Jugend Generation mit vielen Gesichtern
Zukunft, das ist v. a. jene vor uns liegende Zeit, die wir jungen Menschen aufbereiten oder hinterlassen. Denken wir aber hinreichend darüber nach, wenn jugendliche Menschen selbst in die Zukunft blicken, welche Erwartungen, Sorgen und Träume sie haben?
Walter Spielmann hat sich einige aktuelle Publikationen zum Thema angesehen.
Zukunft, das ist vor allem jene vor uns liegende Zeit, die wir - bewusst oder unbewusst - jungen Menschen aufbereiten oder hinterlassen. Selten nur fragen wir jedoch jene, die als Erben unserer Vorausschau all das zu bewältigen haben, was heute gut, angemessen oder unverzichtbar erscheint um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Denken wir aber hinreichend darüber nach, wenn jugendliche Menschen selbst in die Zukunft blicken, welche Erwartungen, Sorgen und Träume sie haben? Walter Spielmann hat sich einige aktuelle Publikationen zum Thema angesehen.
Generation Ego
Sachlich fundiert, schonungslos und zuweilen drastisch formulierend, legen mit diesem Buch zwei ausgewiesene Fachleute lesens-und vor allem bedenkenswerte Befunde zur aktuellen Situation und zur mutmaßlichen Zukunft der „Jugend“in Österreich und Deutschland vor.
Der Begriff „Jugend“, so stellen Bernhard Heinzlmaier (Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien und Geschäftsführer eines deutschen Marktforschungsunternehmens) und Philipp Ikrath (Theaterwissenschaftler und Soziologe) eingangs fest, ist eine „soziale Konstruktion“, die permanentem Wandel unterliege und sich u. a. an Jahren ständig ausdehne (durchaus auch bis jenseits der dreißig). Angetrieben von der „Logik der Selbstoptimierung“(S. 16) würden Flexibilität und Belastbarkeit – so ein erster Befund – zu den wesentlichen Attributen junger Menschen zählen.
Umwertung (fast) aller Werte
Treffend fassen die Autoren die im ersten Kapitel dargelegte Diskussion über den Wandel von Werten und Normen zusammen, wenn sie meinen: „Die Jugend hat eine Zukunft vor sich, die mehr von Wertepluralität, kultureller Vielfalt und kulturellem Wandel geprägt sein wird, als von Unförmlichkeit, Homogenität und langfristig stabilen
Verhältnissen.“(S. 37) Als alles bestimmende Konstante machen sie zugleich die „Imperative des Marktes“aus, welche zu „allgemein bestimmenden Handlungsregeln geworden sind“(S. 40). Angetrieben von einem „amoralischen Kapitalismus“, den nichts anderes als Profitmaximierung antreibt, würden (nicht nur junge) „Menschen zunehmend in Angst vor dem ungeschützten Alleinsein in einer erbarmungslosen Welt leben“(S. 44). Naheliegend, dass auch als Reaktion darauf „die Familie als kleine heile Welt idealisiert wird, als sicherer Rückzugs- und Fluchttraum, als arkadische Insel der Harmonie, die aus der rauen Wirklichkeit der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft aufragt“(ebd.).
Mehr und mehr, so die Autoren unter anderem mit Verweis auf die Sinus-milieu Jugendstudie 2013, würden sich die „adaptiv- pragmatischen Gruppierungen“etablieren, für die egozentrischer Genuss und der durch Strategien der exzessiven Selbstdarstellung inszenierte Statuserwerb im Vordergrund stehen. Für eine kritisch reflexive oder gar rebellische Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft bleit hier kein Platz. Infolge der totalen Individualisierung – jede/r, so lautet die alles dominierende Grundhaltung, ist sich selbst alleine verantwortlich – werde nicht Widerspruch, sondern Konformität zur vorherrschenden Haltung junger Menschen, deren Leben immer mehr von Stress und Leistungsdruck geprägt ist. (Mehr
als 60 % der 14-29-Jährigen – so Befunde einer Repräsentativbefragung in Österreich aus dem Jahr 2012 – geben an, in Arbeit, Schule oder Studium „starkem Druck ausgesetzt zu sein“(S. 68).
