Politische Theorie Die Revolution ist abgesagt
Gibt es neue Impulse, wie eine bessere Welt möglich wird? Stefan Wally hat gelesen, was alte Bekannte wie Chantal Mouffe und Karl-heinz Roth sagen und was junge Wilde wie Armen Avanessian und Friedrich von Borries beitragen können. Fest steht: Die Revolut
NAVIGATOR
Gibt es neue Impulse, wie eine bessere Welt möglich wird? Stefan Wally hat gelesen, was alte Bekannte wie Chantal Mouffe und Karl-heinz Roth sagen und was junge Wilde wie Armen Avanessian und Friedrich von Borries beitragen können.
„Die zentrale Frage lautet demnach, wie die für jedwede Politik konstitutive Unterscheidung zwischen ‘uns’ und ‘denen’ so gestaltet werden kann, dass sie mit der Anerkennung des Pluralismus vereinbar wird.“(Chantal Mouffe in , S. 31f.)
Pluralismus statt Konsens
Sind die Konflikte in den modernen freien Demokratien durch rationalen Diskurs auflösbar? Ist es wünschbar, dass in Diskussionen ein umfassender Konsens entsteht? Chantal Mouffe antwortet zweimal „Nein“.
Chantal Mouffe hat sich über Jahre hinweg mit Fragen der Demokratie auseinandergesetzt. Sie wurde zu einer der einflussreichsten Analytikerinnen. Sie legt nun mit „Agonistik: Die Welt politisch denken“ein Buch vor, in dem sie eine Übersicht über den aktuellen Stand ihrer Überlegungen gibt.
Mouffe lehnt die beiden dominierenden Ansätze des Demokratieverständnisses ab. Das deliberative Modell geht davon aus, dass sich in einer freien Gesellschaft anhand von moralischen Überlegungen und vernünftiger Argumentation politische Ergebnisse erzielen lassen. Das zweite Modell, sie nennt es das “aggressive Modell“, redet von Politik als dem Durchsetzen von Interessen.
„Agonistisches Modell“der Politik
Stattdessen spricht Mouffe von einem „agonistischen Modell“der Politik. Für die Autorin ist es nicht denkbar, einen Konsens in der Gesellschaft herzustellen. Konsens bedeute die Konstitution eines „Wir“, das aber ohne ein „Ihr“nicht möglich sei. Stattdessen sollen Konflikte gerade nicht eliminiert werden, da sie die Grundlage des Pluralismus sind. Konflikte gelte es aber nicht als Auseinandersetzung zwischen Feinden (Antagonismus), sondern als Auseinandersetzung unter Kontrahenten (Agonismus) zu führen. Kontrahenten wollen ihre Ideen durchsetzen, sie hegemonial werden lassen, stellen aber nicht das Recht der anderen infrage, für dessen Vorschläge zu werben. Dieser agonistische Wettstreit sei die Grundbedingung einer lebendigen Demokratie. (S. 28ff.) Dieser Konkurrenzkampf bedarf der Akzeptanz von demokratischen Spielregeln.
Ihr Ansatz ist, dass die „Leidenschaften“als treibende Kraft auf dem Feld der Politik zur Kenntnis
genommen werden müssen. Es gelte nicht, diese Leidenschaft zu eliminieren, sie sollen fruchtbar gemacht werden für kollektive Identifikationsmöglichkeiten und demokratische Ziele. Zur aktuellen Politik bezieht sich Mouffe auf das Vokabular des italienischen Marxisten Antonio Gramsci. Dieser unterscheidet in der politischen Auseinandersetzung zwischen Bewegungskrieg (Revolution) und Stellungskrieg (dem Ringen um Meinungsführerschaft). Mouffe plädiert heute für ein Streiten für das Wirksamwerden von Demokratie und Freiheit in den entwickelten Staaten: „Deshalb sollte es in solchen Gesellschaften die Strategie der Linken sein, sich für die Stärkung dieser Prinzipien einzusetzen, und dies erfordert keinen radikalen Bruch, sondern das, was Gramsci ‘Stellungskrieg’ nennt, eine Auseinandersetzung also, die zur Erzeugung einer neuen Hegemonie führt.“(S. 197) Demokratie
98 Mouffe, Chantal: Agonistik. Die Welt politisch denken. Berlin: Suhrkamp, 2014. 214 S.,
€ 16,- [D], 16,50 [A], sfr 23,10
ISBN 978-3-518-12677-6
Entscheidende Reformen
Ein klassisches Manifest stellt das Büchlein dar, das Karl Heinz Roth und Zissis Papadimitriou vorgelegt haben. Unter dem Titel „Die Katastrophe verhindern. Manifest für ein egalitäres Europa“argumentieren sie für einen neuen Versuch, die Politik auf diesem Kontinent zu verändern. Roth gilt seit langem als Vordenker der radikalen Linken in Deutschland, mit vielen Büchern hat er immer wieder Einfluss auf das Ideenrepertoire dieses Lagers genommen. Zissis Papadimitriou war Professor für Soziologie und Politische Wissenschaften in Thessaloniki und publiziert ebenfalls seit Jahrzehnten.
