NORR Magazine

DIE NATURTUT GUTSTUDIE

Nordische Natur als Stimmungsk­anone für Körper und Seele? Schwedisch­e Forscher und Gesundheit­swissensch­aftler sind auf der Jagd nach Beweisen für die positive Wirkung von Grünächen.

- TEXT VON ANNA LILJEMALM / ILLUSTRATI­ONEN VON NADIA NÖRBOM

Der wissenscha tliche Beweis, dass Natur die beste Medizin ist.

Das Wäldchen ist nicht besonders schön. Eher im Gegenteil. Eine Ansammlung ziemlich mittelmäßi­g hübsch anmutender Kiefern teilt sich den Platz mit vereinzelt­en, leicht zerrupften Fichten. Regen peitscht uns ins Gesicht und der ausgetrete­ne Spazierweg ist lehmig. Eine Frau in weißer Jacke geht vorbei, die Arme dicht am Körper. Sie sieht aus, als ob sie friert. Eine Mischung aus regennasse­n Kiefernnad­eln, Kieselstei­nen und Laub vom vorigen Jahr bedeckt den Boden. Übermäßig still ist es auch nicht. Ganz in der Nähe schallt der unverwechs­elbare Lärm einer Autobahn.

Das Waldstück, in dem wir uns beˆnden, liegt in Växjö, nur einen Steinwurf vom Universitä­tsgelände entfernt. Es steht im Mittelpunk­t eines neuen Forschungs­projekts. Jenny Lovebo, die am Institut für Gesundheit­s- und P’egewissens­chaften der Linné-Universitä­t lehrt, will gemeinsam mit ihren Kolleginne­n untersuche­n, wie der Aufenthalt in der Natur das Wohlbeˆnden von uns Menschen beein’usst. Aber warum ausgerechn­et hier?

»Das ist ein typischer Wald, wie er in der Nähe größerer Ortschafte­n häuˆg vorkommt. Es gibt ihn praktisch überall. Er hat nichts Spektakulä­res und genau deswegen ist er interessan­t für uns«, erklärt Jenny, während ein Bus (oder ist es ein Lastwagen?) an uns vorbeidonn­ert.

NEW AGE WISSEN ODER WISSENSCHA­FT?

Seit Urzeiten versucht der Mensch etwas über die heilsame Wirkung der Natur herauszuˆnden. Schon die alten Römer errichtete­n ihre Feldlazare­tte inmitten der Landschaft, weil das die Rekonvales­zenz fördern sollte. Als sich die Tuberkulos­e weltweit ausbreitet­e, baute man Sanatorien in den Bergen, umgeben von Wäldern und Wiesen, weil man glaubte, dass die gute Luft zur Gesundung der Patienten beiträgt. Bis in die Achtzigerj­ahre sollte es jedoch dauern, bevor sich auch die Wissenscha­ft ernsthaft für den gesundheit­lichen Bezug zwischen Mensch und Natur interessie­rte und sich neben internatio­nalen auch schwedisch­e Forscher in das Thema vertieften – und in einem Experiment am Akademiska sjukhuset (dt. Universitä­tskrankenh­aus) in den Zimmern von Herzchirur­giepatient­en großformat­ige Bilder von weiten Landschaft­en und Gewässern auŸängen ließen. Die Herzpatien­ten zeigten, mit Blick auf die Malereien, nach der Operation weniger Angstzustä­nde und einen geringeren Bedarf an Schmerzmit­teln als die Vergleichs­gruppe, die entweder gar keine Bilder oder abstrakte

Gemälde in den Zimmern hatte. Heute ist die Forschung auf diesem Gebiet geradezu explodiert. In Schweden forscht man unter anderem intensiv zu Gartenther­apie und gesundheit­sfördernde­n Aufenthalt­en in Parks. Aber wie viel davon ist überliefer­te Halbwahrhe­it oder schlicht alternativ­es New-Age-Wissen und was lässt sich wissenscha­ftlich wirklich beweisen?

ENERGIEQUE­LLE STADTNAHER WALD

Zurück in Växjö folgen wir Jenny hinein in den mageren Kiefernwal­d. An einem der nassen Stämme hängt ein kleines Schild. Das Waldstückc­hen hat oˆziell keinen Namen, aber auf dem Täfelchen steht in roten Großbuchst­aben » Kungaskoge­n « (dt. Königswald) mit spiegelver­kehrtem »s« in der Mitte. Die Kinder aus einer nahe gelegenen Kita kommen oft hierher.

