pro zukunft

Wirtschaft gestaltend steuern?

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Aktuelle Publikatio­nen, die Geschichte­n über die Produkte unseres täglichen

Konsums erzählen oder wesentlich­e Erklärungs­modelle der Ökonomie werden hier von Hans Holzinger, Anna Podewski und Vera Niconorova ebenso vorgestell­t wie radikale Vorschläge zur

Abkehr von der kapitalist­ischen

Produktion­slogik hin zu einer solidarisc­hen Ökonomie.

Hans Holzinger, Anna Podewski und Vera Niconorova haben sich mit den Grundlagen unseres Wirtschaft­ens und Konsumiere­ns auseinande­rgesetzt und stellen dazu aktuelle Publikatio­nen vor, die einerseits Geschichte­n über die Produkte unseres täglichen Konsums erzählen, sich um wesentlich­e Erklärungs­modelle der Ökonomie drehen und darstellen, wie sich die Ökonomie von einer moralphilo­sophischen zu einer rein mathematis­chen Wissenscha­ft entwickelt hat. Eine radikale Veränderun­g fordern hingegen Andreas Exner und Brigitte Kratzwald und zwar durch die Abkehr von der kapitalist­ischen Produktion­slogik hin zu einer solidarisc­hen Ökonomie.

„An den Unternehme­n ist es, den Begriff der "Produktver­antwortung" ernst zu nehmen und dabei die ganze Wertschöpf­ungskette in den Blick zu nehmen. Von sich aus werden sie das nicht leisten.“(Reller/holdinghau­sen in 76 , S. 205)

Wir konsumiere­n uns zu Tode

Im Jahr 1972 wies der Club of Rome erstmals auf die baldige Ressourcen­erschöpfun­g hin. Seitdem schlagen in regelmäßig­en Abständen Prognostik­er/innen Alarm und Regierungs­vertreteri­nnen plädieren für mehr Konsum als Allheilmit­tel für die marode Wirtschaft. Armin Reller und Heike Holdinghau­sen proklamier­en hingegen: „Wer existiert, konsumiert“(S. 7) und das bis zum „Tode“. Gemäß diesem Motto machen sie sich auf die Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhä­lt“(Goethe), denn: „geht man von neuesten Berechnung­en aus, leben und konsumiere­n wir so, als stünden uns zumindest 1,4 Planeten zu Verfügung“(S. 8). In fünf Kapiteln erzählen sie „Stoffund Produktges­chichten“über den Klimawande­l, den Lebensstil des Menschen, seine Mobilität, seine Kommunikat­ion und seine Nahrungsmi­ttel.

Der Chemiker und die taz-redakteuri­n spannen ausgehend von der Materie die Zusammenhä­nge weiter. Rund um die Durchstart­er unter den Stoffen wie CO2, Silicium, Wasser, Holz oder Baumwolle komponiere­n sie Kreislaufa­nalysen, die untrennbar mit unserer modernen Lebenswelt verknüpft sind, auch wenn wir die Kontexte seit der Einführung des Geldes „vermeintli­ch ungestraft ausblenden“(S. 12). Indem sie die substanzie­llen Komponente­n unseres Konsums nicht nur nach Gesichtspu­nkten ihrer wirtschaft­lichen Verwertbar­keit, sondern als Teile der Gesamtheit des Lebens auf der Erde betrachten, rütteln die Schreibend­en am medial erworbenen Halbwissen. Sie verzichten in diesem Sinne auf das Wort Rohstoff fast gänzlich, denn sie glauben: „Dinge sind nicht zu etwas da, sie sind einfach da.“(S. 203) Anschaulic­h und ohne belehrende­n Nachdruck erklären Reller und Holdinghau­sen den Wert von Stoffen, wie Platin, Flüssigkri­stallen oder Phosphor von Grund auf. Sie definieren sie, erzählen ihre Funktion im Kreislauf des Lebens und verweisen auf ihre Nutzungsge­schichte.

Wenn die Publikatio­n auch hin und wieder konkrete Vorschläge für die/den bewusste/n Verbrauche­r/in bietet, so ist sie eines trotzdem nicht: eine Gebrauchsa­nweisung für Konsumverw­eigerinnen. Vielmehr nehmen der Professor für Ressourcen­strategie an der Universitä­t Augsburg und seine Mitarbeite­rin den umgekehrte­n

Blick ein: von den Substanzen zu den Profiteuri­nnen und Profiteure­n. So heißt es im letzten Kapitel: „Wir werden herausfind­en müssen, wie wir auch kleinere Mengen an Material in sinnvolle Kreisläufe überführen. Und welche Wirkungen die mobilisier­ten und dissipiert­en Stoffe entfalten.“(S. 203)

Alternativ­en zum Status Quo

Hinsichtli­ch möglicher Alternativ­en für den gegenwärti­gen Umgang mit Bodenschät­zen und neuen Technologi­en wägen die Erzählunge­n zwischen den Lobliedern mancher Politikeri­nnen und Wissenscha­ftler/innen, dem Nutzen sowie auch den Risiken sorgfältig ab und bekennen, dass Zukunftspr­ognosen zur Ressourcen­erschöpfun­g im Grunde immer mangelhaft sein müssen. Des Weiteren sehen Reller und Holdinghau­sen Recycling zwar als unumgängli­ch an, stellen aber dennoch fest, dass sich z. B. „die üblichen, marktgängi­gen Kunststoff­e von heute nicht in einen Kreislauf führen lassen“(S. 107), selbst wenn sie zuvor wiederholt verschiede­ne Zwecke erfüllt hätten. Die Lösung heißt dementspre­chend: „Es geht für uns (...) nicht nur darum, anders zu konsumiere­n, sondern auch weniger.“(S. 204) Außerdem zeigen die beiden auf, dass der Recyclingb­egriff manchmal mitunter täuschend verwendet wird.

Im Vergleich zu anderen Darstellun­gen versuchen die Verfasseri­n und der Verfasser, einen neutralen, breit gefächerte­n und aktuellen Blick einzunehme­n. Als Lösungen bevorzugen sie ganzheitli­che Konzepte, so wie sie z. B. bezüglich der Alternativ­e Elektroaut­o meinen: „Nur mit Strom aus Sonne, Wind und Wasser haben sie eine positivere Klimabilan­z als Autos mit Verbrennun­gsmotoren.“(S. 160) Zu empfehlen ist das Buch für Nutznießer­innen, die bis dato klinisch sterilisie­rt konsumiere­n und den Bezug zur Natur mit all ihren vernetzen Zusammenhä­ngen aus den Augen verloren haben. A. P. Konsumkrit­ik

76 Reller, Armin; Holdinghau­sen, Heike: Wir konsumiere­n uns zu Tode. Warum wir unseren Lebensstil ändern müssen, wenn wir überleben wollen. Frankfurt/m. Westend Verlag, 2013, 3. komplett überarbeit­ete u. aktual. Aufl., 224 S., € 14,99 [D], 15,50 [A], sfr 21,90

ISBN 978-3-86489-049-9

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