In dem Manifest beschreiben die beiden die Entwicklung Europas, die zur Wirtschaftskrise und zur aktuellen Stagnation führten. „Inzwischen ist Europa zum Epizentrum der globalen Stagnation
98
geworden.“(S. 40) Sie beginnen mit den Auseinandersetzungen nach dem Kollaps des Goldstandards in der ersten Hälfte der 1970er-jahre und beschreiben die Deregulierung der Finanzmärkte und die Entwicklung der deutschen Vormachtstellung in Europa. Sie kritisieren das „beispiellose Programm zum Ausbau der deutschen Wettbewerbsposition auf dem europäischen Binnenmarkt“(S. 29) durch die Agenda 2010 der rot-grünen deutschen Bundesregierung, das auf Deregulierung der Arbeitsmärkte, der Einführung eines Niedriglohnsektors und dem Abbau von Sozialleistungen basierte. So steigerte Deutschland seine Arbeitsproduktivität und senkte die Reallohnkosten. Die Autoren sprechen von der „Logik des deutschen Neomerkantilismus.“Die überakkumulierte deutsche Produktionsbasis konnte dauerhaft nur gesichert werden, da sie auf ständig wachsende Waren- und Kapitalexportmärkte zurückgreifen konnte, auf denen der in Deutschland produzierte Mehrwert realisiert und reinvestiert werden konnte. Die Situation in Griechenland lässt sich auch so erklären.
Manifest der Reformen
In dem Manifest gehen die Autoren von der Beschreibung der Entwicklung zur Formulierung eines Programmes über. Bemerkenswert dabei, dass sie sich von Revolutionsmodellen verabschiedet haben. „Die erste Prämisse basiert auf der im Ergebnis unseres jahrzehntelangen Engagements gewonnenen Einsicht, dass die Revolutionsmodelle, die einst die verschiedenen Strömungen der Arbeiterlinken beflügelten, überholt sind.“(S. 93) Die Autoren setzen auf „entscheidende Reformen“, die schließlich den Systembruch herbeiführen, auf mehrere Etappen sich verteilen und über längere Zeitspannen erstrecken und die einen oder mehrere Generationswechsel einschließen (S. 94). Klar sei auch, dass der Systemwechsel nur mehr auf der Grundlage eines transnational koordinierten Vorgehens möglich sei, das ganze Kontinente oder Weltregionen umfasst (S. 97).
Die Kernforderungen in dem Manifest sind die Entschleunigung des Arbeitstempos und der Arbeitsrhythmen sowie Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich (s. a. nächstes Kapitel in dieser PZ). Es geht um den Ausbau und die Erneuerung der sozialen Sicherungen, die Rückverteilung von gesellschaftlichem Reichtum, die Verhinderung von Kapitalflucht und die Vergesellschaftlichung der Investitionen. Öffentliche Güter sollen wieder von der Gemeinschaft angeeignet werden, die Gleichheit der Geschlechter unterstützt, das Schengener Grenzregime liquidiert, eine Kehrtwende in der Umweltpolitik herbeigeführt und die Ungleichgewichte in Europa überwunden werden. Die Autoren denken an eine Föderative Republik Europa, in der Kommunen und Kantone stark sind, die Nationen in übernationalen Regionen zusammengefasst werden. Einen „Aufbruch zu neuen Ufern“nennen sie ihr Projekt. Kaum wo liest man eine derart kompakte Darstellung der Politik der radikalen Linken wie hier, wenngleich deren Radikalität vor Jahren schon wesentlich ausgeprägter war. Europa: Föderative Republik
99 Roth, Karl Heinz ; Papadimitriou, Zissis:
Die Katastrophe verhindern. Manifest für ein egalitäres Europa. Hamburg: Nautilus, 2013. 125 S., € 9,90 [D], 10,30 [A], sfr 13,90
ISBN 978-3-89401785-9
Die Immanenz der Macht
Baruch de Spinoza war ein radikaler Denker im 17. Jahrhundert. Martin Saar untersucht, welche Anschlüsse heute noch an den niederländischen Tabubrecher möglich sind, wenn wir über Politik reden. Indizien, dass Spinoza noch heute eine Rolle spielen kann, findet man genug: Auf ihn bezogen sich Strukturalisten genauso wie zuletzt Antonio Negri und Michael Hardt in ihrem Buch über die Multitude. Und der Begriff der Multitude hat eine Vorgeschichte bei Spinoza.