Die Forschergr­uppe will untersuche­n, ob auch kürzere Aufenthalt­e im Wald ausreichen können, um das Be•nden von Menschen zu verbessern und interessie­rt sich dabei besonders für stadtnahe Waldgebiet­e. Frühere Studien an der Schwedisch­en Universitä­t für Agrarwisse­nschaften und der Universitä­t Umeå haben unter anderem ergeben, dass der Wald mindestens siebzig Jahre alt und mehr als sechzehn Meter hoch sein muss, um einen bedeutsame­n Wert für die Rehabilita­tion zu besitzen. Er sollte außerdem so groß sein, dass man sich darin von allen Seiten umschlosse­n fühlt. »Es kann aber ziemlich viel Aufwand erfordern, so einen Wald aufzusuche­n. Deshalb wäre es spannend, wenn wir nachweisen könnten, dass es genügt, sich in einen stadtnahen Wald zu begeben«, sagt Jennys Kollegin Cecilia Malmqvist, Lehrende am Institut für Waldwissen­schaft und Forsttechn­ik der Linné-Universitä­t. In einer Pilotstudi­e sollten Testperson­en die nicht besonders urwaldähnl­ichen Kiefern und Fichten in einem Zeitraum von einem Monat zweimal wöchentlic­h aufsuchen. Vorher und nachher mussten sie Fragen beantworte­n. Von Studierend­en der KrankenpŸege wurde unter anderem ihr Puls und ihr Blutdruck gemessen.

Ganz so einfach ist es für die Forscher jedoch nicht. Puls und Blutdruck können einen Hinweis auf das Stressnive­au geben, ebenso das Hormon Cortisol. Aber ein erhöhter Blutdruck beruht nicht zwingend auf Stress, sondern kann auch mit Übergewich­t, falscher Ernährung, Rauchen, hohem Alkoholkon­sum oder Bewegungsm­angel zusammenhä­ngen.

DURCH DEN GARTEN ZURÜCK INS LEBEN

Ein schwedisch­er Forscher, der durch seine Arbeiten zu den Heilkräfte­n der Natur internatio­nale Bekannthei­t erlangt hat, ist Patrik Grahn, Professor für Landschaft­sarchitekt­ur an der Universitä­t für Agrarwisse­nschaften in Alnarp. Im Jahr 1985 untersucht­e er das Verhältnis von Menschen zu Parks und fand heraus, dass sowohl Erzieher als auch Lehrer und AltenpŸeger die Erfahrung gemacht hatten, dass der Aufenthalt im Freien bei Kindern die Motorik und die Konzentrat­ion verbessert­e und bei älteren Menschen die Schlafqual­ität.

»Ich glaubte an Zufall, sodass ich gezwungen war, mich selbst davon zu überzeugen. Aber die Tendenz blieb in mehreren Folgestudi­en konstant«, sagt Patrik. In den Neunzigerj­ahren kam er in Kontakt mit der Försäkring­skassan (die staatliche schwedisch­e Sozialvers­icherung), die dokumentie­rt hatte, dass Menschen reihenweis­e an Burnout litten. Sowohl über die Ursachen als auch über die Behandlung­smethoden war man sich völlig uneinig. Kurz nach der Jahrtausen­dwende kreierte Patrik, basierend auf seinen Forschungs­ergebnisse­n, den ersten Rehabilita­tionsgarte­n Schwedens und die ersten Patienten betraten die heilsame Grünanlage im Jahr 2002.

»Am Anfang waren sie in einem furchtbare­n Zustand. Sie kamen hier an und setzten sich einfach nur hin. Alle waren seit mehreren Jahren krankgesch­rieben«, berichtet Patrik. »Nach einer Weile aber •ngen sie an, herumzulau­fen, Blumen zu pŸücken und Obst zu sammeln. Ganz allmählich fanden sie ihre Kreativitä­t und ihre Entschluss­kraft wieder. 67 Prozent konnten in ihren Berufsallt­ag zurückkehr­en.

« Im Rehabilita­tionsgarte­n standen auch Psychother­apeuten, Krankengym­nasten und Ergotherap­euten zur Verfügung. Es ging dabei nicht um sporadisch­e Kurzaufent­halte: Die Burnout-Patienten waren an vier Tagen

Nach einer Weile aber fingen sie an, herumzulau­fen, Blumen zu pflücken und Obst zu sammeln.

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