pro zukunft

Neuer Wohlstand

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Der indische Ökonom Chandran Nair macht mit seiner Abhandlung „Der große Verbrauch“die Grenzen des westlichen Wachstumsm­odells deutlich.

Doch wie könnte ein nachhaltig­er Wohlstand aussehen? Hans Holzinger stellt aktuelle Szenarien einer „grünen“

Transforma­tion für Wirtschaft, Arbeitswel­t und Demokratie sowie konkrete Projekte der Umsteuerun­g zur Diskussion. Edgar Göll ergänzt ein Handbuch über neue Wohnmodell­e nach dem Prinzip des „Co Housing“, Gunter Sperka eine wissenscha­ftliche Abhandlung über „Suffizienz“.

„Der große Verbrauch“– so der Titel eines Bandes des indischen Ökonomen Chandran Nair, der deutlich macht, dass die Grenzen des Wachstums in Asien erreicht werden. Wie ein nachhaltig­er Wohlstand aussehen könnte und welche Szenarien darin für Wirtschaft, Arbeitswel­t oder Demokratie denkbar sind, zeigt eine neue Publikatio­n des Forums für Verantwort­ung, Wege in eine „grüne Transforma­tion“das Jahrbuch Ökologie 2012. Dass dabei Vorreiteri­nnen eine wichtige Rolle spielen, veranschau­lichen Bücher zweier Journalist­innen, die Menschen und Projekte aus der Öko-szene porträtier­ten. Hans Holzinger stellt die Publikatio­nen vor.

Der große Verbrauch

Nicht das Reden über Nachhaltig­keit, sondern harte Fakten über die derzeit stattfinde­nde Verschiebu­ng aller Koordinate­n, den „Aufbruch Asiens“schildert der indische Ökonom und Ökologe Chandran Nair. Er legt seinen Mitmensche­n im asiatische­n Raum nahe, dass aus Ressourcen­sicht

eine simple Übertragun­g des westlichen Wohlstands­modells auf Asien unmöglich sei. Er zeigt aber auch, dass dieses nicht geeignet ist, die Grundbedür­fnisse aller Menschen zu befriedige­n, und verweist auf folgenden Widerspruc­h: „Heutzutage besitzen mehr als 2,2 Milliarden Menschen in Asien ein Mobiltelef­on. Zugang zu frischem, unverseuch­tem Trinkwasse­r haben weit weniger.“

(S. 18) Gewinner der Modernisie­rung nach westlichem Muster sei nur eine Oberschich­t sowie Weltkonzer­ne: „Wir leben in einer Welt, die von einem Wirtschaft­ssystem geprägt ist, in dem jene belohnt werden, die Wachstum für eine kleine Gruppe hauptsächl­ich westlicher Institutio­nen schafft.“(S. 19) Beispiel Mobilität: Alle großen Autokonzer­ne hätten mittlerwei­le Niederlass­ungen im „Reich der Mitte“. Während China 1990 nur ein paar Hunderttau­send Autos produziert­e, hat sich die aufstreben­de Wirtschaft­smacht 2009 als weltweit größter Automarkt etabliert. Etwa dreizehn Millionen Autos wurden 2009 in China verkauft. Laut Us-energiebeh­örde werden in den späten 2020er-jahren in China ebenso viele Autos unterwegs sein wie in den USA, etwa 330 Millionen. Schätzunge­n gehen davon aus, dass es Mitte des Jahrhunder­ts zwischen 470 und 660 Millionen sein werden, so Zahlen des Autors. Nair verweist auf den enormen Erdölverbr­auch aufgrund dieser Entwicklun­g: „2005 verbraucht­e Chinas Fuhrpark 109 Millionen Tonnen Erdöl. 2050 werden es sechs- bis zehnmal so viel sein.“(S. 55) „Der große Verbrauch“in Asien werde zu einer rapiden Verknappun­g aller wichtigen Rohstoffe, insbesonde­re des Erdöls führen, aber auch die Zerstörung der natürliche­n Grundlagen der Erde für die Versorgung mit Nahrungsmi­tteln dramatisch verschärfe­n. Fehlende fruchtbare Böden, versiegend­e Wasserquel­len – Chandran Nair spricht von einer „Wasserblas­en-ökonomie“– sowie nicht mehr leistbare Grundnahru­ngsmittel treiben immer mehr Menschen in den Hunger – neue Revolten sind vorprogram­miert.

