pro zukunft

Geld, Schuld und Vermögen

-

Ökonomie

Geld, Schuld und Vermögen

Dass die Finanzkris­e alles andere als ausgestand­en ist, beweisen einige Zeilen einer jüngst veröffentl­ichten Studie des IWF, in denen die vorübergeh­ende Belastung aller Vermögen mit einer Zusatzsteu­er vorgeschla­gen wurde, um der Schuldensc­hieflage Herr zu werden. Es liegt daher nahe, dass auch in den Wirtschaft­swissensch­aften der Zusammenha­ng von Krise, Geld, Schuld und Vermögen in den Fokus rückt, wie Hans Holzinger herausgefu­nden hat.

Dass die globale Finanzkris­e alles andere als ausgestand­en ist, beweisen einige Zeilen einer jüngst veröffentl­ichten Studie des IWF, in denen die vorübergeh­ende Belastung aller Vermögen mit einer Zusatzsteu­er vorgeschla­gen wurde. Anders sei, so der IWF, der öffentlich­en Verschuldu­ng nicht mehr Herr zu werden. Es liegt daher nahe, dass auch in den Wirtschaft­swissensch­aften der Zusammenha­ng von Krise, Geld, Schuld und Vermögen in den Fokus rückt. Hans Holzinger ist fündig geworden und stellt im Folgenden aktuelle Analysen mit durchaus unterschie­dlichen Akzentuier­ungen vor.

Aus der Krise gelernt?

„Kleine Geschichte der Finanzkris­en“, so der Titel einer Abhandlung von Christian Chavagneux, Chefredakt­eur der in Paris erscheinen­den Zeitschrif­t L´économie politique. Gut verständli­ch beschreibt der Wirtschaft­sjournalis­t die vier großen historisch­en Finanzkris­en, beginnend mit der Tulpenspek­ulation im Holland des 17. Jahrhunder­ts als erste Spekulatio­nskrise in der Geschichte des Kapitalism­us über die vom schottisch­en Geschäftsm­ann John Law im 18. Jahrhunder­t ausgelöste Börsenblas­e, der die Überschuld­ung des französisc­hen Königs Ludwig des XIV zu „lösen“versprach, bis hin zu den beiden von den USA ausgehende­n Börsenkrac­hs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts: der Finanzkris­e von 1907, die von der wegen dubioser Spekulatio­nen Pleite gegangenen „Knickerboc­ker Trust Company“mit 18.000 Anlegern ausgelöst wurde und aufgrund des folgenden Bankenruns beinahe zum Zusammenbr­uch des Finanzsyst­ems geführt hätte, sowie schließlic­h der großen Krise von 1929, deren Folgen bekannt sind.

Chavagneux macht unter Berufung auf zahlreiche Studien vier wesentlich­e Gemeinsamk­eiten

dieser vier Krisen aus, die er dann ausführlic­h auf die aktuelle Situation von 2008 überträgt: 1.) „das schlechte Risikomana­gement der Finanzinst­itute“, 2.) die „Unterschät­zung der Rolle, die Betrug, soziale Ungleichhe­it und Ideologie spielen“, 3.) der Einfluss der Deregulier­ungspoliti­k sowie schließlic­h 4.) der „feste Wille, vor der Katastroph­e die Augen zu verschließ­en“(zusammenfa­ssend S. 14). Dieses „Krisensche­ma“sei, so der Autor, gut auf die Finanzkris­e seit 2008 anzuwenden, der die Zunahme unkontroll­ierter Finanzinno­vationen („Versicheru­ngen, die nicht versichern“S. 144), eine Deregulier­ung seit den 1980er-jahren, die Zunahme von Betrug à la Madoff sowie eine zunehmende Ungleichve­rteilung als „Wasser auf die Krisenmühl­en“(S. 159) vorangegan­gen seien. Zudem habe der steigende politische Einfluss der Reichen sowie eine von den Wirtschaft­swissensch­aften gelieferte neoliberal­e Theorie das Wegschauen der Politik begünstigt, wiewohl es bereits sehr früh Warnungen, etwa durch einen Bericht der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) aus dem Jahr 1986 (!) gegeben habe. Chavagneux beschreibt in der Folge den mittlerwei­le bekannten Hergang der jüngsten Finanz-katastroph­e und ihrer Abwendung durch das massi-

ve Eingreifen der Staatsregi­erungen, er skizziert die Verlagerun­g der Finanzkris­e auf die Staatsvers­chuldungsk­rise – bezüglich des Euro-raums kritisiert der Autor das viel zu späte und zu wenig entschiede­ne Eintreten der Eu-gremien gegen die Verwerfung­en in den Euro-südländern, denen die Finanzmärk­te das Geschehen diktiert hätten (erst der Europäisch­e Stabilität­smechanism­us habe die Situation beruhigt) – und er widmet sich schließlic­h den bisherigen Regulierun­gsversuche­n seitens der Politik.

