Ökonomie Arbeit, Zeit und Maschinen
Die Arbeitswelt ist in rasantem Umbruch. Die Potenziale der Rationalisierung, Digitalisierung und Arbeitsverdichtung sind keineswegs ausgeschöpft. Verbunden werden damit Chancen und neue Risiken. Gesprochen wird von Industrie 4.0 ebenso wie von zunehmende
Die Arbeitswelt ist in rasantem Umbruch. Verbunden werden damit Chancen und neue Risiken. Hans Holzinger stellt Neuerscheinungen zur Zukunft der Arbeit sowie zu Auswegen aus Wachstums- und Beschleunigungszwängen vor.
Intelligente Maschinen?
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Brüsseler Think Tank „Bruegel“kommt zum Schluss, dass in Europa in den nächsten 20 Jahren die Hälfte der Jobs durch Roboter ersetzt werden könnten. Die größten Rationalisierungspotenziale werden naheliegender Weise in osteuropäischen Ländern ausgemacht, aber auch die Eu-wohlstandsländer blieben von weiteren Automatisierungswellen nicht verschont, so die Studienautorinnen. Zu ähnlichen Ergebnissen führten jüngst publizierte Studien aus den USA. Von 702 in den USA untersuchten Berufsgruppen sind 47 Prozent hochgradig durch Computer bedroht: Darunter Kreditanalysten, technische Geologen und Kranführer, Kartografen, Makler und Archivare, so die Studie „Die Zukunft der Beschäftigten“der Oxford-ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne. Zitiert wird sie in dem Zeit-artikel „Ist er besser als wir?“von Roman Pletter (DIE ZEIT 10. 7. 2014). Und in der im Beitrag zitierten Studie „Das zweite Maschinenzeitalter“beschreiben die Mit-spezialisten Erik Byrnjolfson und Andrew Mcafee, was intelligente Computer bereits heute schon können und wie diese die Zukunft der Arbeitswelt verändern werden: nur wenige Menschen, etwa Programmierer, würden vom neuen digitalen Wohlstand profitieren, und viele bislang von Technik nicht bedrohte Berufe würden „unter der neuen Konkurrenz“leiden. Eine neue Computergeneration soll schaffen, was bisher nicht möglich war, nämlich unstrukturierte Texte zu verstehen. Gesprochen wird daher von „alphabetisierten Computern“. Dass ein solches Gerät vor kurzem in der Tv-quizshow Jeopardy in 74 Folgen hintereinander als Sieger hervorgegangen und so 2,5 Millionen Dollar Preisgeld gewonnen hat, ist ein öffentlichkeitswirksames Beispiel für die künstliche Intelligenz, freilich nicht das folgenreichste. Prognostiziert wird, dass intelligente Computer in zahlreichen Branchen Einzug halten und auch qualitativ hochwertige menschliche Arbeit ersetzen werden.
Pletter berichtet von Anwendungen in der Medizin,
etwa der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen, in der Spracherkennung und im Dolmetschbereich oder in der Suche der geeigneten Mitarbeiterinnen für das eigene Unternehmen. Und dass mittels Datenbevorratung zielgruppengenaue Werbung möglich ist, zeigt bereits die jetzige Realität des Online-marketing. Erik Byrnjolfson geht im Gespräch mit dem Journalisten davon aus, dass Technologie jedoch kein Schicksal sei. „Wir können die Technik nutzen, um den Planeten zu zerstören. Oder wir können den Wohlstand teilen“(S. 21), meint er und rät den Staaten dazu, ihren Bürgerinnen ein Grundeinkommen zu gewähren, um sie an den Produktivitätszuwächsen zu beteiligen.
Arbeit: Automatisierung 104 Pletter, Roman: Ist er besser als wir? In: DIE ZEIT v. 10. 7. 2014, S. 19-21
Frei von Arbeit?
