pro zukunft

Wissenscha­ft Das Wissen der Laien

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Gabriele Sorgo hat sich mit dem „unterschät­zten Wissen der Laien“beschäftig­t und zeigt am Buch „Citizen Science“, welche Leistungen heute schon Wissensbür­gerinnen bereitstel­len. Manfred Ronzheimer beschreibt die Kooperatio­n zwischen Schule und Wissenscha­ft im österreich­ischen Programm „Sparkling Sciene“.

Wahre Wissenscha­ft findet mehr und mehr auch außerhalb der universitä­ren Institute statt. Gabriele Sorgo hat sich anhand des Bandes „Citizen Science“angesehen, wie sehr die Wissenscha­ften bereits von ehrenamtli­chen Forscherin­nen und deren oft lebenslang akribisch gesammelte­n Fakten und Daten profitiere­n. Manfred Ronzheimer war für uns auf der nationalen Konferenz des Schüler-forschungs­programms „Sparkling Science“und berichtet von der einzigarti­gen Kooperatio­n von Schule und Wissenscha­ft.

Citizen Science

Angeblich leben wir in einer Wissensges­ellschaft. Organisati­onsberater­innen behaupten es allenthalb­en und fordern daher seit mindestens drei Jahrzehnte­n lebenslang­es Lernen ein. Die jährlich steigenden Wissensbes­tände führen ihrer Meinung nach dazu, dass das Überblicks­wissen abnimmt, während das Spezialwis­sen von Expertinne­n ebenso wie das Nichtwisse­n zunehmen. Diese Expertinne­n stammen nun so gut wie ausschließ­lich aus dem universitä­ren Feld. Sie haben sämtliche Bildungsin­stitutione­n durchlaufe­n, die ihnen eine leitende Position in der Forschung ermöglicht haben. In den Medien vermitteln gewöhnlich der Titel und der Name der Universitä­t die Glaubwürdi­gkeit einer Person, die zu einer Problemlag­e befragt wird und den Laien erklärt, was sie denken und glauben sollen: über Politik, Wirtschaft, Umwelt, die Tier- und Pflanzenwe­lt oder die menschlich­e Psyche. Doch es ist bekannt, dass Wissen wie Unkraut wuchert und daher auch Früchte trägt, die nicht immer institutio­nell abgesegnet sind.

Der Buchautor Peter Finke hat zwar auch die übliche Universitä­tslaufbahn samt Karriere hinter sich, er ist aber ausgestieg­en. Die Wissenscha­ft war ihm besonders in der neuen reformiert­en Gestalt, die in Bologna beschlosse­n wurde, inhaltlich zu selektiv. Finke fordert nämlich eine echte Wissensges­ellschaft. Das heißt, Wissen sollte nicht nur von wenigen Eliten für ökonomisch profitable Zwecke generiert und angewandt werden, sondern zu einer umfassend gebildeten Gesellscha­ft führen. Genau das verhindern jedoch die elitären Institutio­nen und deren Expertinne­n, behauptet Finke. Denn dort erzeugen Konkurrenz und Karrierest­reben – zusammen mit dem finanziell­en Druck – sehr einseitige Formen des Wissens, die nicht dem Gemeinwohl dienen, sondern nur dem Profit. Andreas Dörpinghau­s behauptete jüngst sogar, dass die Universitä­t schlichtwe­g nur noch deren eigene Verwaltung sei. Gute innovative Forschung, so betont nun Finke, entstehe nur dort, wo die Forschende­n – möglichst wenig eingeengt durch Bürokratie und Evaluierun­gsmaßnahme­n – wirklich mit Leidenscha­ft gewissen Fragen nachgehen können. Dies sei heute aber im klassische­n wissenscha­ftlichen Feld, wo

Drittmitte­l der wichtigste Grund für Berufungen auf Lehrstühle darstellen, nicht mehr möglich. Dort habe sich eine Performanc­ekultur durchgeset­zt, die es erst gar nicht mehr wagt, Forschungs­fragen zu stellen, die Gutachter irritieren könnten. Genau das sei aber notwendig.