Saar präsentiert die drei zentralen Werke Spinozas, die das Gemeinwesen zum Thema hatten. Das sind der „Tractatus theologico-politicus“, der „Tractatus politicus“und sein Hauptwerk „Ethica ordine geometrico demonstrata“. Aus allen Texten versucht er Kernelemente herauszufiltern, die anschlussfähig sind.
Spinoza attackierte die theologischen Lehren seiner Zeit. Auch der politischen Obrigkeit sprach er die Autorität in der Bestimmung konkreter Lebensgestaltung ab. Die Kirche solle außer praktisch-moralischen Grundsätzen keine Aussagen treffen, die Politik müsse ihre Legitimität wesentlich anspruchsvoller definieren. Er kam zur Überzeugung, dass „gemeinschaftliche Einigung die alleinige Quelle legitimer politischer Autorität ist und dass allein die Vernunft das Forum zur Prüfung einander widerstreitender Argumente sein kann“(S. 412). Die Macht des Volkes, der Multitude, sei die einzige Quelle der Handlungsfähigkeit und der Stabilität der Institutionen und Herrschaftsstrukturen. Deshalb müsse sie in das Regieren eingebunden sein.
Diese Multitude besteht nun aus Menschen, die immer zugleich vernünftig und affektgeleitet sind.
Sie müssen sich zu allererst von unverstandener Bedingtheit und inneren und äußeren Einflüssen befreien, um zu einer selbstbestimmten Existenz zu gelangen. Dabei legen sie ihre potenia frei, das, was sie von Natur aus vermögen und können. Diese Fähigkeiten sind nach Spinoza immer schon gegeben, immanent. Diese Natur ist aber nicht stabil, bei Spinoza kommt durch das „Conatus-prinzip“Dynamik in die Sache. Unter diesem Prinzip versteht er eine Wirkkraft, die den Akt des Werdens ermöglicht: Das Wachsen und Vergehen von Pflanzen genauso wie das menschliche Werden.
Das Prinzip des Werdens
Dieses Werden führt aber genauso zu vernünftigen wie zu von Affekten geleiteten Reaktionen der einzelnen Menschen und der Multitude. Saar beharrt deswegen darauf, dass die Effekte der Macht der Multitude bei Spinoza „grundsätzlich unterbestimmt sind, ihr Wirken produktiv oder destruktiv sein könne und deshalb Macht, anders als es viele Theorien zulassen, Konstitution oder Zerstörung bedeuten kann.“(S. 414f.) Die Affektenlehre räumt den Gefühlen und emotionalen Dispositionen sowie imaginären Dynamiken einen herausragenden Platz ein und macht damit die Unbestimmtheit der Macht in Bezug auf das, was man Fortschritt nennt, offensichtlich.
„In ihrem Zentrum steht eine Konzeption der multitudo, der Menge, als des unverfassten, aber unverzichtbaren Fundaments der Macht des Staates sowie eine anspruchsvolle Theorie der politischen Freiheit. Auch an diesem Punkt ist Spinozas Theorie offen für Ambivalenz und Kontingenz. Die Menge ermöglicht und bedroht zugleich die staatliche Ordnung.“(S. 416) Diese Interpretation ist insofern wichtig, als auch Antonio Negri sich auf Spinoza bezieht, Negri aber eine grundsätzlich positive Richtung der Machtausübung der Multitude annimmt.