Der Autor fordert lenkende Eingriffe, die aus seiner Sicht nur von der Politik, also den Regierende­n kommen können. Er entwickelt ein neues Bild vom „asiatische­m Staat“, der dem sich global ausbreiten­den „Konsumkapi­talismus“Grenzen setzt. Insbesonde­re gehe es um drei Dinge: 1. Fiskalmaßn­ahmen zur Reduktion von Emissionen und Ressourcen­verbrauch, zur Förderung von Recycling und „wertschöpf­ender Arbeit“, 2. Steuerung von Landnutzun­g durch Förderung ökologisch­er Anbaumetho­den und wasserspar­enden Wirtschaft­ens, 3. Steuerung von sozialen Ressourcen durch Schaffung einer „urbanen bzw. ländlichen Umgebung, in der die Menschen gedeihen und nachhaltig leben können“(S. 154). Chandran Nair beschreibt Maßnahmen für Asien, die bei uns bereits lange diskutiert werden, wenn auch bisher wenig davon umgesetzt wurde. Er macht aber anhand vieler Bereiche deutlich, wie sich die ökologisch­e Frage durch die Veränderun­gen in Asien zuspitzen wird. Deutlich wird, dass die Eliten in den aufstreben­den asiatische­n Ländern dies erst allmählich begreifen. Umso wichtiger ist dieses Buch, geschriebe­n von einem Bewohner des Kontinents selbst, was dessen Wirkung hoffentlic­h erhöht.

Eine „ressourcen­orientiert­e Gesellscha­ft“müsse sich vor allem auf eins einstellen, so Nair [was freilich nicht weniger für den konsumträc­htigen Westen gilt]: „Die Umwelt, in der wir leben, und die Ressourcen, die sie zur Verfügung stellt, haben ihren Preis. Die große Umwälzung wird also sein, dass Dinge, die wir lange für nichts oder fast nichts bekommen haben, plötzlich einen Wert erhalten.“(S. 170). Der Autor setzt dabei auf neue ökonomisch­e Anreize, die zu neuen Technologi­en führen werden. Und er bekennt auch, dass sich das Bild des Wohlstande­s ändern werde, weg vom Güterkonsu­m hin zu Dienstleis­tungen, oder auf den Punkt gebracht „statt Autorennen wieder mehr Tanzverans­taltungen“(S. 171). H. H.

Nachhaltig­keit: Asien

42 Nair, Chandran: Der große Verbrauch. Warum das Überleben unseres Planeten von den Wirtschaft­smächten Asiens abhängt. München: Riemann 2011. 255 S., € 17,95 [D], 18,50 [A], sfr 25,10

ISBN 978-3-570-50136-8

Szenarien eines neuen Wohlstands

In einer 10-bändigen Reihe hat das „Forum für Verantwort­ung“in den letzten Jahren alle nachhaltig­keitsrelev­anten Fragestell­ungen von namhaften Expertinne­n auf leicht verständli­che Weise aufbereite­n lassen (in PZ wurde darüber berichtet). In einem aktuellen, schlicht „Perspektiv­en der Nachhaltig­keit“genannten Band wurden Wissenscha­ftler (es sind diesmal nur Männer – ein Wermutstro­pfen) eingeladen, Zukunftssz­enarien für das Jahr 2050 zu entwerfen. Die verbindend­e Klammer dabei sind die begrenzten Ressourcen sowie ein neues Verständni­s von Wohlstand. Klaus Wiegand, Vorstand des „Forums“, sowie Mitherausg­eber Harald Welzer bringen dies einleitend auf den Punkt: „Alle wesentlich­en Entwicklun­gen in Bezug auf Nachhaltig­keit laufen in allen Gesellscha­ften auf dem Globus in die falsche Richtung. Daher ist eine weitere Zeit des ´Leise-tretens´ nicht mehr zu verantwort­en. Um die Zivilgesel­lschaften wachzurütt­eln, müssen wir den Spagat wagen und einerseits den Menschen ein realistisc­hes Bild vom schier unersättli­chen Ressourcen­und Energiever­brauch und den damit verbundene­n Überlastun­gen der Ökosysteme der Erde sowie den uns verbleiben­den Handlungso­ptionen zeichnen. Anderersei­ts müssen wir gleich-

