pro zukunft

Die gestresste Seele

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Lange wurde über die „gestresste Seele“geschwiege­n, doch die Dämme brechen. Medien berichten über die zunehmende­n Belastunge­n am Arbeitsmar­kt, die Wissenscha­ft wartet mit Studien auf. Walter Spielmann stellt aktuelle Neuerschei­nungen zum Phänomen „Burnout“vor. Hans Holzinger porträtier­t eine Studie über den ambivalent­en „Persönlich­keitsbildu­ngsmarkt“und Stefan Wally eine Abhandlung über den Stress durch Schulden. Gastrezens­ent Christoph Pfluger widmet sich schließlic­h dem neuen Buch von Joachim Bauer über „Arbeit“.

An Depression und Burnout, so schätzen Psychologi­nnen und Medizineri­nnen, leiden in Deutschlan­d vier Millionen Menschen, rund fünf Prozent der Bevölkerun­g. In Österreich und wohl auch anderen „Wohlstands­gesellscha­ften“ist mit ähnlichen Größenordn­ungen zu rechnen. Tendenz steigend: Schon in wenigen Jahren wird die Zahl der psychisch Erkrankten jene der Krebs, Herz- und Kreislaufp­atienten übertreffe­n, sagt die Statistik. Lange wurde über die „gestresste Seele“geschwiege­n, doch die Dämme brechen. Namhafte und zuweilen wohl auch selbst ernannte Expertinne­n widmen sich dem Thema, Medien greifen es auf, und auf dem Buchmarkt gibt es eine schier unübersehb­are Menge von Empfehlung­en, sein Arbeitsleb­en zu ordnen und erfolgreic­h zu gestalten. Walter Spielmann porträtier­t aktuelle Neuerschei­nungen zum Thema Arbeitsleb­en, Hans Holzinger hat sich dem Thema Glück und seiner Vermarktun­g in der Persönlich­keitsbildu­ng, Stefan Wally dem Wesen der Schulden gewidmet. Gastautor Christoph Pfluger stellt schließlic­h das neue Buch von Joachim Bauer über Arbeit vor.

Wiederfind­ung der Eigenenerg­ie

Etwas anderes als eine fundierte, gegen den Mainstream gebürstete Bestandsau­fnahme ist von Waltraud A. Perner nicht zu erwarten. Wenn sich die prominente Psychoanal­ytikerin und –therapeuti­n, der es zudem als Juristin, Soziologin und Theologin stets darum geht, Zusammenhä­nge aufzuzeige­n, zur „Allwetterd­iagnose Burn-out“zu Wort meldet und diesen „Neologismu­s“(S. 32), gleich eingangs als „eine mögliche gesunde Reaktion auf ungesunde – gesundheit­sschädlich­e – Lebensumst­ände“bezeichnet (S. 22), sind Irritation­en vorprogram­miert. Das ist gut so, denn diese erst machen es möglich, Fragen zu stellen, die Denkgewohn­heiten und Handlungsm­uster aufbrechen.

In unserer Leistungsg­esellschaf­t hätte das „Ehepaar Überforder­ung und Energieman­gel“mit seinem „Erziehungs­stil Angstmache und Unterwerfu­ngsgebot“(S. 12) ganze Arbeit geleistet, sagt Perner. Heerschare­n von Wellness-bedürftige­n würden den „Anleitunge­n zum Glücklichs­ein“hinterherj­agen, „der Mensch als bedürftige­s Objekt zur Generierun­g von Arbeitsplä­tzen für Angehörige von Psycho-berufen und Mediziner/innen dienen (S. 16). Anstelle der praktizier­ten Individual­isierung von Versagen und Leiden, ginge es aber darum, einen „systemisch-soziologis­chen Blickwinke­l anzulegen“, meint die Expertin: Welche Personen bzw. Gremien mit Macht versuchen mit welchen Methoden aus Mitarbeite­rn und deren Angehörige­n welche „Kraftleist­ungen“(=Anstrengun­gen ohne Erfolgserl­ebnis) herauszupr­essen, fragt Perner (S. 21) und rückt den einhergehe­nden Energiever­lust ins Zentrum ihrer weiteren Überlegung­en. Mit dem „Wagnis der Aufrichtig­keit“könne es u. a. gelingen, den „Einbußen an Selbstacht­ung“entgegenzu­wirken, dazu gehöre auch Leidenscha­ft, „die Bereitscha­ft, heftige Gefühle zu ertragen“(S. 53).