Saar kommt zu einigen Schlussfolgerungen für die politische Theorie. „Gegen die eine Macht hilft nur eine andere Macht.“Spinozas Denken der Regierung, der Affekte und der Demokratie verfährt (…) ganz ähnlich: Das unvermeidliche Regiertwerden kann nur durch alternative Formen der (Selbst-)regierung in verträgliche Bahnen gelenkt werden.“Spinoza richte sich gegen eine eindeutige Scheidung zwischen guter und destruktiver Gewalt, er richte sich gegen die Idee einer vollständigen Steuerung durch die Regierung, er richte sich gegen den Versuch, Affekte aus der Politik zu verbannen. Seine Theorie der Immanenz liest Saar so, dass die Gesetze, Normen und Kriterien aus den Vollzügen des menschlichen Lebens, Erkennens und Zusammenlebens selbst entstehen und deswegen Ausdruck ihrer Natur seien. Aufruhr sei immer immanent, in der Natur des Menschen angelegt, Ausdruck dessen, dass Regiertwerden nur so lange toleriert wird, solange der Preis dafür, sicher zu leben, nicht zu hoch geworden sei (S. 426). Demokratietheorie
100 Saar, Martin: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza. Berlin: Suhrkamp, 2013. 459 S., € 22,- [D], 22,70 [A], sfr 30,80
ISBN 978-3-518-29654-7
Kapitalismus gegen Kapitalismus
Wenn gegen den Kapitalismus nichts wirkt: Wie wäre es damit, den Kapitalismus gegen sich selbst antreten zu lassen? Auf diese Idee ist Friedrich von Borries gekommen. Wie er sich das vorstellt, lässt er uns in seinem Buch „RLF. Das richtige Leben im falschen“verfolgen.
Ein Hamburger Kreativdirektor einer Werbefirma gerät in London in die Wirren politischer Auseinandersetzungen, schlägt sich auf die Seite des Protests, motiviert auch durch eine der Aktivistinnen. Er wirft Steine und gerät in das Visier der Polizei und seine Überwachung beginnt.
Jan, so heißt der Werber, beginnt nun, das was er kann: werben und verkaufen, gegen das System einzusetzen, das ihn beschattet. Er gründet das Unternehmen RLF, das Geld verdient, mit dem eine Mikronation aufgebaut wird, die der Kern der kommenden Weltrevolution sein soll. Auch die Art des Geldverdienens ist Ausdruck des Protests: Er verkauft das Lebensgefühl des Widerstands, kopiert und verfremdet. Er verkleidet einen Couchtisch von IKEA mit Gold und bricht so die Zuordnungen, die die Gesellschaft Waren zuschreiben will.
Eine Art Utopieverbot
Mikael, einer der Partner Jans, sieht das so: „Wir sollen die Alternativen zum bestehenden System nicht denken. Eine Art Utopieverbot. Und da setzt RLF an. Denn RLF kann wie ein Virus in das bestehende System eindringen, den Code der Konsumenten verändern. Wie eine Krebszelle, die die Helferzellen des Körpers aktiviert, um ihn zu zerstören, und dann produziert der Körper seine eigenen Krebszellen, zersetzt sich selber, genau so soll RLF funktionieren. Den Kapitalismus von innen zerfressen…“(S. 191).
Die Firma RLF gibt es wirklich, sie verkauft tatsächlich solche Produkte. Das Buch ist ein Roman,
seine Sprache ist auch angemessen, um diese Idee der Rebellion zu erzählen. Erzählen funktioniert hier besser als erklären. Kapitalismuskritik
101 Borries, Friedrich von: RLF. Das richtige Leben im falschen. Berlin: Suhrkamp nova, 2013. 251 S., € 13,99 [D], 14,40 [A], sfr 13,90
ISBN 978-3-518-46443-4
Bedeutungen verschieben
Aus dem Merve Verlag kommt das Buch über „Metanoia“, das Armen Avanessian gemeinsam mit Anke Hennig geschrieben habt. Avanessian ist Philosoph, Hennig ist Literaturwissenschaftlerin. Die beiden gehen dem Phänomen nach, warum Menschen nach der Lektüre von Büchern manchmal den Satz verwenden: „Jetzt sehe ich alles anders.“Oder: „Das Buch hat mich zu einem anderen Menschen gemacht.“Oder: „Ich verstehe nicht mehr, was ich mir früher dabei gedacht habe.“
Kann das wirklich passieren? Macht das Sinn? Können Texte ein Leben wirklich verändern? Avanessian und Henning meinen ja, und holen zu einer umfassenden philosophischen Begründung aus. Sie nennen das Phänomen „Metanoia“.
