Neuer Wohlstand
Der indische Ökonom Chandran Nair macht mit seiner Abhandlung „Der große Verbrauch“die Grenzen des westlichen Wachstumsmodells deutlich.
Doch wie könnte ein nachhaltiger Wohlstand aussehen? Hans Holzinger stellt aktuelle Szenarien einer „grünen“
Transformation für Wirtschaft, Arbeitswelt und Demokratie sowie konkrete Projekte der Umsteuerung zur Diskussion. Edgar Göll ergänzt ein Handbuch über neue Wohnmodelle nach dem Prinzip des „Co Housing“, Gunter Sperka eine wissenschaftliche Abhandlung über „Suffizienz“.
„Der große Verbrauch“– so der Titel eines Bandes des indischen Ökonomen Chandran Nair, der deutlich macht, dass die Grenzen des Wachstums in Asien erreicht werden. Wie ein nachhaltiger Wohlstand aussehen könnte und welche Szenarien darin für Wirtschaft, Arbeitswelt oder Demokratie denkbar sind, zeigt eine neue Publikation des Forums für Verantwortung, Wege in eine „grüne Transformation“das Jahrbuch Ökologie 2012. Dass dabei Vorreiterinnen eine wichtige Rolle spielen, veranschaulichen Bücher zweier Journalistinnen, die Menschen und Projekte aus der Öko-szene porträtierten. Hans Holzinger stellt die Publikationen vor.
Der große Verbrauch
Nicht das Reden über Nachhaltigkeit, sondern harte Fakten über die derzeit stattfindende Verschiebung aller Koordinaten, den „Aufbruch Asiens“schildert der indische Ökonom und Ökologe Chandran Nair. Er legt seinen Mitmenschen im asiatischen Raum nahe, dass aus Ressourcensicht
eine simple Übertragung des westlichen Wohlstandsmodells auf Asien unmöglich sei. Er zeigt aber auch, dass dieses nicht geeignet ist, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, und verweist auf folgenden Widerspruch: „Heutzutage besitzen mehr als 2,2 Milliarden Menschen in Asien ein Mobiltelefon. Zugang zu frischem, unverseuchtem Trinkwasser haben weit weniger.“
(S. 18) Gewinner der Modernisierung nach westlichem Muster sei nur eine Oberschicht sowie Weltkonzerne: „Wir leben in einer Welt, die von einem Wirtschaftssystem geprägt ist, in dem jene belohnt werden, die Wachstum für eine kleine Gruppe hauptsächlich westlicher Institutionen schafft.“(S. 19) Beispiel Mobilität: Alle großen Autokonzerne hätten mittlerweile Niederlassungen im „Reich der Mitte“. Während China 1990 nur ein paar Hunderttausend Autos produzierte, hat sich die aufstrebende Wirtschaftsmacht 2009 als weltweit größter Automarkt etabliert. Etwa dreizehn Millionen Autos wurden 2009 in China verkauft. Laut Us-energiebehörde werden in den späten 2020er-jahren in China ebenso viele Autos unterwegs sein wie in den USA, etwa 330 Millionen. Schätzungen gehen davon aus, dass es Mitte des Jahrhunderts zwischen 470 und 660 Millionen sein werden, so Zahlen des Autors. Nair verweist auf den enormen Erdölverbrauch aufgrund dieser Entwicklung: „2005 verbrauchte Chinas Fuhrpark 109 Millionen Tonnen Erdöl. 2050 werden es sechs- bis zehnmal so viel sein.“(S. 55) „Der große Verbrauch“in Asien werde zu einer rapiden Verknappung aller wichtigen Rohstoffe, insbesondere des Erdöls führen, aber auch die Zerstörung der natürlichen Grundlagen der Erde für die Versorgung mit Nahrungsmitteln dramatisch verschärfen. Fehlende fruchtbare Böden, versiegende Wasserquellen – Chandran Nair spricht von einer „Wasserblasen-ökonomie“– sowie nicht mehr leistbare Grundnahrungsmittel treiben immer mehr Menschen in den Hunger – neue Revolten sind vorprogrammiert.