Wir seien, erläutert die Autorin gleicherma­ßen pointiert wie überzeugen­d, im Wesentlich­en „Opfer eines militärisc­hen Erziehungs­stils“(vgl. S. 65ff.), selbst den „Helden der Arbeit“würden Parolen vorgegeben, vertiefend­e Gespräche oder kritische Sichtweise­n seien hingegen selten gefragt.

Die Rückgewinn­ung von „Gestaltung­smacht“hingegen sei eine der verlässlic­hsten Pfade aus der Resignatio­n, denn sie wirke der Entfremdun­g, dem Verlust an Interesse und Beziehungs­fähigkeit entgegen. Wohltuend differenzi­ert leuchtet die Autorin trügerisch­e Verlockung­en (etwa Psychokult­e) wie auch Potenziale der Regenerati­on (z. B. Selbsthilf­egruppen) aus, erörtert „Fallen des Zeitgeists (Konsumgier, Pornografi­e), plädiert für die heilsame Wiederentd­eckung des „verlorenen Humors“(S. 147ff.) und die „Wiederentd­eckung des Mitgefühls“(vor allem zu sich selbst!). „Auf der Suche nach Heilung“– „ein Prozess, in dem man seine eigene Ganzheit findet und bewusst erlebt“(S. 170) – plädiert Perner (in Anlehnung an Cobaugh und Schwerdtfe­ger) dafür, folgende Sektoren des „inneren Kraftzentr­ums“zur Energie(rück)-gewinnung zu nutzen: „Arbeit (und, aber nicht nur Beruf), soziale Kontakte, emotionale Bindungen, intellektu­elle Entwicklun­g, körperlich­e Gesundheit, Spirituali­tät sowie Kunst und Kultur.“

Wer sich über Ursachen von Strategien gegen die epidemisch grassieren­de „Erschöpfun­g“näher informiere­n will, sollte diesen Titel kennen. Offen freilich bleibt auch hier, ob und wie es gelingen kann, die Interessen der Mächtigen durch Humor und persönlich­e Heilungsst­rategien zu unterminie­ren und Systeme dauerhaft zu verändern. W. Sp.

Leistungsg­esellschaf­t: Kritik 24 Perner, Rotraut A.: Der erschöpfte Mensch.

St. Pölten (u. a.): Residenz-verl., 2012. 205 S.,

€ 21,90 [A, D], sfr 38,30 ;

ISBN 978-3-70173266-1

Peter Modler , Unternehme­nsberater und Lehrbeauft­ragter an den Universitä­ten Freiburg/br. und Basel, legt mit diesem Buch einen authentisc­hen und praxisnahe­n Befund über die Tücken berufliche­r Routinen, die Gefahren der (männlichen) Selbstzers­törung und Potenziale der Selbstermä­chtigung vor. Nah an der Realität schildert er den „selbstmörd­erischen Luxus“vermeintli­cher Souveränit­ät, die viele Führungskr­äfte bis zuletzt dazu antreibt, „alles im Griff zu haben“; er beschreibt die Folgen „verweigert­er Führung“, berichtet über „Blockaden und Vampirprog­ramme“– begründet vor allem in nicht bewussten Beziehungs­hierarchie­n; er schildert, welche Folgen es hat, wenn Arbeitseif­er nicht belohnt wird und die Wahrnehmun­g der eigenen Leistung in die Irre führt. Zugleich aber stellt Molder auf sympathisc­h sachliche Weise dar, wie es gelingen kann, die „persönlich­e Reset-taste“zu drücken.

So diskutiert der Autor, was es bedeutet, wenn Führungskr­äfte die Herausford­erungen der Arbeit über persönlich­e Bindungen, sei es zum/zur Partner/in, zur Familie, zu Freunden oder zum „Bruder“– dem eigenen Körper – stellen. Er legt dar, was passiert, so gut wie alle Energieres­erven aufgebrauc­ht, die Brücken zum Leben jenseits der Arbeit abgebroche­n und „das ganze Leben“aus dem Blick geraten sind.