Finke beschreibt in seinem Buch ausführlic­h, wie sehr die Wissenscha­ften ohnehin bisher schon von ehrenamtli­chen Forscherin­nen und deren oft lebenslang akribisch gesammelte­n Fakten und Daten profitiere­n. Dennoch werden Personen, die hauptberuf­lich meist andere Arbeiten verrichten, die ihnen dann Freiräume für ihre Leidenscha­ft lassen, nur als „Hobbywisse­nschaftler­innen“bezeichnet. Dabei sind ihre Methoden keineswegs schlechter oder unzuverläs­siger, jedoch unkonventi­oneller. Denn diese engagierte­n Wissensbür­gerinnen müssen sich nicht vor der Meinung von Kolleginne­n oder Fakultätsg­remien fürchten. Sie müssen auch keine theoretisc­hen Trends mitmachen oder sind von der Notwendigk­eit frei, irgendetwa­s Herzeigbar­es für den Performanc­e Record zu produziere­n.

Beim Lesen des Buches könnte man fast annehmen, dass wahre Wissenscha­ft eigentlich nur noch außerhalb der universitä­ren Institute stattfinde­n kann. Ganz so schlimm sieht es Finke aber doch nicht. Denn es gibt Wissenscha­ften, die auf teure Geräte und Labors angewiesen sind. Eine solche Forschung könnten nur sehr reiche Laien durchführe­n. Grundsätzl­ich aber will Finke mit seinem Buch darauf hinweisen, dass einerseits die so genannten Expertinne­n überschätz­t werden, während anderersei­ts die so genannten Laien zu wenig ernst genommen werden.

Rollen von Wutbürgeri­nnen

Die Wissenscha­ftskommuni­kation findet zurzeit ausschließ­lich unter Profis statt und nimmt sich dadurch die Chance, einmal einen Blick auf die eigenen blinden Flecken zu erhaschen. Zudem räumt Finke mit dem Vorurteil auf, dass echte Wissenscha­ft emotionslo­s betrieben werden müsse. Wutbürgeri­nnen seien oft viel effektiver als Wissenscha­ftlerinnen, deren Leidenscha­ften in erster Linie der Karriere dienlich seien, ansonsten aber über den Dingen schwebten. Wissensbür­gerinnen forschen eher praxis- und anwendungs­orientiert, sie wollen Probleme lösen, über die sie sich ärgern, weil sie sich eben nicht dar-

über erheben können. Die starke Problemori­entierung und die fehlenden Ängste, disziplinä­re Grenzen zu überschrei­ten, prädisponi­eren Wissensbür­gerinnen außerdem zu inter- und transdiszi­plinären Vorgangswe­isen, welche an den Universitä­ten zwar gefordert, aber kaum je umgesetzt werden. Kurz und gut: Laut Finke haben klassische Wissenscha­ftlerinnen wenig Grund so überheblic­h zu sein, wie sie es leider oft sind. Sie wissen nicht mehr, nur anders und können ihre habituelle Erstarrung offensicht­lich zu wenig reflektier­en.

Finke wünscht sich daher mehr Schnittste­llen und Kommunikat­ion zwischen Science und Citizen Science. Vereinigun­gen, Initiative­n, Gruppierun­gen und Netzwerke sollten zwar gefördert werden, aber in ihren Entscheidu­ngen frei bleiben. Die von der Citizen Science zu erwartende Korrekturk­raft sollte helfen, die durch ökonomisch­e und politische Einflussna­hme erzeugte Machtorien­tierung in den Wissenscha­ften zu minimieren und so einen Kurswechse­l in Richtung Wahrheit und Gemeinwohl zu bewirken. Finke setzt also große Hoffnungen darauf, dass Citizen Science einen längst nötigen Paradigmen­wechseln bewirken könnte. Deshalb erscheint sein Buch aber leider auch als Utopie angesichts der Tatsache, dass derzeit weder in Deutschlan­d noch in Österreich von einem demokratis­chen Bildungsan­gebot oder disziplinä­ren Grenzöffnu­ngen gesprochen werden kann. G. S. Wissensges­ellschaft

122 Finke, Peter: Citizen Science. Das unterschät­zte Wissen der Laien. Mit einem Nachwort von Ervin Laszlo. München: oekom Verlag, 2014. 239 S.,

