DIE NATURTUT GUTSTUDIE
Nordische Natur als Stimmungskanone für Körper und Seele? Schwedische Forscher und Gesundheitswissenschaftler sind auf der Jagd nach Beweisen für die positive Wirkung von Grünächen.
Der wissenscha tliche Beweis, dass Natur die beste Medizin ist.
Das Wäldchen ist nicht besonders schön. Eher im Gegenteil. Eine Ansammlung ziemlich mittelmäßig hübsch anmutender Kiefern teilt sich den Platz mit vereinzelten, leicht zerrupften Fichten. Regen peitscht uns ins Gesicht und der ausgetretene Spazierweg ist lehmig. Eine Frau in weißer Jacke geht vorbei, die Arme dicht am Körper. Sie sieht aus, als ob sie friert. Eine Mischung aus regennassen Kiefernnadeln, Kieselsteinen und Laub vom vorigen Jahr bedeckt den Boden. Übermäßig still ist es auch nicht. Ganz in der Nähe schallt der unverwechselbare Lärm einer Autobahn.
Das Waldstück, in dem wir uns benden, liegt in Växjö, nur einen Steinwurf vom Universitätsgelände entfernt. Es steht im Mittelpunkt eines neuen Forschungsprojekts. Jenny Lovebo, die am Institut für Gesundheits- und Pegewissenschaften der Linné-Universität lehrt, will gemeinsam mit ihren Kolleginnen untersuchen, wie der Aufenthalt in der Natur das Wohlbenden von uns Menschen beeinusst. Aber warum ausgerechnet hier?
»Das ist ein typischer Wald, wie er in der Nähe größerer Ortschaften häug vorkommt. Es gibt ihn praktisch überall. Er hat nichts Spektakuläres und genau deswegen ist er interessant für uns«, erklärt Jenny, während ein Bus (oder ist es ein Lastwagen?) an uns vorbeidonnert.
NEW AGE WISSEN ODER WISSENSCHAFT?
Seit Urzeiten versucht der Mensch etwas über die heilsame Wirkung der Natur herauszunden. Schon die alten Römer errichteten ihre Feldlazarette inmitten der Landschaft, weil das die Rekonvaleszenz fördern sollte. Als sich die Tuberkulose weltweit ausbreitete, baute man Sanatorien in den Bergen, umgeben von Wäldern und Wiesen, weil man glaubte, dass die gute Luft zur Gesundung der Patienten beiträgt. Bis in die Achtzigerjahre sollte es jedoch dauern, bevor sich auch die Wissenschaft ernsthaft für den gesundheitlichen Bezug zwischen Mensch und Natur interessierte und sich neben internationalen auch schwedische Forscher in das Thema vertieften – und in einem Experiment am Akademiska sjukhuset (dt. Universitätskrankenhaus) in den Zimmern von Herzchirurgiepatienten großformatige Bilder von weiten Landschaften und Gewässern auängen ließen. Die Herzpatienten zeigten, mit Blick auf die Malereien, nach der Operation weniger Angstzustände und einen geringeren Bedarf an Schmerzmitteln als die Vergleichsgruppe, die entweder gar keine Bilder oder abstrakte
Gemälde in den Zimmern hatte. Heute ist die Forschung auf diesem Gebiet geradezu explodiert. In Schweden forscht man unter anderem intensiv zu Gartentherapie und gesundheitsfördernden Aufenthalten in Parks. Aber wie viel davon ist überlieferte Halbwahrheit oder schlicht alternatives New-Age-Wissen und was lässt sich wissenschaftlich wirklich beweisen?
ENERGIEQUELLE STADTNAHER WALD
Zurück in Växjö folgen wir Jenny hinein in den mageren Kiefernwald. An einem der nassen Stämme hängt ein kleines Schild. Das Waldstückchen hat oziell keinen Namen, aber auf dem Täfelchen steht in roten Großbuchstaben » Kungaskogen « (dt. Königswald) mit spiegelverkehrtem »s« in der Mitte. Die Kinder aus einer nahe gelegenen Kita kommen oft hierher.