Gespaltene Zukunft
Optionen, die dieser Entwicklung entgegen stehen, sind für junge Menschen kaum in Sicht. Angesichts der Beschleunigung aller Lebensbereiche – der Soziologe Hartmut Rosa spricht in diesem Zusammenhang von „Gegenwartsschrumpfung“(vgl. S. 77) – wird das jugendliche Selbst zum Provisorium, die permanente Selbstinszenierung und –optimierung zum Prinzip. Folge dieser Entwicklung ist unter anderem auch das auf den ersten Blick schizophren anmutende Optimismus-pessimismus-paradoxon: „In Hinblick auf die eigene Zukunft ist ein Großteil der Jugendlichen optimistisch, geht es aber um die Zukunft der Gesellschaft, so zeigen sich ein und dieselben Jugendlichen hochgradig pessimistisch.“(S. 84) Die zunehmende Entkopplung von persönlicher und gesellschaftlicher Zukunftsperspektive führen die Autoren am ehesten auf eine Haltung des Verkennens, Bestreitens oder Verleugnens zurück.
Jugendliche seien heute kaum noch bereit, sich gesellschaftlich zu engagieren, meinen die Autoren, und verweisen zugleich auf das Phänomen eines medial inszenierten Aktionismus. Im Hinblick auf den Zusammenhang von Jugend und Politik sprechen sie gar von einer „verkorksten Affäre“. „Je nach Lesart haben wir es mit einer Generation von entweder faulen Hedonisten oder überangepassten Strebern“zu tun, heißt es etwa (S. 111). Dennoch könne von einer unpolitischen Generation de facto nicht gesprochen werden. Die empirischen Daten würden für Österreich geradezu das Gegenteil nahelegen: Waren es im Jahr 1990 47 % der 16- bis 24-Jährigen, die angaben, sich „sehr“oder „eher“für Politik zu interessieren, so waren es 2011 bereits 55 %. Grundsätzlich würden Jugendliche traditionelle Formen der politischen Inszenierung eher ablehnen, neue, authentische Formen aber durchaus Sympathie entgegenbringen. Mit dem Eintreten für Transparenz und Basisdemokratie erreichten die deutschen „Piraten“im Sommer 2012 bei Jugendlichen einen Stimmenanteil von beinahe 25 %; in Österreich waren es immerhin 12 % (vgl. S. 127).
Bildung – Arbeit – Freizeit
Mit der zunehmenden Ausrichtung der Schule auf technische, betriebswirtschaftliche und naturwissenschaftliche Ausbildung gerate eine auf die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit abzielende Bildung mehr und mehr ins Abseits, kritisieren die Autoren. Für Jugendliche sei es zunehmend selbstverständlich, dass Bildung vor allem berufliche Qualifizierung zum Ziel hat, für die es notwendig und auch selbstverständlich sei, lebenslang Zeit und Geld zu investieren. Zunehmend würden die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit durchlässig; neben der „Rationalisierung des Privaten“sei die „Emotionalisierung des Beruflichen“zu beobachten (vgl. S. 137ff.). Mit einem Blick auf postmoderne Jugendszenen, die ehemalige Ikonen der 68er-generation auf der Grundlage eines kapital- und marktkonformen ästhetischen Individualismus neu erfinden, auf die Bedeutung des Internets als „permanentem Beschleuniger“und auf die Jugend im Jahre 2030 – kein Ende der Individualisierung in Sicht, die traditionelle Familie wird neu erfunden, persönliche Freundschaften gewinnen an Wert – schließt diese insgesamt sehr empfehlenswerte Darstellung.
Jugend 108 Heinzelmaier, Bernhard; Ikrath, Philipp: Generation Ego. Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert. Wien: Promedia-verlag, 2013. 206 S.,€ 17,90 [D], 18,40 [A], sfr 26,85 ; ISBN 978-3-85371-361-7
Die Macht der Aggression
Natürlich ist die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt keineswegs ein Jugendphänomen. Doch leben Jugendliche nicht in einem gewaltfreien Raum, sondern sind zugleich immer wieder Opfer und Täter aggressiven Verhaltens. Biologische, psychologische, sozialwissenschaftliche und pädagogische Befunde zu diesem Thema versammelt der hier angezeigte Tagungsband.