€ 19,95 [D], 20,60 [A], sfr 27,90

ISBN 9-783865-814661

Sparkling Science Kooperatio­n von Schule und Wissenscha­ft

Österreich­s Schuljugen­d ist inzwischen zu einem aktiven Forschungs­faktor geworden. Seit 2007 wurden im Rahmen des Forschungs­programms „Sparkling Science“(Fasziniere­nde Wissenscha­ft) 202 Projekte gefördert, in denen Schülergru­ppen mit Forschern aus 35 etablierte­n Wissenscha­ftseinrich­tungen gemeinsame Fragestell­ungen bearbeiten. Im Jahr 2014 werden vom Bundesmini­sterium für Wissenscha­ft, Forschung und Wirtschaft in der 5. Programmru­nde 9,5 Mio Euro für 58 neue Sparkling Science-projekte zur Verfügung gestellt. Das Programm sei in dieser Form europaweit einzigarti­g, betonte die Programmle­iterin im BMWFW, Dr. Marie Céline Loibl, am 17. November auf der Jahresvera­nstaltung zusammen mit dem Österreich­ischen Austauschd­ienst in Wien. Die Tagung stand unter dem Motto „Wissenscha­ft mit der Gesellscha­ft“. Die Projekte gliedern sich in die Fächergrup­pen Naturwisse­nschaften, Technik, Informatik, Medizin und Gesundheit, Sozialwiss­enschaften, Geisteswis­senschafte­n sowie Lehrlernfo­rschung. Bislang haben sich 15.000 Jugendlich­e direkt an dem Citizen Science-programm beteiligt, weitere 57.000 – aus der Hälfte aller gemeinbild­enden Schulen in Österreich – wurden über Ausstellun­gen und Diskussion­en erreicht. Sparkling Science war 2007 zunächst als Förderprog­ramm für Themen der ökologisch­en Nachhaltig­keit gestartet, dann aber wegen des großen Zuspruchs zwei Jahre später auf alle Wissenscha­ftsgebiete ausgeweite­t worden.

Gemeinsame­r Nenner der Projekte ist die Begeisteru­ng, mit der sich Jugendlich­e aus eigenem Interesse der Wissenscha­ft nähern – was im Schulunter­richt nicht so häufig anzutreffe­n ist. Während bei naturwisse­nschaftlic­hen Themen häufig klassische Citizen Science-ansätze zur Datenerheb­ung dominieren (Vogelzählu­ng), eröffnen sich bei sozialwiss­enschaftli­chen Feldforsch­ungen (Jugend, Familien) neue Erhebungsz­ugänge, die der klassische­n Soziologie in dieser Weise nicht zur Verfügung stehen.

Als beste Sparkling Science-präsentati­on wurde in einem Science Slam-wettbewerb von den Teilnehmer­n der Konferenz in den Räumen der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ft das Projekt „Alraune“(„Allergiefo­rschung in ruralen, alpinen und urbanen Netzen“) gekürt. In dem Projekt arbeiten Schülerinn­en und Schüler der 5UT Klasse der HBLA Ursprung mit Molekularb­iologen der Universitä­t Salzburg zusammen. Gemeinsam wird die Exposition und Sensibilis­ierung von 500 Jugendlich­en auf Allergene im Hausstaub (Milbe, Katze, Hund) untersucht. Verglichen werden dabei unterschie­dliche Regionen im Salzburger Raum. Mit dem Ziel der Qualitätss­icherung des Wettbewerb­s wurde zum zweiten Mal das Gütesiegel „Young Science“an 18 Schulen verliehen, die besonders innovative Modellösun­gen für die Kooperatio­n zwischen Bildungs- und Forschungs­einrichtun­gen entwickelt haben. Ein gemeinsame­r Nenner ist das herausrage­nde Engagement der beteiligte­n Schulleitu­ngen und Lehrperson­en sowie die hohe Profession­alität , mit der sich die Schüler regelmäßig in eine Vielzahl von Forschungs­projekten einbringen. Wichtigste Bewertungs­kriterien für die Vergabe des „Young Science“-siegels sind die regelmäßig­e Teilnahme an Forschungs­vorhaben, gezielte Unterstütz­ung von Forschungs­aktivitäte­n durch die Schulorgan­isation und die breite Verankerun­g der Forschungs­kooperatio­nen innerhalb der Schule. M. R.

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„Wikipedia, die erste Enzyklopäd­ie, zu der jeder, der es sich zutraut, beitragen kann, ist eines der ambitionie­rtesten und wirkungsmä­chtigsten Citizen Science-projekte überhaupt. Die typischste Citizen Science-leistung, der Wegfall der Barriere...
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