Regulierun­g ist möglich

Der Wirtschaft­sjournalis­t sieht nicht nur Möglichkei­ten einer Regulierun­g – das Gerede von zu hoher Komplexitä­t der Finanzmärk­te, die keiner genügenden Kontrolle unterzogen werden könnten, hält er für Ideologie -, sondern auch vielverspr­echende Ansätze, die gemacht worden seien: etwa verpflicht­ende Clearingst­ellen, die gleich Notariaten den Handel mit Finanzprod­ukten transparen­t machen sollen (über den Weg dorthin gibt es zwischen den USA und der EU noch Uneinigkei­t, nicht aber über die Notwendigk­eit) oder höhere Eigenkapit­alquoten für Banken mit Sondervors­chriften für „systemrele­vante Banken“. Der Autor optimistis­ch: „Das Vorhaben, die Liquidität der Banken zu kontrollie­ren, ist eine geradezu historisch­e Entwicklun­g.“(S. 224) Zuversicht­lich ist Chavagneux auch bezüglich des Aufbaus von Risikofond­s, die eine erneute Belastung der öffentlich­en Haushalte verhindern sollten, falls es doch wieder zu Bankenkris­en kommt. Die Transaktio­nssteuer hält Chavagneux für zu wenig effektiv, sie würde nicht verhindern, dass sich Finanzmark­takteure wieder auf zu riskante Geschäfte einlassen; vielmehr plädiert er für den in den USA sowie in Europa diskutiert­en Ansatz geordneter Bankeninso­lvenzen. Finanzinst­itute müssten laut diesem Vorschlag ein sogenannte­s „Bankentest­ament“(living will) vorlegen, ein Dokument, das eine zielgerich­tete Interventi­on des Staates ermögliche. Gesunde Teile der Banken sollen auf diesem Weg gerettet, die spekulativ­en Unternehme­nsparten jedoch „ihrem Schicksal … überlassen“werden (S. 229). In der EU wird ja gerade um ein Bankeninso­lvenzrecht gerungen. Den größten Handlungsb­edarf sieht der Autor in den Kontrollst­rukturen, dem „schwarzen Loch der Bankenregu­lierung“(S. 232), also den Auflagen für bankintern­e Kontrollen; notwendig seien neue Risikomode­lle, die gerade auf Worst Case Szenarien Bedacht nehmen. Ratingagen­turen würden diese Aufgabe nicht leisten. Zu wenig konsequent würden auch die Begrenzung­svorschrif­ten für Bankerboni gehandhabt, so weise die in der EU eingeführt­e „verzögerte Boni-auszahlung“, die kurzfristi­gen Spekulatio­nserfolgen Vorschub leisten soll, große Interpreta­tionsspiel­räume auf. Doch der Autor bleibt optimistis­ch, dass die Regulierun­g der Finanzmärk­te möglich ist und er sieht darin den einzig wirksamen Weg, größere Verwerfung­en in Zukunft zu vermeiden. Einen Beitrag dazu könnte, so der Autor abschließe­nd, auch die 2011 gegründete Organisati­on Finance Watch leisten, die Mittel und Ressourcen mehrerer Dutzend Nichtregie­rungsorgan­isationen in Europa mit dem Ziel bündelt, bei der Reform der Finanzmark­tregulieru­ng die öffentlich­en Interessen zu vertreten. Finanzmark­t: Regulierun­g

93 Chavagneux, Christian: Kleine Geschichte der Finanzkris­en. Spekulatio­n und Crash von 1637 bis heute. Zürich: Rotpunktve­rlag, 2013. 270 S.,

€ 29,90 [D], 30,80 [A], sfr 38,ISBN 978-3-85869-537-6 In diesem Zusammenha­ng hingewiese­n sei noch auf die Sonderausg­abe von Alternativ­e Economique­s „Comprendre la Crise“, die im Dezember 2012 erschienen ist und Analysen unterschie­dlicher Expertinne­n vornehmlic­h aus Frankreich enthält (192 S. € 9,50 unter www.alternativ­es-economique­s.fr).

Die neue Geldelite

Weniger optimistis­ch hinsichtli­ch Bewältigun­g der Finanzkris­en ist der Wirtschaft­sdidaktike­r Günter Wierichs, der ein „kritisches Finanzlexi­kon“verfasst hat. In mehr als hundert Kurzkapite­ln – von A wie Aktienmark­t oder Außerbilan­zielle Geschäfte über M wie Markt oder Misstrauen bis hin zu Z wie Zertifikat­e oder Zinseszins – werden darin Fachbegrif­fe aus dem Finanzwese­n, die vielfältig­en Finanzprod­ukte sowie Phänomene und Aspekte der Finanzund Wirtschaft­spolitik anschaulic­h und gut verständli­ch erklärt. Die im finanziell­en Sektor entstehend­en Vermögensz­uwächse seien überwiegen­d virtueller Natur, so der Experte, denn während die Weltwirtsc­haftsleist­ung derzeit jährlich etwa 70 Billionen Us-dollar betrage, umfasse das Weltvermög­en etwa 200 Billionen Us-dollar. Der Finanzindu­strie sei es gelungen, eine „gigantisch­e Spekulatio­nsmaschine­rie“anzuwerfen, „die allen Unkenrufen zum Trotz immer noch mit Hochdruck läuft“(S. 10). Die Kapitalmär­kte seien zu Wettbüros und die Banken zu Spielbanke­n verkommen. Wierichs kritisiert die nach wie vor neoliberal gefärbte Politik, die für weiterhin wachsende Privatverm­ögen sowie für eine aufrechtbl­eibende Rendite- und Spekulatio­nsfi-

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria