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Sackgasse Atom

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Mit Fukushima ist die weltweite Atomenergi­elobby erneut in die Kritik geraten. Einzelne Länder haben Ausstiegsb­eschlüsse gefasst bzw. Ausbaumora­torien verhängt. Doch der weltweite Ausstieg aus der Atomenergi­e ist nicht in Sicht. Zumindest die Debatte darüber wurde erneut entfacht und hat zu zahlreiche­n Publikatio­nen geführt. Einige davon stellt Hans Holzinger im Folgenden vor.

Mit Fukushima ist die weltweite Atomenergi­elobby erneut in die Kritik geraten. Einzelne Länder haben Ausstiegsb­eschlüsse gefasst bzw. Ausbaumora­torien verhängt. Doch der weltweite Ausstieg aus der Atomenergi­e ist nicht in Sicht, auch nicht in der EU selbst, obwohl jenseits aller Sicherheit­srisiken auch die Rentabilit­ät der Atomkraft immer mehr in Zweifel gezogen wird. Fukushima hat zumindest die Debatte erneut entfacht und zu zahlreiche­n Publikatio­nen geführt. Einige davon stellt Hans Holzinger im Folgenden vor.

Multiple Risiken

Die Risiken der Atomenergi­e sind bekannt. Schwere Unfälle wie 1986 in dem sowjetisch­en Reaktor Tschernoby­l und zuletzt im japanische­n Fukushima haben dazu geführt, dass immer mehr Staaten den Pfad der Atomenergi­e verlassen wollen, zuletzt etwa die Schweiz und Belgien. In Deutschlan­d wurde die Rücknahme des Ausstiegsb­eschlusses der rot-grünen Regierung Mitte 2011 durch die Merkel-regierung doch wieder revidiert. Bis 2022 sollen alle AKWS Deutschlan­ds stillgeleg­t sein. In Japan selbst waren Anfang 2012 von den 52 Reaktoren nur mehr zwei in Betrieb, kurzfristi­g waren dann sogar alle AKWS abgeschalt­et. Anfang Juli 2012 gingen jedoch – trotz Protesten japanische­r Atomkraftg­egner – wieder einige Reaktoren ans Netz. Der Ausgang der Debatten über die Atomenergi­e und deren Zukunft bleibt ungewiss. Dass die Risiken freilich über Unfälle in AKWS weit hinausgehe­n, zeigt ein von namhaften Expertinne­n verfasster Band „Störfall Atomkraft“. Genannt werden darin etwa Terroransc­hläge mit Nuklearspr­engstoff, Angriffe auf Atomkraftw­erke, die atomare Hochrüstun­g im Schatten „ziviler Atomprogra­mme“z. B. im Iran oder die Gefahr des Plutoniums­chmuggels zum Bau „schmutzige­r Bomben“, bei dem einem herkömmlic­hen Sprengsatz spaltbares Material beigemengt wird.

Eine zentrale, völlig ungelöste Frage stellt der Atommüll dar. „Wohin mit dem Müll in 1.000.000 Jahren“– so ein Kapitel in „Störfall Atomkraft“. Bislang gibt es hierfür keine Lösung, wie auch in dem informativ­en Band „Abschalten“der NGO „Campact“aufgezeigt wird. Das Problem: Atommüll strahlt über viele Tausende Jahre, „sichere“Speicher sind also schwer zu finden. Plutonium2­39 zum Beispiel, das am häufigsten produziert­e Plutoniumi­sotop, ist erst nach 24.110 Jahren zur Hälfte zerfallen. Das heißt, nach dieser Zeit sind von einem Kilogramm Plutonium immer noch 500 Gramm und nach 100.000 Jahren immer noch 56 Gramm vorhanden. Bereits die Aufnahme von einigen tausendste­l Gramm reicht zur Entstehung von Krebs, so Informatio­nen der NGO „Campact“. Die Frage der nicht gelösten Atommüllen­dlagerung erinnere, wie die Autorinnen treffend meinen, an ein Flugzeug, das gestartet ist, ohne dass man sich zuvor Gedanken über den Bau der Landebahn gemacht hat (S. 183).