Der Autor fordert lenkende Eingriffe, die aus seiner Sicht nur von der Politik, also den Regierenden kommen können. Er entwickelt ein neues Bild vom „asiatischem Staat“, der dem sich global ausbreitenden „Konsumkapitalismus“Grenzen setzt. Insbesondere gehe es um drei Dinge: 1. Fiskalmaßnahmen zur Reduktion von Emissionen und Ressourcenverbrauch, zur Förderung von Recycling und „wertschöpfender Arbeit“, 2. Steuerung von Landnutzung durch Förderung ökologischer Anbaumethoden und wassersparenden Wirtschaftens, 3. Steuerung von sozialen Ressourcen durch Schaffung einer „urbanen bzw. ländlichen Umgebung, in der die Menschen gedeihen und nachhaltig leben können“(S. 154). Chandran Nair beschreibt Maßnahmen für Asien, die bei uns bereits lange diskutiert werden, wenn auch bisher wenig davon umgesetzt wurde. Er macht aber anhand vieler Bereiche deutlich, wie sich die ökologische Frage durch die Veränderungen in Asien zuspitzen wird. Deutlich wird, dass die Eliten in den aufstrebenden asiatischen Ländern dies erst allmählich begreifen. Umso wichtiger ist dieses Buch, geschrieben von einem Bewohner des Kontinents selbst, was dessen Wirkung hoffentlich erhöht.
Eine „ressourcenorientierte Gesellschaft“müsse sich vor allem auf eins einstellen, so Nair [was freilich nicht weniger für den konsumträchtigen Westen gilt]: „Die Umwelt, in der wir leben, und die Ressourcen, die sie zur Verfügung stellt, haben ihren Preis. Die große Umwälzung wird also sein, dass Dinge, die wir lange für nichts oder fast nichts bekommen haben, plötzlich einen Wert erhalten.“(S. 170). Der Autor setzt dabei auf neue ökonomische Anreize, die zu neuen Technologien führen werden. Und er bekennt auch, dass sich das Bild des Wohlstandes ändern werde, weg vom Güterkonsum hin zu Dienstleistungen, oder auf den Punkt gebracht „statt Autorennen wieder mehr Tanzveranstaltungen“(S. 171). H. H.
Nachhaltigkeit: Asien
42 Nair, Chandran: Der große Verbrauch. Warum das Überleben unseres Planeten von den Wirtschaftsmächten Asiens abhängt. München: Riemann 2011. 255 S., € 17,95 [D], 18,50 [A], sfr 25,10
ISBN 978-3-570-50136-8
Szenarien eines neuen Wohlstands
In einer 10-bändigen Reihe hat das „Forum für Verantwortung“in den letzten Jahren alle nachhaltigkeitsrelevanten Fragestellungen von namhaften Expertinnen auf leicht verständliche Weise aufbereiten lassen (in PZ wurde darüber berichtet). In einem aktuellen, schlicht „Perspektiven der Nachhaltigkeit“genannten Band wurden Wissenschaftler (es sind diesmal nur Männer – ein Wermutstropfen) eingeladen, Zukunftsszenarien für das Jahr 2050 zu entwerfen. Die verbindende Klammer dabei sind die begrenzten Ressourcen sowie ein neues Verständnis von Wohlstand. Klaus Wiegand, Vorstand des „Forums“, sowie Mitherausgeber Harald Welzer bringen dies einleitend auf den Punkt: „Alle wesentlichen Entwicklungen in Bezug auf Nachhaltigkeit laufen in allen Gesellschaften auf dem Globus in die falsche Richtung. Daher ist eine weitere Zeit des ´Leise-tretens´ nicht mehr zu verantworten. Um die Zivilgesellschaften wachzurütteln, müssen wir den Spagat wagen und einerseits den Menschen ein realistisches Bild vom schier unersättlichen Ressourcenund Energieverbrauch und den damit verbundenen Überlastungen der Ökosysteme der Erde sowie den uns verbleibenden Handlungsoptionen zeichnen. Andererseits müssen wir gleich-