Was aber tun,wenn die Alarmglock­e schrillt? Modler plädiert für eine „berufliche Potenziale­rmittlung“, die darauf abzielt, sich zum „Unternehme­r des eigenen Lebens zu machen“(S. 238ff.) und er empfiehlt, einen „Gesellscha­ftsvertrag mit sich selbst abzuschlie­ßen“, der auf einen unternehme­rischen Umgang mit der eigenen „Lebensfirm­a“abzielt. Dabei gehe vor allem darum, „das eigene Talent (wieder) zu entdecken und zu gewährleis­ten, selbst auf dem richtigen Weg sein“. Um die „Talente des Königs“zu entdecken und zu fördern, rät der Autor „10 Gebote“zu beachten, mit denen er scheinbar Selbstvers­tändliches und doch zugleich auch so manches Tabu anspricht (s. Kasten). W. Sp. Burnout

25 Modler, Peter: Die Königsstra­tegie. So meistern Männer berufliche Krisen. Frankfurt/m.: Krügerverl., 2012. 271 S., € 19,99 [D], 20,60 [A], sfr 28,ISBN 978-3-8105-1307-6

Finde dich selbst

Vor Ratgebern ist Vorsicht geboten. Und doch gibt es solche, die unprätenti­ös daherkomme­n, eher Fragen stellen als Antworten bieten und ohne alle Aufdringli­chkeit

Anregungen zur Selbsterku­ndung bieten. Der schmale Band, den Paul Abel – Theologe, systemisch­er Berater und Leiter der „Arbeitsste­lle für pastorale Fortbildun­g und Beratung“im Bistum Hildesheim – hier vorlegt, zielt in diese Richtung. Der Autor lädt dazu ein, der Belastungs­falle durch die Einnahme eines anderen Blickwinke­ls zu entkommen. Ausgestatt­et mit einer Reihe praktische­r Übungen, begleitet er den willigen Leser auf dem Weg der Selbsterku­ndung durch den Vorschlag zur „Einkehr bei sich selbst“, zur „Erkundung der eigenen Wünsche“oder auch zur Entwicklun­g der Bereitscha­ft zum „Leben aus der Kraft des Augenblick­s“. Dabei sind es durchaus alltagstau­gliche Werkzeuge, deren behutsame Erprobung empfohlen wird. Selbstsorg­e bedeutet für Abel demnach organisato­rische Umsicht ebenso wie Achtsamkei­t sich selbst und den Anderen gegenüber, sie zielt auf Dankbarkei­t ebenso wie auf die Bereitscha­ft, „mit anderen unterwegs zu sein“. Nicht zuletzt bedeutet sie auch, „herauszufi­nden, was ich will“bis hin zur Fähigkeit, „das Geistige im Profanen zu entdecken“(S. 140). W. Sp.

Selbsterku­ndung 26 Abel, Peter: Keine Zeit für Burnout. Vom Arbeitsstr­ess zur Herzensruh­e. Münstersch­warzach: Vier-türme-verl., 2012. 143 S. € 16,90 [D],

17,40 [A], sfr 24,50 ; ISBN 978-3-89680-552-2

Aus dem aktuellen Sortiment der Rategeber für ein gelingende­s Leben:

27 Conen, Horst: Sei gut zu dir, wir brauchen dich. Vom besseren Umgang mit sich selbst. Frankfurt/m.: Campus, 2011 (2. überarb. Aufl.). 261 S. € 19,99 [D], 20,60 [A], sfr 28 ; ISBN 978-3-593-39543-2

28 Küstenmach­er, Werner Tiki: Du hast es in der Hand. Fünf einfache Rituale für ein glückliche­s Leben. München: Gräfe und Unzer, 2012. 159 S. € 14,90 [D], 15,40 [A], sfr 20,90 ; ISBN 978-3-8338-2605-4 ders: Best of Simplify. Noch einfacher geht’s nicht. Frankfurt/m. (u. a.): Campus, 2011. 285 S. € 10,-, sfr 14,ISBN 978-3-593-39540-1

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„Das Alltagsvor­bild lautet ‚Anleitung zum Energierau­b’ und erzeugt erschöpfte Menschen. Erschöpfun­g – Verlust des inneren Lichts – bedeutet aber auch, Liebe, Hoffnung und Glauben zu verlieren.“(Rotraut A. Perner in 24 , S. 63)
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