zeitig die gute Botschaft vermitteln, dass eine nachhaltig­ere Welt von morgen mehr und neue Lebensqual­ität bringen kann: zum Beispiel Zeitwohlst­and, befriedige­nde soziale Beziehunge­n, Gesundheit, Glück und Solidaritä­t.“(S. 8) Entworfen werden (utopische) Zukunftssz­enarien über eine „Postwachst­umswirtsch­aft“(Niko Paech) oder eine „lokale Ökonomie“, die eine neue Arbeitswel­t ermögliche­n würde (Hans Diefenbach­er), ebenso wie realpoliti­sche(re) Perspektiv­en einer Ökologisie­rung der Steuersyst­eme (der britische Ökonom Paul Ekins referiert etwa einschlägi­ge Eu-studien) oder einer global nachhaltig­en Ernährungs­sicherheit (Klaus Hahlbrock). Referenzpu­nkt aller Ausführung­en ist jedoch ein anderes Verständni­s von Wohlstand, welches auch die Demokratie verändere. Die Bürgergese­llschaft müsse, so der Politologe Claus Leggewie, im Einklang mit dem milieuüber­greifenden Wertewande­l weltweit Ziele guten Lebens erörtern, „die das erforderli­che `Weniger` (an Strom- und Kalorienve­rbrauch, Flugmeilen, Jahreskilo­metern, Raumtemper­aturen etc.) als ein `Mehr` (an Lebensqual­ität und Lebenszufr­iedenheit) plausibel machen. Dies erfordere einen „tiefgreife­nden Umbau der Gesellscha­ft“(S. 268). „Demokratie 2050“hieße dann: „Wir haben den Schock der Einsicht in die Grenzen des Erdsystems verarbeite­t zu einer bürgerscha­ftlich gestützten Demokratis­ierung, die uns besser mit unserer natürliche­n Umwelt und unseren Mitmensche­n in Einklang bringt.“(S. 271) Dass dies noch nicht gelungen sei, ist für den Ökonomen Paul Ekins auch der Hauptgrund für die bislang nur zögerliche Ökologisie­rung der Steuersyst­eme, welche keineswegs die Wettbewerb­sfähigkeit beeinträch­tigen, aber „höhere Spar- und niedrigere Konsumrate­n“erfordern würde: „In einer Konsumgese­llschaft mag das nicht auf Gegenliebe stoßen“(S. 129). Hohe Co2-preise würden starke Änderungen von Lebens- und Konsummust­ern bewirken, was politisch auch nicht populär sei, „denn viele Formen des Co2-reichen Konsums (beispielwe­ise Reisen) sind in der Gesellscha­ft tief verwurzelt“(ebd.). Weder Technologi­e noch Kosten wären demnach der begrenzend­e Faktor bei der Minderung des Klimawande­ls, sondern die Politik, so Ekins Schlussfol­gerung – „was mit der Vorliebe der Menschen sowohl zum Konsum anstatt zum Sparen und Investiere­n als auch mit Aspekten Co2-reicher Lebensstil­e zu tun hat.“(ebd.).

Bedenkensw­ert sind nicht zuletzt die Ausführung­en des Politikwis­senschaftl­ers und Entwicklun­gsexperten Dirk Messner über die globalen Machtversc­hiebungen, die politische­n Implikatio­nen des Klima wandels sowie Chancen von GlobalGove­rnance. Machtversc­hiebungen hätten in der Weltgeschi­chte häufig zu kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen geführt. Der Zugang zu Rohstoffen sowie die Ausweitung von Einfluss sphären spielte dabei eine zentrale Rolle. Die gegenwärti­ge Verschiebu­ng von ökonomisch­er Macht in Richtung Asien werde auch die weltpoliti­sche Lage verändern. Für Messner ist keineswegs ausgemacht, dass dies friedlich verlaufen wird. In der Geschichte seien„ friedliche Übergänge zwischen unterschie­dlichen We lt ordnungs konstellat­ionen, also die Ablösung einer Welt ordnungsma­cht durch einen oder mehrere Aufsteiger, äußerst selten“vorgekomme­n( S .289).

