Noble Zurückhaltung? Die ist etwas für das niedere Volk. Die Glanzstücke der Haute Joaillerie machen Lust auf den ganz großen Auftritt und rauschende Feste. Die schönsten
Kreationen und was hinter der Opulenz steckt, hat L’Officiel Austria erkundet.
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Von CHRISTOPH STEINER
Von Cannes bis an den Comer See: Die wiedergewonnene Reisefreiheit hat so manche Schmuckmarke zum Anlass genommen, sich auf eine exklusive Exkursion zu begeben. Mit im Gepäck: die neuen Haute-Joaillerie-Kollektionen, die sonst traditionellerweise während der Haute-Couture-Schauen in Paris präsentiert werden. Das Setting passt, denn: Was gäbe es für ein besseres Ambiente für die Meisterstücke als eine rauschende Ballnacht oder einen Roten Teppich?
KÖNIGSKLASSE
Mit dem (Un)Wort „Trends“hat man es zwar in den hochkarätigen Kreisen nicht ganz so, dennoch lässt sich eine Renaissance der Opulenz bei allen großen Häusern verorten. Als schmuckes Pendant zur Haute Couture setzt man gewohnt auf eine Zurschaustellung der Goldschmiede- und Juwelierskunst und präsentiert millionenschwere Prunkstücke. Wie üblich will man dabei nicht nur die Augen der gut betuchten Kundschaften zum Funkeln bringen, sondern gerne auch die Konkurrenz mit Superlativen überstrahlen. Als logische Konsequenz kommen also vorrangig Diamanten zum Einsatz – und das reichlich. Konkret 2300 Stück sind es beispielsweise bei dem Collier „Princess Chains“der zweiten Haute-Joaillerie-Kollektion des Mailänder Juweliers Pomellato. 2500 an der Zahl sind bei der Halskette „L’Elan Vital“aus der „Bravery“-Serie der Marke Louis Vuitton, die ihre aktuelle Kollektion dem 200-jährigen Geburtsjubiläum von Monsieur Louis Vuitton widmet. Nicht mit der schieren Stück-, sondern der KaratZahl wiederum macht man bei Chanel von sich reden und ziert das Meisterstück der „N°5“-Kollektion mit dem namensgebenden 55,55-karätigen achteckigen Diamanten im Smaragdschliff.
DIE FARBE DES GELDES
Das Meer an Diamanten ergänzt eine Flut an Farbsteinen. Strahlende Blau-, intensive Rot- und funkelnde Grün-Nuancen dominieren. Ein Trend, der sich selbst auf dem Markt für Verlobungsringe abzeichnet, bei dem der klassische Diamantsolitär peu à peu von individuelleren Ausführungen in Farbe abgelöst wird. Rubine, Smaragde oder Saphire stehen entsprechend hoch im Kurs. Turmaline und Tansanite ergänzen den bunten Reigen und zieren Cocktailringe und Statement-Colliers. Wo wir schon bei Materialkunde wären, bietet sich ein kleiner Schwenk zu Boucheron nahezu an: „Carte Blanche - Holographique“hat man die diesjährige Kollektion von Claire Choisne getauft und sich wie auch im Vorjahr, in dem mit Aerogel experimentiert wurde, auch diese Saison daran gemacht, mit den Konventionen der Branche zu brechen. Die gesamt 25 holographischen Stücke spiegeln dabei je nach Lichteinstrahlung alle Farben des Regenbogens. Ein Effekt, der auf zwei verschiedene Arten erzielt wird, zum einen durch den Einsatz von Opalen und zum anderen durch die Verwendung einer technischen Beschichtung, die aus der Luft- und Raumfahrt-Industrie stammt.
SONNENKÖNIGE UND STRAHLEMÄNNER
Während bislang die Herren der Schöpfung oft nur bei der Bezahlung zur Gunst kamen, wird ihnen mehr und mehr ein wenig Platz in der Welt der Haute Joaillerie eingeräumt, und so findet sich auch der eine oder andere Mann mit opulent verzierter Brosche in den Lookbooks der Edeljuweliere. Allerhöchste Zeit, wie man meinen möchte, waren es doch Pharaone und Maharadschas, die den Weg der wertvollen Unikate geebnet haben. Erst mit der Französischen Revolution wurde das Tragen von Schmuck zu einem reinen Privileg der Damenwelt. Gerade die aktuellen Kreationen sind aber nahezu prädestiniert dafür, die Zeiten Ludwigs XIV. wieder aufleben zu lassen.
KOSTBARE ZEIT
Generell ist die Stunde gekommen, um die bisherigen Konventionen der Schmuckund Uhren-Branche zu adjustieren. Das Credo bislang: Große Komplikationen und technisch höchst raffinierte Haute-Horlogerie-Stücke waren fest in beziehungsweise an der Männer-Hand, während hochkarätiger Schmuck Frauen überlassen blieb. Nun nähern sich die beiden Segmente zaghaft an und wagen den einen oder anderen Tanz. Mit dem Ergebnis, dass ein vermeintliches Relikt aus der Vergangenheit nun eine Renaissance erlebt: die Secret Watches. Eingeführt zu einer Zeit, in der es als unschick galt, als Dame von Welt die Zeit im Blick zu behalten, ist heute das versteckte Zifferblatt eine charmante Spielerei, mit der sich etwa Bulgari, Dior oder Harry Winston schmücken. Andererseits kommen in der Haute Horlogerie ebenfalls mehr Diamanten zum Einsatz, vor denen man auch bei Herrenmodellen nicht mehr länger zurückschreckt.
SHOWTIME
Wohin man blickt, wird geklotzt und nicht gekleckert. Die Gründe dafür sind leicht erklärt: Zum einen ist und bleibt das Segment, ähnlich der Haute Couture, ein Marketing-Tool, das auch dem Image der untergeordneten Bereiche der Fine Jewellery zugute kommt, andererseits haben materielle Wertanlagen in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen, und der Diamant-Index hat sich vor allem in den letzten zwölf Monaten stabilisiert und leicht aufwärts entwickelt. Viel romantischer ist jedoch das Argument, dass nach Monaten des Verzichts nun wieder die Zeit für glamouröse Feste und die entsprechende Ausstaffierung angebrochen ist. Gerade dafür ist die Auswahl – man ahnt es: hochkarätig!