„Spekulativer“Realismus
In einer Metanoia werden bisherige Lektionen des Lebens überschrieben, es kommt zu einer Verschiebung im Verhältnis zum Denken und zur Welt. Metanoia ist eine fundamentale Transformation des Geistes. Die Hauptrolle kommt dabei der Sprache zu. Sie entwickelt sich „im Rahmen der Möglichkeiten, die in ihrer Verbundenheit mit Denken und Welt besteht und sich ständig verändert. Deswegen sind die Möglichkeiten eines neuen Verstehens immer auch an das Finden und Erfinden einer neuen Sprache gebunden.“(S. 8) Diese neue Form der Sprache macht es natürlich nicht mehr möglich, die eigenen Sätze der Vergangenheit zu verstehen, denn das Verschieben der Bedeutungen führt zur Verschiebung der Realtitäten, „Wenn tatsächlich das `Ganze´ verschoben wird, ändert sich der Sinn aller Teile. Dann ist die Vergangenheit auf einmal nicht mehr das, was war, nicht mehr das, was sie vorher war, sondern das, was als Unverstandenes zurückkommt. Unsere Formel für die nicht einfach realitätsverändernden, sondern realitätsstiftenden Effekte von Metanoia lautet: Das Vorher ist nachher ein anderes.“(S. 9)
Das Buch ist im Umfeld einer neuen Gruppe von Philosophen erschienen, die in den vergangenen Jahren rund um den Begriff des „Spekulativen Realismus“entstanden ist. Unter diesem Titel fand 2007 in London eine Konferenz statt. Dabei kamen Denker zusammen, die Überschneidungen in ihrem Denken in Fragen der Epistemologie und Metaphysik, der ontologischen Fundierung des Denkens und der Konstruktion spekulativer Modelle der Metaphysik aufwiesen. Was waren diese Überschneidungen?
Man arbeitet sich an der Fragestellung ab, ob es eine Realität gibt, die sich indifferent zur menschlichen Erkenntnis verhält. Diese Fragestellung ist wichtig, weil sich im Denken des Westens die Überzeugung durchsetzte, dass unsere Wahrnehmung der Realität immer durch unsere Kultur, Sprache und Geschichte kodiert ist. „Eine Welt an sich, die unabhängig von der Relation ist, die das Denken zu ihr unterhält, lässt sich nicht denken“, bringt Avanessian dieses vorherrschende Denken auf den Punkt. (S. 12)
Realismus Jetzt
Der Sammelband „Realismus jetzt“trägt Beiträge der Denkrichtung zusammen, die mit diesem vorherschenden Postulat unzufrieden sind. Deren wichtigste Vertreter kommen dabei zu Wort: Ray Brassier, Iain Hamilton Grant, Graham Harman und Quentin Meillassoux.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist, dass die gegenwärtigen experimentellen Wissenschaften in der Lage seien, erstmals eine Welt und ein Universum zu beschreiben, das der Entstehung menschlicher Intelligenz vorausgeht. Solche Aussagen, die die Entstehung des Universums, der Welt oder des Menschen datieren, „erfordern deshalb einen spekulativen Materialismus oder Realismus“. Dass man nämlich eine Welt ohne Denken denken kann, bedeute euch, dass es ein Absolutes gibt, das nicht auf das Denken angewiesen sei (S. 13).
Der Sammelband ist starker Tobak für Leserinnen und Leser, die sich zentrale philosophische Begriffe erst aneignen müssen. Er hat aber hohe Relevanz für unser Denken.
Philosophie: Realismus 102 Avanessian, Armen ; Hennig,anke: Metanoia. Berlin: Merve-verl., 2014. 279 S., € 20,- [D],
20,60 [A}, sfr 28,- ; ISBN 978-3-88396-351-8
103 Avanessian, Armen: Realismus Jetzt. Berlin: Merve-verl., 2013. 248 S,
€ 22,- [D], 22,70 [A], sfr 30,80
ISBN 978-3-88396-285-6