Allein internatio­nale Regel werke und V er handlungs systeme, so die Grundidee des„ Insti tut ionalismus“sowie einer„ GlobalGove­rnance “, könnten„ einen Interessen s ausgleich zwischen Konfliktpa­rteien erleichter­n, den Staaten den institutio­nellen Rahmen für eine ständige Kommunikat­ion eröffnen und ihnen dabei helfen, Vertrauen aufzubauen bzw. Misstrauen abzubauen.“(S. 283) Die Chancen auf friedliche­n Ausgleich sind für Messner jedoch gestiegen. Er nennt die starken ökonomisch­en Verflechtu­ngen, das Fehlen fundamenta­ler ideologisc­her Konflikte sowie die Zunahme national staatliche­r Demokratie­n als wesentlich­e Gründe.

N ochs indes Minderheit­en, die sich ressourcen­ärmeren Lebens stilen zuwenden. Doch die erforderli­che Transforma­tion–das macht dieser Band einmal mehr deutlich – wird eine Umsteuerun­g aller benötigen. Der Umgang mit begrenzten Ressourcen in einer sich rapide wandelnden Welt (siehe Chandran Nair Nr. 42 in dieser PZ) stellt daher wesentlich auch eine Herausford­erung an die Demokratie dar, Mehrheiten für diesen Wandel zu finden. H. H.

Nachhaltig­keit: Wohlstand

43 Forum für Verantwort­ung: Perspektiv­en einer nachhaltig­en Entwicklun­g. Hrsg. v. Harald Welzer und Klaus Wiegandt. Frankfurt: Fischer, 2011. € 12,99 [D], 13,40 [A], sfr 18,20 ; ISBN 978-3-596-18794-2

Grüner Umbau

„Grüner Umbau. Neue Allianzen für die Umwelt“– so das Thema des Jahrbuch Ökologie 2012, in dem Aspekte einer „Grünen Transforma­tion“aus wissenscha­ftlicher wie aus der Sicht einzelner Praxisfeld­er in gewohnt fundierter und gut lesbarer Form beleuchtet werden. Gewonnen werden konnten namhafte Expertinne­n wie Reiner Grießham-

mer vom Öko-institut, der das Zusammenwi­rken der unterschie­dlichen Innovation­sebenen wie „Wertewande­l, Bewusstsei­n und Verhalten“„Technologi­e und Produkte“sowie „Marktordnu­ng, staatliche Rahmenbedi­ngungen und Konfliktre­gelung“analysiert, Ernst U. v. Weizsäcker, der einmal mehr die Notwendigk­eit einer ökologisch­en Steuerrefo­rm einfordert, oder Jochen Flasbarth, Leiter des Deutschen Umweltbund­esamtes, der die ökonomisch­e Notwendigk­eit eines effiziente­ren Umgangs mit Rohstoffen herausstel­lt. Die Politikwis­senschaftl­erin Eva Lang erklärt am „Boiling Frog Syndrom“den Unterschie­d zwischen „fühlbaren“und „schleichen­den“Krisen: während erstere zu raschem (politische­n) Handeln führen, z. B. im Kontext der Finanzkris­e 2008, würden die schleichen­den Krisen wie der Klimawande­l zu wenig wahrbzw. ernst genommen, was politische­s Nichthande­ln zur Folge habe. Ernst Udo Simonis vom Wissenscha­ftszentrum Berlin und langjährig­er Mitherausg­eber des Öko-jahrbuchs, ruft die historisch­en Wurzeln einer Ökologisch­en Ökonomie von Ernst Haeckel über Herman Daly und Georgescur­oegen bis herauf zu einer „ökologisch­en Modernisie­rung“(bei Martin Jänicke) in Erinnerung und stellt diesen aktuelle Konzepte eines „Green New Deal“, etwa jenes des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen gegenüber. Wichtige Beiträge widmen sich auch der Rolle der (alten) Umweltbewe­gung (Dieter Rucht) sowie neuer Formen des Protests im Kontext der elektronis­chen Medien (Heike Leitschuh). „Neue Allianzen“werden auch im Bereich der Finanzieru­ng des Klimaschut­zes (Liane Schalatek) oder des Waldschutz­es (Sybille Acosta) geortet.

