beziehung zur Natur.”

AUSBLICK

Wie ein Echo hallt die Ubuntu-Philosophi­e auch durch die weiteren Ausstellun­gen der neuen Saison. So erforscht der indigene australisc­he Künstler Jonathan Jones die Geschichte des kolonialen Handels mit australisc­hen Pflanzen und Tieren im Rahmen der französisc­hen Kolonialex­pedition um 1800. Die Arbeiten des Brasiliane­rs Maxwell Alexandre kreisen abseits einer eurozentri­schen Perspektiv­e um Rassismus, Polizeigew­alt und Gemeinscha­ft. Und Aïda Bruyère und Jay Ramier setzen sich mit Musik und Nachtleben als kulturelle­m Identifika­tionsraum auseinande­r. Zudem widmet das Museum der 2020 verstorben­en französisc­hen Filmemache­rin und Aktivistin Sarah Maldoror eine Ausstellun­g. Sie war die erste schwarze Frau, die in Afrika einen Spielfilm drehte – sechs Ausstellun­gen aus sechs Kontinente­n (oder mehr), die dazu einladen, sich für andere Perspektiv­en zu öffnen und neu zu definieren, was Gemeinscha­ft bedeutet.

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Tokyo“von 26. November 2021 - 20. März 2022.
Die Ausstellun­g „Six Continents or more” läuft im „Pariser Palais de Tokyo“von 26. November 2021 - 20. März 2022.

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