Michael Köhlmaier, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch begnadeter Erzähler von Mythen und Märchen, berichtet einleitend, wie ihn das Grimmsche Märchen vom „Mädchen ohne Hände“als Kind bis in den Traum verfolgte. Faszination und Schrecken würden darin exemplarisch gezeigt; „Literatur interpretiert nicht“, so Köhlmaier, „sie zeigt, was ist“. „In Märchen wie in Träumen präsentiert sich der Mensch, der Einzelne (…) in seiner Absolutheit und seiner Totalität.“(S. 17). „Das Schöne sagt: ich will, dass ist. Das Böse sagt: Ich will, dass nicht ist.“(S. 19) Und „wehrt sich Schönheit auch gegen jede Vereinnahmung, verflüchtigt sich, wenn wir nach ihr greifen, so wären ohne sie nur Ödnis und Langeweile – wie in der Hölle.“(S. 20)
Klaus Wahl– der Jugendforscher leitet unter anderem PAPIS („Psychosoziale Analysen und Prävention – Informationssystem“) erörtert die Wurzeln von Aggression und Gewalt. Diskutiert werden Definitionen und Dimensionen individueller Gewalt, einige Aspekte ihrer Verbreitung (die Gewaltbereitschaft von männ-
lichen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren in Europa ist in Armenien und Griechenland, aber auch in Österreich und Ungarn signifikant hoch, am niedrigsten hingegen in Portugal und Deutschland, [vgl. S. 24] sowie deren Ursachen. Dazu einige Befunde: Von der körperlichen Aggression bei Kindern bis zur Gewalttätigkeit von Erwachsenen dominiert der männliche Teil; bei der Beziehungsaggression(intrige,verpetzen)„tunsichhingegen schon kleine Mädchen eher hervor“(S. 34). Wahl erörtert zudem Risikofaktoren von Aggression (Frustration, Ohnmachts-, Macht-oder Lustgefühle, ADHS u. a. m.), um abschließend Maßnahmen zur Prävention daruzulegen (bessere Information schon für Pädagoginnen im Vorschulbereich, aufsuchende Hilfe für Männer gegenüber“[56zu44%](s.97).schließlichkonnteauch nachgewiesen werden, dass Religion zu Gewaltprävention beiträgt, sofern sie von einer kritischen Masse (etwa 12 % der Bevölkerung) praktiziert wird. Grundsätzlich, so Pfeiffer, sollte sich Erziehung an drei Prinzipien orientieren, denn jedes Kind brauche „Vorbilder an denenessichorientierenkann,aufgabenandeneneswachsen kann und Gemeinschaften, in denen es sich aufgehoben fühlt“. (S. 109)
Die weiteren Beiträge seien stichwortartig angeführt: Klaus Wolf (Erziehungswissenschaftler an der Universität Siegen) erörtert „Macht und Gewalt in der Erziehung“; Klaus Fröhlich-gildhoff thematisiert Möglichkeiten der Gewaltprävention und -intervention als Teil derorganisationsentwicklunginkindergartenundschule; pädagogische Förderung und Therapie von aggressiven Kindern und Jugendlichen ist das Thema von Franz Petermann; Hanna-barbara beschließt den Band mit Überlegungen zur Frage „Was verleiht uns Macht über die Macht?“Jugend: Aggression
109 Die Macht der Aggression. Hrsg. v. Anna Maria Kalcher … (61. Int. Pädagogische Werktagung Salzburg) Wien: G&G Verl., 2012. 214 S., € 22,90, sfr 34,35 ISBN 978-3-7074-1467-7
Generation Globalisierung
„Früher war“, - so hieß es ehedem, „das Leben einfacher“. Freilich ist das ein Generationen übergreifender Topos, kaum geeignet, die realen Lebensbedingungen junger Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehaltvoll zu beschreiben. Und doch lassen sich so auch die Befunde der in dieser Studie aufbereiteten Daten und Fakten, aus langjähriger pädagogischer Arbeit gewonnene Erfahrungen und von Jugendlichen der „Generation A - Z“formulierte Eindrücke auf den Punkt bringen.