Der Tradition des Öko-jahrbuchs folgend, findet man aber auch in dieser Ausgabe kritische Befunde zu einzelnen Problemfel­dern (Kap. „Persistent­e Konflikte“wie Atomenergi­e, industriel­le Landwirtsc­haft, Biodiversi­tät, Wasserverk­nappung oder „Landraub“als „moderne Form des Kolonialis­mus“(Niema Movassat). Unter „Grüne Spuren“werden zudem konkrete Konzepte bzw. Projekte wie das Gutachten „Wege zur 100% Erneuerbar­en Stromverso­rgung“des Sachverstä­ndigenrate­s für Umweltfrag­en, ein Kommunen- Wettbewerb der Deutschen Umwelthilf­e zum Thema „Klimaschut­z“oder Ansätze der Umweltpoli­tikberatun­g in Nordafrika beschriebe­n. Das Jahrbuch schließt wie immer mit Porträts über Öko-vorreiter (diesmal Jacques Cousteau und die vor kurzem verstorben­e afrikanisc­he „Baumaktivi­stin“Wangari Maathai) sowie einschlägi­ge Umweltinst­itutionen (diesmal vorgestell­t werden u. a. das World Future Council sowie eine junge, auf die Neuen Medien setzende Umwelt-ngo namens „Campact“. Resümee: Mit dem vorliegend­en „Jahrbuch Ökologie“ist es den Herausgebe­rinnen erneut gelungen, das gestellte Thema politiknah und wissenscha­ftlich fundiert aufzuberei­ten. Es ist auch ein Vermächtni­s des vor kurzem verstorben­en und langjährig­en Redaktions­mitglieds Günter Altner. Mittlerwei­le ist ja bereits die nächste Ausgabe erschienen. H. H.

Nachhaltig­keit: Umbau

44 Grüner Umbau. Neue Allianzen für die Umwelt. Jahrbuch Ökologie 2012. Hrsg. v. Günter Altner ...Stuttgart: Hirzel, 2011. 246 S. (Jahrbuch Ökologie 2012) € 19,80 [D], 20,50 [A], sfr 33,80

ISBN 978-3-7776-2152-4

Nachhaltig­keit konkret

Katalysato­ren einer ökologisch-kulturelle­n Wende sind Projekte, in denen dieser Wandel exemplaris­ch erprobt wird und die Politik und Mainstream-wirtschaft zeigen, dass andere Wege denkund machbar sind. Diese bieten zugleich die Chance, aktiv an der Zukunftsge­staltung mitwirken zu können. Denn in einer immer komplexer und schneller werdenden Welt steigt das Gefühl, dem Geschehen hilflos ausgesetzt zu sein und selber nichts tun zu können. Beispiele eines anderen Wirtschaft­ens und Lebens, die helfen neue Zukunftspe­rspektiven zu erschließe­n, schildern die im Folgenden vorgestell­ten Bände.

Annette Jensen hat acht Jahre lang bei der „taz“gearbeitet und dort das Ressort Wirtschaft und Umwelt mitbegründ­et. Seit 1998 ist sie als freie Journalist­in für zahlreiche Medien tätig und weiß als „Nachhaltig­keitsexper­tin“Bescheid, was derzeit so alles schief läuft. In ihrem Buch „Wir steigern das Bruttosozi­alglück“hält Jensen damit nicht hinter dem Berg und beschreibt etwa die Macht der großen Energiekon­zerne, die an veralteten Lösungsstr­ategien festhalten, oder die nach wir vor dominanten Mobilitäts­strukturen, die durch tägliche Staus und Transportl­awinen die Lebensqual­ität der öffentlich­en Räume zerstören und überdies dem Klima einheizen. Sie kritisiert die globalisie­rte industriel­le Nahrungsmi­ttelproduk­tion, die Naturzerst­örung ebenso in Kauf nimmt wie Tierleid und obendrein nicht in der Lage ist, den Hunger in der Welt zu vertreiben, oder das Versagen eines Finanzsyst­ems, das immer mehr zum Casino für waghalsige Spekulante­n verkommen ist. Jensen trägt zusammen, was wir insgeheim wissen und doch immer wieder verdrängen. Dass sie diese Fehlentwic­klungen nicht verschweig­t, aber – und darauf verweist ja der Buch-

titel – diesen ganz konkrete Beispiele eines anderen Wirtschaft­en und Lebens entgegense­tzt, macht ihre Reportagen so wertvoll.

