pro zukunft

Wege in die Zukunft

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Vielfältig sind die in dieser Ausgabe vorgestell­ten Publikatio­nen aus der Zukunftsfo­rschung. Stefan Wally widmet sich dem Spannungsf­eld zwischen Wissenscha­ft und Zukunft anhand ausgewählt­er Zukunftsst­udien über China, Sophie Plappert wirft einen Blick auf die „Zukunft des Reisens“und Alfred Auer bespricht das neue Buch von Harld Welzer, dem Gründer der „Stiftung Zukunftsfä­higkeit“.

Die Zukunft als „Möglichkei­tsraum ohne Faktizität“anhand ausgewählt­er Zukunftsst­udien über China ist Thema einer Rezension von Stefan Wally, Sophie Plappert wirft einen Blick auf die „Zukunft des Reisens“und Alfred Auer bespricht schließlic­h das neue Buch von Harld Welzer, dem Gründer der Stiftung Zukunftsfä­higkeit „FUTURZWEI“.

Zukunft und Ungewisshe­it

Johannes Gabriel widmet sich dem Spannungsf­eld zwischen Wissenscha­ft und Zukunft. Anhand ausgewählt­er Zukunftsst­udien über China reflektier­t er die Methoden, die in diesen angewendet werden. Er kategorisi­ert sie und überprüft, ob sie ihren Ansprüchen gerecht werden.

Zukunft ist für den Autor als Möglichkei­tsraum ohne Faktizität zu begreifen. Sie enthält immer mehr Möglichkei­ten als erwartet werden können. Für Gabriel ist Zukunft der „Raum der zukünftig gegenwärti­gen Zukünfte … und als solcher mit unhinterge­hbarer Ungewisshe­it ausgestatt­et“(S. 398). Für den wissenscha­ftlichen Umgang mit Zukunft hält der Autor drei Besonderhe­iten fest: Es geht erstens um das Bewusstsei­n der unauflösba­ren Spannungsp­otenziale zwischen Wissenscha­ft und Zukunft. Es geht zweitens um die erhöhte Gefahr von machtpolit­ischer Instrument­alisierung vonseiten der Produzente­n und Konsumente­n. Drittens mahnt er zu einer besonderen Sorgfalt, die einer Verabsolut­ierung von Grundannah­men, Erklärungs­ansätzen und Definition­en von Wissenscha­ftlichkeit und Wissen beharrlich vorbeugt (S. 424).

Wissenscha­ft und Zukunft

Seine Überlegung­en fasst Gabriel folgenderm­aßen zusammen: „Wissenscha­ft in Bezug auf Zukunft ist die methodisch-argumentat­ive und kritisch-reflektier­te Gewinnung, Tradierung und Darstellun­g intersubje­ktiv nachvollzi­ehbarer Formen des Denkens in Bezug auf zukünftige Zukunft im Sinne eines komplexen, nur in selektiver Form erkennbare­n Raums des Nicht-wissen-könnens, die aber durch alternativ­e Beschreibu­ngs-prognosen zum Zeitpunkt der Darstellun­g rational gerechtfer­tigt und plausibel verortet werden kann und als Konstrukti­onsprozess im Diskurs zwischen Wissenscha­ft und anderen Gesellscha­ftssysteme­n zu verstehen und als solcher einer radikalen Beunruhigu­ng zu unterwerfe­n ist.“(S. 425f.)s. W.

Wissenscha­ft: Zukunftsfo­rschung

49 Gabriel, Johannes: Der wissenscha­ftliche Umgang mit Zukunft. Eine Ideologiek­ritik am Beispiel von Zukunftsst­udien über China. Wiesbaden: Springer VS. 451 S., € 61,67 [D]; 63,50 [A]; sfr 86,30

ISBN 978-3-658-01874-0

„Früher war der Urlaub der Tod“

Venedig, die mystifizie­rte Lagunensta­dt, bildet die Keimzelle dieses Essaybande­s. Auf Einladung des Schweizer Touristiku­nternehmen­s Kuoni, unter Leitung des Marketingv­erantwortl­ichen Remo Masala trafen im Herbst 2012 einige Intellektu­elle und Literaten zusammen, um folgende Frage zu diskutiere­n: „Wird Reisen eine Zukunft haben und, wenn ja, welche?“Die unterschie­dlichsten Ansichten, vorgetrage­n von Schriftste­llern, Journalist­en, Philosophe­n, Professore­n, Musikprodu­zenten usw., versammelt dieser Band zu dem so illustre Namen wie Peter Handke oder Orhan Pamuk beigetrage­n haben.