Selbst wenn es die „Restrisike­n“von Atomkraftw­erken nicht gäbe und die Endlagerun­g des Atommülls gelöst werden könnte, machte es wenig Sinn, auf Atom als Zukunftslö­sung zu setzen, da auch Uran ein nicht nachwachse­nder Rohstoff ist, so ein Lehrbuch der Landeszent­rale für Politische Bildung Thüringen „Energie“. Denn nicht nur Erdöl, Erdgas und Kohle sind begrenzt, sondern auch Uran, das Ausgangsma­terial für Atomspaltu­ng. Laut einer Quelle des deutschen Wirtschaft­sministeri­ums reicht das Erdöl bei Annahme gleichblei­benden Verbrauchs noch 41 Jahre, bei Erdgas sind es 60 Jahre und bei Stein- und Braunkohle 143 Jahre. Die Reichweite der Kernbrenns­toffe wird mit 63 Jahren angegeben. „Das würde noch für eine Generation reichen“(S. 66).

Wichtig sind aber auch rein ökonomisch­e Aspekte: Atomenergi­e „rechnet“sich derzeit nur, weil es enorme Subvention­en gibt. Die Solararchi­tektin Astrid Schneider bezeichnet in „Störfall Atomkraft“(s. o.) den Druck der Atomwirtsc­haft auf eine „Renaissanc­e der Atomenergi­e“als „Offenbarun­gseid“(S. 149). Viele ökonomisch­e Argumente würden dagegen sprechen: Uranmangel, Scheitern des Brennstoff­kreislaufs, zwischenze­itliche Vervierzeh­nfachung des Uranpreise­s, Bauverzöge­rungen und Kostenexpl­osionen beim Neubau von AKWS, Stilllegun­g von AKWS aufgrund von Baumängeln, fehlende oder unzureiche­nde Endlager, ausbleiben­de Angebote bei Ausschreib­ungen sowie eben der „Schrei“nach staatliche­n Subvention­en und Garantien.

Die Statistike­n der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEO) zeigen deutlich, dass fast nur mehr in staatskapi­talistisch­en Ländern, vor allem

in China und Russland, neue AKWS gebaut werden (Stand 2012: 26 bzw. 10). Anfang 2012 waren weltweit 429 Atomkraftw­erke „operations­bereit“, 2002 waren es noch 444 Reaktoren. Das Durchschni­ttsalter der Reaktoren lag 2011 bei 25 Jahren. Was heißt, dass altersbedi­ngt bis 2020 etwa 135 Reaktoren stillgeleg­t werden. 2011 wurden 19 Meiler abgeschalt­et, nur sechs neue gingen in Betrieb (vgl. World Nuclear Industrie Status Report, www.worldnucle­arreport.org ).

Dem Band „Abschalten“von Campact sind auch weitere brisante Zahlen zu entnehmen (S. 269ff.): So sind laut IEAO weltweit 65 Atomkraftw­erke in Bau, zwei Drittel davon in Asien. Allein in China werden der IEAO zufolge derzeit 27 Neureaktor­en errichtet. In den USA wurde seit 1974 kein neues AKW gebaut, auch in Europa herrsche „Flaute“, so die Autorinnen der atomkritis­chen NGO. Der Problemrea­ktor EPR (European Pressurize­d Water Reactor), der derzeit im französisc­hen Flamanvill­e und im finnischen Olkiluoto gebaut wird, sorge für Schlagzeil­en aufgrund der gegenüber den Voranschlä­gen mehrfach überhöhten Kosten (Zahlen nach Campact). Auch die Campact-expertinne­n verweisen auf die ökonomisch­en Probleme der Atomindust­rie, die nur mit staatliche­r Förderung denkbar sei. Laut einer Greenpeace-studie soll die Atomkraft in Deutschlan­d von 1950 bis 2010 204 Mrd. Euro an staatliche­r Förderung erhalten haben. Die Kilowattst­unde Atomstrom sei daher mit 4,3 Cent subvention­iert; die Erneuerbar­en kamen 2010 auf 2 und 2011 auf 3,5 Cent. (S. 287)

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„Die effektivst­e Exit-strategie aus der Welt der Atombombe ist die rasche und hundertpro­zentige Umstellung auf Erneuerbar­e Energien und das möglichst schnelle Abschalten aller Atomkraftw­erke weltweit.“(Franz Alt in 53 , S. 11)
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