zeitig die gute Botschaft vermitteln, dass eine nachhaltigere Welt von morgen mehr und neue Lebensqualität bringen kann: zum Beispiel Zeitwohlstand, befriedigende soziale Beziehungen, Gesundheit, Glück und Solidarität.“(S. 8) Entworfen werden (utopische) Zukunftsszenarien über eine „Postwachstumswirtschaft“(Niko Paech) oder eine „lokale Ökonomie“, die eine neue Arbeitswelt ermöglichen würde (Hans Diefenbacher), ebenso wie realpolitische(re) Perspektiven einer Ökologisierung der Steuersysteme (der britische Ökonom Paul Ekins referiert etwa einschlägige Eu-studien) oder einer global nachhaltigen Ernährungssicherheit (Klaus Hahlbrock). Referenzpunkt aller Ausführungen ist jedoch ein anderes Verständnis von Wohlstand, welches auch die Demokratie verändere. Die Bürgergesellschaft müsse, so der Politologe Claus Leggewie, im Einklang mit dem milieuübergreifenden Wertewandel weltweit Ziele guten Lebens erörtern, „die das erforderliche `Weniger` (an Strom- und Kalorienverbrauch, Flugmeilen, Jahreskilometern, Raumtemperaturen etc.) als ein `Mehr` (an Lebensqualität und Lebenszufriedenheit) plausibel machen. Dies erfordere einen „tiefgreifenden Umbau der Gesellschaft“(S. 268). „Demokratie 2050“hieße dann: „Wir haben den Schock der Einsicht in die Grenzen des Erdsystems verarbeitet zu einer bürgerschaftlich gestützten Demokratisierung, die uns besser mit unserer natürlichen Umwelt und unseren Mitmenschen in Einklang bringt.“(S. 271) Dass dies noch nicht gelungen sei, ist für den Ökonomen Paul Ekins auch der Hauptgrund für die bislang nur zögerliche Ökologisierung der Steuersysteme, welche keineswegs die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, aber „höhere Spar- und niedrigere Konsumraten“erfordern würde: „In einer Konsumgesellschaft mag das nicht auf Gegenliebe stoßen“(S. 129). Hohe Co2-preise würden starke Änderungen von Lebens- und Konsummustern bewirken, was politisch auch nicht populär sei, „denn viele Formen des Co2-reichen Konsums (beispielweise Reisen) sind in der Gesellschaft tief verwurzelt“(ebd.). Weder Technologie noch Kosten wären demnach der begrenzende Faktor bei der Minderung des Klimawandels, sondern die Politik, so Ekins Schlussfolgerung – „was mit der Vorliebe der Menschen sowohl zum Konsum anstatt zum Sparen und Investieren als auch mit Aspekten Co2-reicher Lebensstile zu tun hat.“(ebd.).
Bedenkenswert sind nicht zuletzt die Ausführungen des Politikwissenschaftlers und Entwicklungsexperten Dirk Messner über die globalen Machtverschiebungen, die politischen Implikationen des Klima wandels sowie Chancen von GlobalGovernance. Machtverschiebungen hätten in der Weltgeschichte häufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Der Zugang zu Rohstoffen sowie die Ausweitung von Einfluss sphären spielte dabei eine zentrale Rolle. Die gegenwärtige Verschiebung von ökonomischer Macht in Richtung Asien werde auch die weltpolitische Lage verändern. Für Messner ist keineswegs ausgemacht, dass dies friedlich verlaufen wird. In der Geschichte seien„ friedliche Übergänge zwischen unterschiedlichen We lt ordnungs konstellationen, also die Ablösung einer Welt ordnungsmacht durch einen oder mehrere Aufsteiger, äußerst selten“vorgekommen( S .289).
Allein internationale Regel werke und V er handlungs systeme, so die Grundidee des„ Insti tut ionalismus“sowie einer„ GlobalGovernance “, könnten„ einen Interessen s ausgleich zwischen Konfliktparteien erleichtern, den Staaten den institutionellen Rahmen für eine ständige Kommunikation eröffnen und ihnen dabei helfen, Vertrauen aufzubauen bzw. Misstrauen abzubauen.“(S. 283) Die Chancen auf friedlichen Ausgleich sind für Messner jedoch gestiegen. Er nennt die starken ökonomischen Verflechtungen, das Fehlen fundamentaler ideologischer Konflikte sowie die Zunahme national staatlicher Demokratien als wesentliche Gründe.
N ochs indes Minderheiten, die sich ressourcenärmeren Lebens stilen zuwenden. Doch die erforderliche Transformation–das macht dieser Band einmal mehr deutlich – wird eine Umsteuerung aller benötigen. Der Umgang mit begrenzten Ressourcen in einer sich rapide wandelnden Welt (siehe Chandran Nair Nr. 42 in dieser PZ) stellt daher wesentlich auch eine Herausforderung an die Demokratie dar, Mehrheiten für diesen Wandel zu finden. H. H.