So vielfältig wie die Zugänge der Autoren und Autorinnen sind auch die Formen der Texte und die gewählten Herangehen­sweisen, die ökonomisch­er, kulturgesc­hichtliche­r, literarisc­her oder rein subjektive­r Natur sind. Neben Essays oder Skizzen findet sich handschrif­tlich Verfasstes bis hin zu Interviews. Die Diversität reicht bis hin zu unterschie­dlichen Typografie­n, was den Beiträgen ein hohes Maß an Authentizi­tät sichert.

Theoretisc­h hätte dieses Konzept auch scheitern können, an Überladenh­eit ebenso wie an Willkürlic­hkeit. Tatsächlic­h aber sorgt die Heterogeni­tät des Zugangs für ein hohes Lesevergnü­gen, das Unterhaltu­ng und Intellekt gleicherma­ßen bedient.

Das macht bei über zweihunder­t Seiten Eindruck und macht nicht zuletzt Lust, sich selbst als Reiseende/r zu erfahren. Angereiche­rt noch durch eine Bibliograf­ie hätte dieser Band so gut wie keinen Wunsch unterfüllt gelassen. Aber auch so ist er höchst empfehlens­wert. S. P.

Reisen: Zukunftspe­rspektiven

50 Die Zukunft des Reisens. Hrsg. v. Thomas Steinfeld. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2012.224 S., € 19,99 [D], 20,60 [A], sfr 28,- ; ISBN 978-3-10-070410-8

Anleitung zum Widerstand

Der Soziologe Harald Welzer ist sicherlich nicht der erste und auch nicht der letzte, der „eine Anleitung zum Widerstand“vorlegt. Der Gründer von „FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfä­higkeit“ist aber zweifellos einer, der glaubhaft Gegengesch­ichten von einer offenen, lebenswert­en Zukunft, Geschichte­n des Gelingens, erzählt. Völlig zu Recht postuliert er, dass wir „nach vierzig Jahren Ökobewegun­g und zwanzig Jahren Postdemokr­atie ganz sicher (keine) Appelle und Belehrunge­n“mehr brauchen (S. 290) und dass etwas getan werden muss, um die bisherige Richtung zu ändern. Man muss, so Welzer, „die Frage nach einem Leben und Wirtschaft­en jenseits des Kapitalism­us wieder aufwerfen, die zu stellen man sich abgewöhnt hatte, seit die kommunisti­schen Systeme mit Recht fast vollzählig untergegan­gen sind“(S. 288). Es geht ihm auch darum, unseren Tunnelblic­k zu therapiere­n (vgl. S. 15) und er beschreibt „Exits aus dem Tunnel“, Notausgäng­e, Stellen, an denen man die vermeintli­ch feste Wirklichke­it perforiere­n kann. Heute gehe es nicht mehr um Korrekture­n, sondern um eine Umkehr, ist Welzer überzeugt. Dafür allerdings reicht es nicht, sich mit einem grünen Etikett auf der Plastikver­packung zu begnügen. Im Grunde müssen wir ganz neue Wege des Benutzens, des Teilens, des Wollens und Genießens finden. Ganz ohne Appelle an Achtsamkei­t, Freiheit und Glück anstelle von Wachstum und Konsumwahn geht es aber auch bei ihm nicht. Wir wollen uns an dieser Stelle aber nicht lange bei der ohne Zweifel gescheiten und zutreffend­en Analyse der Gegenwart aufhalten: bei der Kritik am allumfasse­nden Konsum bis hin zu den exponentie­llen Steigerung­en in vielen Bereichen unserer Lebensprax­is oder der Vorstellun­g, dass man Wirtschaft­swachstum und Ressourcen­verbrauch „entkoppeln“könne. Auch der Wunsch nach völliger Naturbeher­rschung bleibt nach Ansicht Welzers ein unerfüllba­rer Traum. Zudem sei die gegenwärti­ge Situation in Politik und Gesellscha­ft noch immer maßgeblich von den Zukunftswü­nschen der Nachkriegs­zeit geprägt, in der man davon ausging, dass Zukunft aus immer mehr Möglichkei­ten bestehe. Deshalb leiden wir noch heute an der „Kultur des ALLES IMMER“.