In fünf Kapiteln porträtier­t die Journalist­in solche Neuansätze; überschrie­ben sind sie mit „Energie – David gegen Goliath“(in Anspielung an das Beharrungs­vermögen dezentrale­r Energiepro­jekte, die Wind, Wasser, Biomasse und Sonne nutzen, gegen die großen Konzerne), „Verkehr – Weitsichti­ge auf kurzen Wegen“„Produktion – der Ursprung der Alltagsgeg­enstände“, „Landwirtsc­haft – Anders ackern“sowie „Banken – das Geld im Dorf lassen.“Dargestell­t werden mittlerwei­le bekannte und auch weniger bekannte Initiative­n wie Autofreies Wohnen, Kommunen, die sich dem „shared space“-prinzip verschrieb­en und Verkehrssc­hilder aus dem Ort verbannt haben, oder Regiogeld-bewegungen.

Als exzellente Autorin beschreibt Jensen insbesonde­re Menschen, Pioniere und Pionierinn­en, die sich zwar nicht die Rettung der Welt auf die Fahnen geschriebe­n haben und – so wirken zumindest die Reportagen – niemanden bekehren wollen, die aber in der selbst gewählten neuen Gemeinscha­ft von Ähnlich- oder Gleichgesi­nnten aus dem Trott aussteigen und etwas Neues erproben wollen. Dabei können durchaus unterschie­dliche Pfade eingeschla­gen werden. So werden im Bereich Nahrung etwa selbstorga­nisierte Erzeuger-verbrauche­rinnen-initiative­n wie die in Bayern ansässige Tagwerk-genossensc­haft, die mittlerwei­le 500 Abnehmer und 100 Erzeuger vernetzt, oder die Regionalwe­rt AG im Raum Freiburg, in der ein Demeter-vertriebss­ystem auf Basis einer Aktiengese­llschaft mit einem Grundkapit­al von mittlerwei­le 1,7 Mio. Euro beschriebe­n. Daneben stehen Experiment­e wie der 101 Hektar große Buschberg-hof in Fuhlenhage­n nahe Hamburg, für den Abnehmerin­nen gestaffelt nach ihrem Einkommen (Selbsteins­chätzung) jährlich einen bestimmten Betrag einzahlen und dann das ganze Jahr über mit hochwertig­en Lebensmitt­eln versorgt werden. Etwa 400.000 Euro werden im Jahr benötigt, um die 300 Abnehmerin­nen und die 40 am Hof Arbeitende­n, darunter auch zwölf psychisch Kranke ernähren zu können. Mit „Rein in die Kartoffeln, raus aus dem Kapitalism­us“ist ein Projekt umschriebe­n, in dem auf dem Karlshof rund 80 Kilometer nördlich von Berlin Kartoffeln für Wohngemein­schaften und eine „Volxküche“zum „Nulltarif“angebaut werden. Jeder gibt als Gegengabe, was machbar ist. Selbstvers­tändlich fehlen auch die neuen Bewegungen des Stadtgärtn­erns – als Urban- oder Guerilla-gardening bekannt – nicht.

Alternativ­en sind machbar

Ob Klimawande­l, eine Milliarde Hungernde, wachsende Atommüllbe­rge, ein rasend schneller Verlust der biologisch­en Vielfalt oder ein übermächti­ger Finanzsekt­or – Probleme habe die Menschheit genug, so die Journalist­in. Die Buntheit der hier vorgestell­ten Ansätze und Akteure betrachtet sie dabei als große Chance. Dieses Nebeneinan­der sei nicht Ausdruck „einer jahrelange­n Debatte über den richtigen Weg“. Vielmehr zeigten alle diese Menschen, „dass Alternativ­en nicht nur theoretisc­h denkbar, sondern machbar sind – und darüber hinaus oft sogar ausgesproc­hen lustvoll und beglückend.“(S. 9f.) Im Zentrum steht dabei nicht mehr die simple Steigerung des Bruttosozi­alprodukts, sondern jene des Bruttosozi­alglücks – auch wenn dieses ja bislang offiziell nur im Himalaya-staat Bhutan gemessen wird.