Nachhaltigkeit: Wohlstand
43 Forum für Verantwortung: Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung. Hrsg. v. Harald Welzer und Klaus Wiegandt. Frankfurt: Fischer, 2011. € 12,99 [D], 13,40 [A], sfr 18,20 ; ISBN 978-3-596-18794-2
Grüner Umbau
„Grüner Umbau. Neue Allianzen für die Umwelt“– so das Thema des Jahrbuch Ökologie 2012, in dem Aspekte einer „Grünen Transformation“aus wissenschaftlicher wie aus der Sicht einzelner Praxisfelder in gewohnt fundierter und gut lesbarer Form beleuchtet werden. Gewonnen werden konnten namhafte Expertinnen wie Reiner Grießham-
mer vom Öko-institut, der das Zusammenwirken der unterschiedlichen Innovationsebenen wie „Wertewandel, Bewusstsein und Verhalten“„Technologie und Produkte“sowie „Marktordnung, staatliche Rahmenbedingungen und Konfliktregelung“analysiert, Ernst U. v. Weizsäcker, der einmal mehr die Notwendigkeit einer ökologischen Steuerreform einfordert, oder Jochen Flasbarth, Leiter des Deutschen Umweltbundesamtes, der die ökonomische Notwendigkeit eines effizienteren Umgangs mit Rohstoffen herausstellt. Die Politikwissenschaftlerin Eva Lang erklärt am „Boiling Frog Syndrom“den Unterschied zwischen „fühlbaren“und „schleichenden“Krisen: während erstere zu raschem (politischen) Handeln führen, z. B. im Kontext der Finanzkrise 2008, würden die schleichenden Krisen wie der Klimawandel zu wenig wahrbzw. ernst genommen, was politisches Nichthandeln zur Folge habe. Ernst Udo Simonis vom Wissenschaftszentrum Berlin und langjähriger Mitherausgeber des Öko-jahrbuchs, ruft die historischen Wurzeln einer Ökologischen Ökonomie von Ernst Haeckel über Herman Daly und Georgescuroegen bis herauf zu einer „ökologischen Modernisierung“(bei Martin Jänicke) in Erinnerung und stellt diesen aktuelle Konzepte eines „Green New Deal“, etwa jenes des Umweltprogramms der Vereinten Nationen gegenüber. Wichtige Beiträge widmen sich auch der Rolle der (alten) Umweltbewegung (Dieter Rucht) sowie neuer Formen des Protests im Kontext der elektronischen Medien (Heike Leitschuh). „Neue Allianzen“werden auch im Bereich der Finanzierung des Klimaschutzes (Liane Schalatek) oder des Waldschutzes (Sybille Acosta) geortet.
Der Tradition des Öko-jahrbuchs folgend, findet man aber auch in dieser Ausgabe kritische Befunde zu einzelnen Problemfeldern (Kap. „Persistente Konflikte“wie Atomenergie, industrielle Landwirtschaft, Biodiversität, Wasserverknappung oder „Landraub“als „moderne Form des Kolonialismus“(Niema Movassat). Unter „Grüne Spuren“werden zudem konkrete Konzepte bzw. Projekte wie das Gutachten „Wege zur 100% Erneuerbaren Stromversorgung“des Sachverständigenrates für Umweltfragen, ein Kommunen- Wettbewerb der Deutschen Umwelthilfe zum Thema „Klimaschutz“oder Ansätze der Umweltpolitikberatung in Nordafrika beschrieben. Das Jahrbuch schließt wie immer mit Porträts über Öko-vorreiter (diesmal Jacques Cousteau und die vor kurzem verstorbene afrikanische „Baumaktivistin“Wangari Maathai) sowie einschlägige Umweltinstitutionen (diesmal vorgestellt werden u. a. das World Future Council sowie eine junge, auf die Neuen Medien setzende Umwelt-ngo namens „Campact“. Resümee: Mit dem vorliegenden „Jahrbuch Ökologie“ist es den Herausgeberinnen erneut gelungen, das gestellte Thema politiknah und wissenschaftlich fundiert aufzubereiten. Es ist auch ein Vermächtnis des vor kurzem verstorbenen und langjährigen Redaktionsmitglieds Günter Altner. Mittlerweile ist ja bereits die nächste Ausgabe erschienen. H. H.