Die Forschergruppe will untersuchen, ob auch kürzere Aufenthalte im Wald ausreichen können, um das Benden von Menschen zu verbessern und interessiert sich dabei besonders für stadtnahe Waldgebiete. Frühere Studien an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften und der Universität Umeå haben unter anderem ergeben, dass der Wald mindestens siebzig Jahre alt und mehr als sechzehn Meter hoch sein muss, um einen bedeutsamen Wert für die Rehabilitation zu besitzen. Er sollte außerdem so groß sein, dass man sich darin von allen Seiten umschlossen fühlt. »Es kann aber ziemlich viel Aufwand erfordern, so einen Wald aufzusuchen. Deshalb wäre es spannend, wenn wir nachweisen könnten, dass es genügt, sich in einen stadtnahen Wald zu begeben«, sagt Jennys Kollegin Cecilia Malmqvist, Lehrende am Institut für Waldwissenschaft und Forsttechnik der Linné-Universität. In einer Pilotstudie sollten Testpersonen die nicht besonders urwaldähnlichen Kiefern und Fichten in einem Zeitraum von einem Monat zweimal wöchentlich aufsuchen. Vorher und nachher mussten sie Fragen beantworten. Von Studierenden der Krankenpege wurde unter anderem ihr Puls und ihr Blutdruck gemessen.
Ganz so einfach ist es für die Forscher jedoch nicht. Puls und Blutdruck können einen Hinweis auf das Stressniveau geben, ebenso das Hormon Cortisol. Aber ein erhöhter Blutdruck beruht nicht zwingend auf Stress, sondern kann auch mit Übergewicht, falscher Ernährung, Rauchen, hohem Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel zusammenhängen.
DURCH DEN GARTEN ZURÜCK INS LEBEN
Ein schwedischer Forscher, der durch seine Arbeiten zu den Heilkräften der Natur internationale Bekanntheit erlangt hat, ist Patrik Grahn, Professor für Landschaftsarchitektur an der Universität für Agrarwissenschaften in Alnarp. Im Jahr 1985 untersuchte er das Verhältnis von Menschen zu Parks und fand heraus, dass sowohl Erzieher als auch Lehrer und Altenpeger die Erfahrung gemacht hatten, dass der Aufenthalt im Freien bei Kindern die Motorik und die Konzentration verbesserte und bei älteren Menschen die Schlafqualität.
»Ich glaubte an Zufall, sodass ich gezwungen war, mich selbst davon zu überzeugen. Aber die Tendenz blieb in mehreren Folgestudien konstant«, sagt Patrik. In den Neunzigerjahren kam er in Kontakt mit der Försäkringskassan (die staatliche schwedische Sozialversicherung), die dokumentiert hatte, dass Menschen reihenweise an Burnout litten. Sowohl über die Ursachen als auch über die Behandlungsmethoden war man sich völlig uneinig. Kurz nach der Jahrtausendwende kreierte Patrik, basierend auf seinen Forschungsergebnissen, den ersten Rehabilitationsgarten Schwedens und die ersten Patienten betraten die heilsame Grünanlage im Jahr 2002.
»Am Anfang waren sie in einem furchtbaren Zustand. Sie kamen hier an und setzten sich einfach nur hin. Alle waren seit mehreren Jahren krankgeschrieben«, berichtet Patrik. »Nach einer Weile aber ngen sie an, herumzulaufen, Blumen zu pücken und Obst zu sammeln. Ganz allmählich fanden sie ihre Kreativität und ihre Entschlusskraft wieder. 67 Prozent konnten in ihren Berufsalltag zurückkehren.
« Im Rehabilitationsgarten standen auch Psychotherapeuten, Krankengymnasten und Ergotherapeuten zur Verfügung. Es ging dabei nicht um sporadische Kurzaufenthalte: Die Burnout-Patienten waren an vier Tagen
Nach einer Weile aber fingen sie an, herumzulaufen, Blumen zu pflücken und Obst zu sammeln.