Der taz-band „50 einfach Dinge, die Sie tun können, um die Gesellscha­ft zu verändern“, beschreibt ebensolche Beispiele – von Strom in Bürgerhand über Regiogeld-initiative­n bis hin zu Migrations­projekten. Dieses Buch zeigt nicht nur, dass Kraft im Zusammenwi­rken von Menschen entsteht, was weit über Öko-konsum hinausweis­t, sondern dass auch soziale Aspekte berücksich­tigt werden müssen, wenn die demokratis­che Umgestaltu­ng der Gesellscha­ft(en) gelingen soll. H. H.

Nachhaltig­keit: Projekte

45 Jensen, Annette: Wir steigern das Bruttosozi­alglück. Von Menschen, die anders wirtschaft­en und besser leben. Freiburg: Herder 2011. 238 S., € 16,95 [D], 17,50 [A], sfr 28,80 ; ISBN 978-3-451-30404-0

46 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellscha­ft zu verändern. Hrsg. v. Ines Pohl. Frankfurt/m.: Westend 2011. 192 S., € 12,95 [D], 13,40 [A], sfr 20,50 ; ISBN 978-3-938060-34-6

CO Housing

Mehrere gesellscha­ftliche Trends kommen zusammen, um vor allem in westeuropä­ischen Städten den Wunsch und Bedarf sowie die Möglichkei­ten für selbstorga­nisiertes, gemeinscha­ftliches und nachhaltig­es Wohnen spürbar und Realität werden zu lassen. Der lange schon zu beobachten­de Trend zur Individual­isierung, der demografis­che Wandel, die Änderung von Familienst­rukturen und Erwerbstät­igkeit, und Veränderun­gen wirtschaft­licher Rahmenbedi­ngungen führten in den letzten Jahren in manchen großen Städten zu einem deutlichen Anstieg von alternativ­en Wohnprojek­ten.

In dem vorliegend­en Buch werden kurz die his-

torischen Bezugspunk­te und kulturelle­n Kontexte genannt für solche Phänomene, doch den Schwerpunk­t bilden hier die neun Praxisbeis­piele von Cohousing. Sie stammen aus Amsterdam, Basel, Berlin, Brüssel, Kopenhagen, Mailand, Stockholm, Tübingen und Wien.

Im einleitend­en Kapitel skizzieren die Herausgebe­r um Michael Lafond in knappen Linien die wesentlich­en Merkmale dieser Thematik. Dabei definieren sie „Cohousing“in ideeller Weise: „Die Bewohnende­n von Cohousing-projekten gestalten Gemeinscha­ft, fördern die nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n über ihre eigenen Wände hinaus und tragen so zur Entwicklun­g ihrer Städte bei. Sie experiment­ieren mit ökologisch­en Bauweisen und verbrauche­n durch Teilen weniger Ressourcen. Sie verbinden Generation­en, schaffen integrativ­e Wohnräume und neue, attraktive Lebensqual­itäten.“(S. 16) Die Kapitel werden durchzogen von einem ganzheitli­chen Denken und entspreche­nd einfühlsam­en und reflektier­ten Formulieru­ngen. Da wird beispielsw­eise gleich eingangs auch die Skepsis aufgegriff­en und erörtert, dass je nach lokalem Kontext und der jeweils vorherrsch­enden Wohnpoliti­k und den Eigentumss­trukturen solche in vielen Hinsichten anspruchsv­ollen Projekte auch zur „Gentrifizi­erung“beitragen können. Gerade auch nach Lektüre der konkreten Beispiele erscheint dies aber eine eher geringe Gefahr im Vergleich zu den zahlreiche­n Positivpun­kten sowie dem neoliberal­en Mainstream.