Was sind nun die Herausforderungen, denen die „Generation Globalisierung“gegenübersteht. Zum einen hat die Autorin, unterstützt von einer Reihe von
Expertinnen, insgesamt zwölf Jugendliche zu einer „Schreibwerkstatt“eingeladen. Zu Papier gebracht und ausführlich diskutiert wurden Fragestellungen rund um das Thema Energie - von den Risiken der Atomwirtschaft bis hin zu Erwartungen in Richtung einer Politik und Wirtschaft, die dem Postulat der Zukunftsverträglichkeit oberste Priorität einräumen. Aktionistische Akzente - Gespräche mit Mitschülerinnen, Plakate, Bürgerbefragungen und ein Schreiben an den Bundesumweltminister – unterstreichen das Anliegen.
Den bei weitem größten Anteil an der Publikation nehmen grundlegende Faktoren des persönlichen und/oder kollektiven Gelingens nachhaltiger Lebensgestaltung ein. So geht es etwa um „privates Selbsthilfepotenzial“(strukturelle Bedingungen von „Familie“), um „Motive und Motivation“, um „Inklusion und Diversität“(Globales Lernen zwischen Selbstbegrenzung und Normverlust) oder um „Anstrengungsbereitschaft und Ausdauer“oder um „Modelle und praktische Handlungsfähigkeit“.
Nur bedingt gelingt es der Autorin, Erfahrungen aus der pädagogischen Alltagsarbeit mit vielschichtigen und durchwegs auch komplizierten theoretischen Fragestellungen nachvollziehbar zu verknüpfen. Prägnante Befunde verdienen jedoch in den Blick genommen und weiter diskutiert zu werden. Ungebrochen prägt das Bild der „Ernährerfamilie“mit maximal zwei Kindern die Zukunftserwartung auch junger Menschen. 71 % der Jungs, und 81 % der Mädchen fühlen sich in ihrer Familie geborgen und wünschen sich selbst, diese Form des Miteinanders als Erwachsene fortzusetzen. Nicht unbegründet erscheint
die Annahme, dass diese Erwartung „eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber den großen globalen Herausforderungen“signalisiert (vgl. S. 38). Andererseits spricht manches dafür, „dass das Verhältnis zwischen ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ neu definiert wird“, postuliert die Autorin, und nennt das reale gemeinschaftliche Kochen als Ersatz für kulinarisch ambitionierte Fernsehformate. Nicht minder sind Eltern in ihrer Aufgabe heute in besonderer Weise gefordert und belastet, sei es doch geradezu selbstverständlich, „verunsichert zu sein“(S. 42).
Auf das praktische Tun kommt es an
Wo Kinder zu einem „ambitionierten Projekt“werden, „das vor allem durch Bildung gelingen und nach außen glänzen soll, werden alltagspraktische Fähigkeiten und Fertigkeiten unterbewertet“(S. 42), konstatiert die Autorin. Das signifikant wachsende Interesse an partizipativen und von praktischem Tun geprägten Schul- und Unterrichtsformen mache hingegen deutlich, dass die „Generation Globalisierung“ die Vorzüge einer technisch aufbereiteten, spontan und zu jederzeit verfügbaren Welt zwar schätzt, zugleich aber großen Wert darauf legt, verantwortungsvoll für die Gesellschaft tätig zu sein. „Ich kann – in echt“, das bringt auf den Punkt, was rund 90 % der „Generation Globalisierung“in ihrem beruflichen Alltag leben wollen (vgl. S. 124). Von Egotrip pur also keine Spur! Alles in allem freilich ist der Gesamtbefund ambivalent: Junge Menschen sind unbekümmert und hoffnungsvoll (sofern es um ihre Familie und ihre privaten Zukunftserwartungen geht), zugleich aber oft verunsichert und verzagt im Hinblick auf ihre gesellschaftliche und politische Zukunft. Dass sie darauf unterschiedlichste und - zumindest auf den ersten Blick - scheinbar unvereinbare „Lösungsstrategien“entwerfen, sollte nicht allzu sehr überraschen.
Globalisierung: Jugend 110 Gebhardt-eßer, Ute: Generation Globalisierung. Nachhaltigkeit im pädagogischen Alltag. München: ökom Verl., 2013. 200 S., € 19,95 [D], 20,50 [A], sfr 29,90 ; ISBN 978-3-86581-400-5