Nachhaltigkeit: Umbau
44 Grüner Umbau. Neue Allianzen für die Umwelt. Jahrbuch Ökologie 2012. Hrsg. v. Günter Altner ...Stuttgart: Hirzel, 2011. 246 S. (Jahrbuch Ökologie 2012) € 19,80 [D], 20,50 [A], sfr 33,80
ISBN 978-3-7776-2152-4
Nachhaltigkeit konkret
Katalysatoren einer ökologisch-kulturellen Wende sind Projekte, in denen dieser Wandel exemplarisch erprobt wird und die Politik und Mainstream-wirtschaft zeigen, dass andere Wege denkund machbar sind. Diese bieten zugleich die Chance, aktiv an der Zukunftsgestaltung mitwirken zu können. Denn in einer immer komplexer und schneller werdenden Welt steigt das Gefühl, dem Geschehen hilflos ausgesetzt zu sein und selber nichts tun zu können. Beispiele eines anderen Wirtschaftens und Lebens, die helfen neue Zukunftsperspektiven zu erschließen, schildern die im Folgenden vorgestellten Bände.
Annette Jensen hat acht Jahre lang bei der „taz“gearbeitet und dort das Ressort Wirtschaft und Umwelt mitbegründet. Seit 1998 ist sie als freie Journalistin für zahlreiche Medien tätig und weiß als „Nachhaltigkeitsexpertin“Bescheid, was derzeit so alles schief läuft. In ihrem Buch „Wir steigern das Bruttosozialglück“hält Jensen damit nicht hinter dem Berg und beschreibt etwa die Macht der großen Energiekonzerne, die an veralteten Lösungsstrategien festhalten, oder die nach wir vor dominanten Mobilitätsstrukturen, die durch tägliche Staus und Transportlawinen die Lebensqualität der öffentlichen Räume zerstören und überdies dem Klima einheizen. Sie kritisiert die globalisierte industrielle Nahrungsmittelproduktion, die Naturzerstörung ebenso in Kauf nimmt wie Tierleid und obendrein nicht in der Lage ist, den Hunger in der Welt zu vertreiben, oder das Versagen eines Finanzsystems, das immer mehr zum Casino für waghalsige Spekulanten verkommen ist. Jensen trägt zusammen, was wir insgeheim wissen und doch immer wieder verdrängen. Dass sie diese Fehlentwicklungen nicht verschweigt, aber – und darauf verweist ja der Buch-
titel – diesen ganz konkrete Beispiele eines anderen Wirtschaften und Lebens entgegensetzt, macht ihre Reportagen so wertvoll.
In fünf Kapiteln porträtiert die Journalistin solche Neuansätze; überschrieben sind sie mit „Energie – David gegen Goliath“(in Anspielung an das Beharrungsvermögen dezentraler Energieprojekte, die Wind, Wasser, Biomasse und Sonne nutzen, gegen die großen Konzerne), „Verkehr – Weitsichtige auf kurzen Wegen“„Produktion – der Ursprung der Alltagsgegenstände“, „Landwirtschaft – Anders ackern“sowie „Banken – das Geld im Dorf lassen.“Dargestellt werden mittlerweile bekannte und auch weniger bekannte Initiativen wie Autofreies Wohnen, Kommunen, die sich dem „shared space“-prinzip verschrieben und Verkehrsschilder aus dem Ort verbannt haben, oder Regiogeld-bewegungen.
Als exzellente Autorin beschreibt Jensen insbesondere Menschen, Pioniere und Pionierinnen, die sich zwar nicht die Rettung der Welt auf die Fahnen geschrieben haben und – so wirken zumindest die Reportagen – niemanden bekehren wollen, die aber in der selbst gewählten neuen Gemeinschaft von Ähnlich- oder Gleichgesinnten aus dem Trott aussteigen und etwas Neues erproben wollen. Dabei können durchaus unterschiedliche Pfade eingeschlagen werden. So werden im Bereich Nahrung etwa selbstorganisierte Erzeuger-verbraucherinnen-initiativen wie die in Bayern ansässige Tagwerk-genossenschaft, die mittlerweile 500 Abnehmer und 100 Erzeuger vernetzt, oder die Regionalwert AG im Raum Freiburg, in der ein Demeter-vertriebssystem auf Basis einer Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mittlerweile 1,7 Mio. Euro beschrieben. Daneben stehen Experimente wie der 101 Hektar große Buschberg-hof in Fuhlenhagen nahe Hamburg, für den Abnehmerinnen gestaffelt nach ihrem Einkommen (Selbsteinschätzung) jährlich einen bestimmten Betrag einzahlen und dann das ganze Jahr über mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt werden. Etwa 400.000 Euro werden im Jahr benötigt, um die 300 Abnehmerinnen und die 40 am Hof Arbeitenden, darunter auch zwölf psychisch Kranke ernähren zu können. Mit „Rein in die Kartoffeln, raus aus dem Kapitalismus“ist ein Projekt umschrieben, in dem auf dem Karlshof rund 80 Kilometer nördlich von Berlin Kartoffeln für Wohngemeinschaften und eine „Volxküche“zum „Nulltarif“angebaut werden. Jeder gibt als Gegengabe, was machbar ist. Selbstverständlich fehlen auch die neuen Bewegungen des Stadtgärtnerns – als Urban- oder Guerilla-gardening bekannt – nicht.