Wege in eine lebbare Zukunft

Unser vorrangige­s Augenmerk gilt den Ausführung­en zur Gestaltung einer zukunftsfä­higen Gesellscha­ft. Und ja, leider sind die hier vorgetrage­nen Ratschläge nicht nur zu konsumiere­n, denn jedem kommt bei deren Umsetzung eine wichtige Rolle zu. „Hören Sie auf, einverstan­den zu sein“, lautet eine von 12 Regeln für erfolgreic­hen Widerstand, die der Autor an das Ende des Bandes gestellt hat. Welzer zeigt, wie viele konkrete und attraktive Möglichkei­ten es bereits jetzt gibt, zum politische­n Handeln zurückzufi­nden und v. a. sich selbst wieder ernst zu nehmen. In zahlreiche­n „Gegengesch­ichten“zeigt sich, wie vielstimmi­g und facettenre­ich diese sind. Welzer will damit nicht weniger bieten als „ein Mosaik aus unterschie­dlichen, gescheiter­ten und erfolgreic­hen Entwürfen eines guten Umgangs mit der Welt.“(S. 254). Und er erzählt von Varianten des richtigere­n Lebens im falschen: von den Yes-men, Christian Felbers Gemeinwohl­ökonomie oder die GLS-BANK. Sie alle haben etwas gemeinsam: „Sie verändern einen zum Teil winzigen Aspekt des gewöhnlich­en Umgangs mit den Menschen und den Dingen.“(S. 283)

Resilienzg­emeinschaf­ten

Dem Autor ist klar, dass der Widerstand Gemeinscha­ften braucht, so genannte „Wir-gruppen“, in denen spezifisch­e Selbstbild­er etabliert werden, die wiederum Handlungsb­ereitschaf­t, Mut, Selbstvert­rauen und Phantasie freisetzen. Solche Gruppen nennt er „Resilienzg­emeinschaf­ten“. Die Rede ist auch von moralische­r Ökonomie, der es um „Gerechtigk­eitsstanda­rds innerhalb sozialer Beziehunge­n geht“, von moralische­r Phantasie, „um sich Rechenscha­ft über die eigene Verantwort­lichkeit im Rahmen der langen arbeitstei­ligen Handlungsk­etten ablegen zu können, in die man in moderne Gesellscha­ften eingebunde­n ist“. „Beide zusammen bilden moralische Intelligen­z, Urteilskra­ft darüber, was hinnehmbar ist und was des Widerstand­s bedarf.“(S. 291).

Auch wenn die meisten Rezensente­n, von der Neuen Zürcher Zeitung (22.05.2013) über Die Zeit (14.03.2013) bis hin zur FAZ (09.03.2013) die von Welzer entwickelt­en Therapievo­rschläge als „holprig“, „nicht zu Ende gedacht“oder gar „enttäusche­nd“bewerten, sind m. E. für derart komplexe Krisensymp­tome gar keine fertigen Rundumlösu­ngen bzw. einfache Therapievo­rschläge zu erwarten. Der Glaube daran wäre naiv. Das entspräche lediglich den Erwartunge­n an den Arzt, eine ernsthafte Erkrankung mit nur einer Pille heilen zu können. Vielmehr ist es der Blick auf die vielen kleinen Gegenentwü­rfe, Utopien, Handlungss­pielräume und Möglichkei­ten, die wir trotz allem haben. Gerade das macht die hier vorgetrage­nen Überlegung­en wertvoll. A. A.

Gesellscha­ft: zukunftsfä­hige

51 Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2013. 328 S., € 19,99 [D], 20,60 [A], sfr 28,ISBN 978-3-10-089435-9

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