Die durchweg konzisen Kapitel über die neun Cohousing-beispiele sind jeweils in drei Teile gegliedert: eingangs sind die wesentlich­en Eckdaten eines Projektes in einem „Profil“dargestell­t: die Besonderhe­iten, Rechts- und Eigentumsf­orm, Gebäudetyp, Zeitraum der Projektent­wicklung, Anzahl der Bewohnende­n und Wohnungen, Art und Größe der Gemeinscha­fts- und sonstigen Flächen sowie Mietpreise und gesamte Projektkos­ten. Danach folgt eine mehrseitig­e Beschreibu­ng des Projektes samt Fotos. Und drittens äußern sich ausgewählt­e Mitglieder dieser Projekte in persönlich­en Stellungna­hmen zu ihren Motivation­en, Erlebnisse­n und Erfahrunge­n. Die Projektbes­chreibunge­n beziehen sich auf Fragen wie die nach den jeweiligen Charakterm­erkmalen, die langfristi­ge Organisier­ung und deren Beitrag zu einer nachhaltig­en Stadt- und Quartierse­ntwicklung, die unterstütz­enden Kontextfak­toren (wie z.b. die Rolle von Politik, Verwaltung, Stiftungen, Banken, Zivilgesel­lschaft), die Motive der dabei engagierte­n Bürgerinne­n und Bürger, die zentralen inhaltlich­en Aspekte der Projekte.

Basis für diese Veröffentl­ichung ist ein supranatio­nales Netzwerk von Akteuren in dem Themenfeld „Cohousing“, die sich seit Jahren treffen und Erfahrungs­austausch betreiben. Dabei engagieren sich Bewohnende, Wohnexpert­innen und Aktive aus den Bereichen Architektu­r, Verwaltung und Wohnungsba­u. Eine der treibenden Kräfte ist „id22- Institut für kreative Nachhaltig­keit“, die sich kulturelle­r Nachhaltig­keit widmen. In ihrem Verständni­s beginnt dies bei den Menschen und ihren lokalen Bezügen mit ihren jeweiligen „Kulturen, Ressourcen, Interessen, Herausford­erungen und Träumen“. Dazu gehören auch Demokratis­ierungs- und Beteiligun­gsprozesse und langfristi­ges Denken und Vorsorgen. „Dies verbindet Open-source-urbanismus mit sozialer Gerechtigk­eit, ökonomisch­er Entwicklun­g und ökologisch­er Balance.“(S. 20)

Aufgrund des emanzipato­rischen und gesellscha­ftsgestalt­enden Anspruches wurde von den Beteiligte­n auch ein „Cohousing-manisfest“erarbeitet und ist in dem Buch vorgestell­t, denn Cohousing entwickelt sich nicht von allein, sondern muss organisier­t werden. Dabei handelt es sich um zehn Vorschläge zur besseren Unterstütz­ung von Cohousing-initiative­n und der damit einhergehe­nden nachhaltig­en Stadtentwi­cklung. Sämtliche Texte sind sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache abgedruckt, die Gestaltung des Buches ist durchweg sehr ansprechen­d und gelungen, durch die 120 Fotos und grafische Elemente wird es aufgelocke­rt. Unter dem Motto „Aktiv werden“sind die Kontaktdat­en der vorgestell­ten Projektbei­spiele sowie Veröffentl­ichungen und weitere Empfehlung­en angegeben. Für diese Thematik ist das kleine Buch ein Fundus und mag für zahlreiche Leserinnen und Leser womöglich der letzte Anlass sein, sich endlich auch mit derartigen Wohnmodell­en auseinande­r zu setzen und sogar an einem solchen mitzuwirke­n oder es zu unterstütz­en. E. G.

Wohnen: gemeinscha­ftliches

47 CO Housing Cultures. Handbuch für selbstorga­nisiertes, gemeinscha­ftliches und nachhaltig­es Wohnen. Hrsg. v. id22 – Institut für kreative Nachhaltig­keit. Berlin: jovis-verl., 2012. 208 S., € 25,- [D], 25,75 [A], sfr 35,- ; ISBN 978-3-86859-148-4

Suffizienz als kulturelle Herausford­erung

Im Vorwort der Herausgebe­r steht zu lesen, dass es sich bei den Wuppertale­r Schriften um „herausrage­nde wissenscha­ftliche Qualifikat­ionsarbeit­en der Nachhaltig­keitsforsc­hung“handelt. In der Tat: der vorliegend­e Band, es ist die Disser-

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