Alternativen sind machbar
Ob Klimawandel, eine Milliarde Hungernde, wachsende Atommüllberge, ein rasend schneller Verlust der biologischen Vielfalt oder ein übermächtiger Finanzsektor – Probleme habe die Menschheit genug, so die Journalistin. Die Buntheit der hier vorgestellten Ansätze und Akteure betrachtet sie dabei als große Chance. Dieses Nebeneinander sei nicht Ausdruck „einer jahrelangen Debatte über den richtigen Weg“. Vielmehr zeigten alle diese Menschen, „dass Alternativen nicht nur theoretisch denkbar, sondern machbar sind – und darüber hinaus oft sogar ausgesprochen lustvoll und beglückend.“(S. 9f.) Im Zentrum steht dabei nicht mehr die simple Steigerung des Bruttosozialprodukts, sondern jene des Bruttosozialglücks – auch wenn dieses ja bislang offiziell nur im Himalaya-staat Bhutan gemessen wird.
Der taz-band „50 einfach Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“, beschreibt ebensolche Beispiele – von Strom in Bürgerhand über Regiogeld-initiativen bis hin zu Migrationsprojekten. Dieses Buch zeigt nicht nur, dass Kraft im Zusammenwirken von Menschen entsteht, was weit über Öko-konsum hinausweist, sondern dass auch soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen, wenn die demokratische Umgestaltung der Gesellschaft(en) gelingen soll. H. H.
Nachhaltigkeit: Projekte
45 Jensen, Annette: Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben. Freiburg: Herder 2011. 238 S., € 16,95 [D], 17,50 [A], sfr 28,80 ; ISBN 978-3-451-30404-0
46 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern. Hrsg. v. Ines Pohl. Frankfurt/m.: Westend 2011. 192 S., € 12,95 [D], 13,40 [A], sfr 20,50 ; ISBN 978-3-938060-34-6
CO Housing
Mehrere gesellschaftliche Trends kommen zusammen, um vor allem in westeuropäischen Städten den Wunsch und Bedarf sowie die Möglichkeiten für selbstorganisiertes, gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnen spürbar und Realität werden zu lassen. Der lange schon zu beobachtende Trend zur Individualisierung, der demografische Wandel, die Änderung von Familienstrukturen und Erwerbstätigkeit, und Veränderungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen führten in den letzten Jahren in manchen großen Städten zu einem deutlichen Anstieg von alternativen Wohnprojekten.
In dem vorliegenden Buch werden kurz die his-
torischen Bezugspunkte und kulturellen Kontexte genannt für solche Phänomene, doch den Schwerpunkt bilden hier die neun Praxisbeispiele von Cohousing. Sie stammen aus Amsterdam, Basel, Berlin, Brüssel, Kopenhagen, Mailand, Stockholm, Tübingen und Wien.
Im einleitenden Kapitel skizzieren die Herausgeber um Michael Lafond in knappen Linien die wesentlichen Merkmale dieser Thematik. Dabei definieren sie „Cohousing“in ideeller Weise: „Die Bewohnenden von Cohousing-projekten gestalten Gemeinschaft, fördern die nachbarschaftlichen Beziehungen über ihre eigenen Wände hinaus und tragen so zur Entwicklung ihrer Städte bei. Sie experimentieren mit ökologischen Bauweisen und verbrauchen durch Teilen weniger Ressourcen. Sie verbinden Generationen, schaffen integrative Wohnräume und neue, attraktive Lebensqualitäten.“(S. 16) Die Kapitel werden durchzogen von einem ganzheitlichen Denken und entsprechend einfühlsamen und reflektierten Formulierungen. Da wird beispielsweise gleich eingangs auch die Skepsis aufgegriffen und erörtert, dass je nach lokalem Kontext und der jeweils vorherrschenden Wohnpolitik und den Eigentumsstrukturen solche in vielen Hinsichten anspruchsvollen Projekte auch zur „Gentrifizierung“beitragen können. Gerade auch nach Lektüre der konkreten Beispiele erscheint dies aber eine eher geringe Gefahr im Vergleich zu den zahlreichen Positivpunkten sowie dem neoliberalen Mainstream.
Die durchweg konzisen Kapitel über die neun Cohousing-beispiele sind jeweils in drei Teile gegliedert: eingangs sind die wesentlichen Eckdaten eines Projektes in einem „Profil“dargestellt: die Besonderheiten, Rechts- und Eigentumsform, Gebäudetyp, Zeitraum der Projektentwicklung, Anzahl der Bewohnenden und Wohnungen, Art und Größe der Gemeinschafts- und sonstigen Flächen sowie Mietpreise und gesamte Projektkosten. Danach folgt eine mehrseitige Beschreibung des Projektes samt Fotos. Und drittens äußern sich ausgewählte Mitglieder dieser Projekte in persönlichen Stellungnahmen zu ihren Motivationen, Erlebnissen und Erfahrungen. Die Projektbeschreibungen beziehen sich auf Fragen wie die nach den jeweiligen Charaktermerkmalen, die langfristige Organisierung und deren Beitrag zu einer nachhaltigen Stadt- und Quartiersentwicklung, die unterstützenden Kontextfaktoren (wie z.b. die Rolle von Politik, Verwaltung, Stiftungen, Banken, Zivilgesellschaft), die Motive der dabei engagierten Bürgerinnen und Bürger, die zentralen inhaltlichen Aspekte der Projekte.
Basis für diese Veröffentlichung ist ein supranationales Netzwerk von Akteuren in dem Themenfeld „Cohousing“, die sich seit Jahren treffen und Erfahrungsaustausch betreiben. Dabei engagieren sich Bewohnende, Wohnexpertinnen und Aktive aus den Bereichen Architektur, Verwaltung und Wohnungsbau. Eine der treibenden Kräfte ist „id22- Institut für kreative Nachhaltigkeit“, die sich kultureller Nachhaltigkeit widmen. In ihrem Verständnis beginnt dies bei den Menschen und ihren lokalen Bezügen mit ihren jeweiligen „Kulturen, Ressourcen, Interessen, Herausforderungen und Träumen“. Dazu gehören auch Demokratisierungs- und Beteiligungsprozesse und langfristiges Denken und Vorsorgen. „Dies verbindet Open-source-urbanismus mit sozialer Gerechtigkeit, ökonomischer Entwicklung und ökologischer Balance.“(S. 20)
Aufgrund des emanzipatorischen und gesellschaftsgestaltenden Anspruches wurde von den Beteiligten auch ein „Cohousing-manisfest“erarbeitet und ist in dem Buch vorgestellt, denn Cohousing entwickelt sich nicht von allein, sondern muss organisiert werden. Dabei handelt es sich um zehn Vorschläge zur besseren Unterstützung von Cohousing-initiativen und der damit einhergehenden nachhaltigen Stadtentwicklung. Sämtliche Texte sind sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache abgedruckt, die Gestaltung des Buches ist durchweg sehr ansprechend und gelungen, durch die 120 Fotos und grafische Elemente wird es aufgelockert. Unter dem Motto „Aktiv werden“sind die Kontaktdaten der vorgestellten Projektbeispiele sowie Veröffentlichungen und weitere Empfehlungen angegeben. Für diese Thematik ist das kleine Buch ein Fundus und mag für zahlreiche Leserinnen und Leser womöglich der letzte Anlass sein, sich endlich auch mit derartigen Wohnmodellen auseinander zu setzen und sogar an einem solchen mitzuwirken oder es zu unterstützen. E. G.
Wohnen: gemeinschaftliches
47 CO Housing Cultures. Handbuch für selbstorganisiertes, gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnen. Hrsg. v. id22 – Institut für kreative Nachhaltigkeit. Berlin: jovis-verl., 2012. 208 S., € 25,- [D], 25,75 [A], sfr 35,- ; ISBN 978-3-86859-148-4
Suffizienz als kulturelle Herausforderung
Im Vorwort der Herausgeber steht zu lesen, dass es sich bei den Wuppertaler Schriften um „herausragende wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten der Nachhaltigkeitsforschung“handelt. In der Tat: der vorliegende Band, es ist die Disser-