„Arbeitsfrei“lautet ganz in diesem Sinne der Titel von Reportagen des Autorenduos Constanze Kurz und Frank Rieger – beide Sprecher des Chaos Computer Clubs. In ihrer „Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“schildern sie, wie Arbeitsfelder bereits jetzt durch Computer automatisiert sind. Im ersten Abschnitt „Vom Bauern zum Brot“geht es um die Automatisierung im Lebensmittelbereich: Ob in modernen Agrarproduktionsstätten mit ausgeklügelten Saat- und Kunstdüngerausbringungssystemen, bei Milchbauern mit Melkrobotern, die täglich an die 8000 Kühe “versorgen“, in modernen Mahl- und Backfabriken, die die früheren Mühlen und Bäckereien abgelöst haben, oder in der Fabrikationsstätte für Mähdrescher – Riesendinger mit Flügelbreiten bis zu 10 Metern und mehr, die weitgehend ohne Menschenhand produziert werden – überall haben die Computer das Kommando übernommen. Beschrieben werden „menschenleere Druckstraßen“, die ohne Setzer auskommen, Erdölraffinerien, die uns das Schmiermittel der gegenwärtigen Wirtschaft beinahe ohne menschlichen Arbeitseinsatz zu Tage fördern, sowie automatisierte Lagerhallen und Transportlogistiken, über die Güter sortiert und für den Verkauf vorbereitet werden.
Im zweiten Abschnitt des Buches werden Beispiele vorgestellt, wie die Computer neue Arbeitsfelder erobern werden: Autos ohne Fahrer, der Einsatz von Telepräsenz und Drohnen, die die alte Fernsteuerung ablösen werden, Roboter, die selbst Roboter bauen sowie schließlich Maschinen, die – wir haben bereits davon gehört – intelligente Leistungen vollbringen werden. Die Computerexperten, die all diese Erneuerungen mit großer Euphorie beschreiben, kommen am Ende darauf zu sprechen, dass Computer schließlich auch jene ersetzen werden, die die Gewinner der derzeitigen Automatisierungsprozesse sind.
Kostengünstige Substitution
Ein wesentliches Merkmal der Ersetzung von Menschen durch Maschinen im Bereich nichtkörperlicher Arbeit ist für das Autorenduo die rasche und kostengünstige Substitution: Einen Menschen vor dem Computer durch ein Programm im Computer zu ersetzen erfordere keine so teuren Investitionen wie in kostenträchtige Roboter und Automatisierungstechnik: „Der Sportredakteur, der heute noch Drittligaspielberichte tippt, kann so schnell, wie es seine Kündigungsfrist erlaubt, durch Software ersetzt werden.“(260f.) Als bereits übliche Praxis nennen Kurz/rieger die vielen kostengünstigen bzw. sogar kostenlosen Software-programme, die es ermöglichen, selbst Websites zu gestalten. Während dies früher Aufgabe von teuren Experten war, würden heute für die meisten Ansprüche Standard-baukastensysteme reichen, „die der Praktikant zusammengeflickt hat“(S. 262). In den Mensch-maschine-symbiosen der Zukunft werde der Mensch häufig nur mehr die nominelle Verantwortung tragen: „Die Illusion von Kontrolle durch einen Menschen soll aufrechterhalten werden, und sei es als Träger der Versicherungspflicht, wie etwa beim selbstfahrenden Auto.“(S. 263). Die Maschinen seien uns in schmalen Feldern schnell überlegen, weil sie auf ungleich größeren Datenmengen operieren können, weitaus schneller rechnen können und auch „nicht müde oder hungrig werden“, sie seien aber auch störanfällig und durch elektronische Attacken angreifbar. Und sie werden – so der Schluss der Autoren – in Zukunft zu noch deutlicheren Machtverstärkern, „die gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse zementieren und verschärfen können“(S. 265). So bleibt es Aufgabe der Menschen, die Produktivitätsfortschritte durch die neuen Technologien allen zugänglich zu machen. Dies nimmt uns kein Computer ab. Arbeit: Automatisierung
105 Kurz, Constanze; Rieger, Frank: Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen. München: Riemann, 2013. 286 S., € 17,99 [D], 18,50 [A], sfr 25,90 ; ISBN 978-3-570-50155-9
Arbeitswelt 2030
Eine auf eine Expertinnen-kommission der Robert-bosch-stiftung zurückgehende Studie „Arbeitswelt 2030“negiert Megatrends wie die Entwicklung zur „Wissens- und Informationsgesellschaft“, die Veränderung der Rohstoffsituation und Energieversorgung oder gesellschaftliche Trends wie „Sensibilisierung für Nachhaltigkeit“, „Feminisierung“, „Individualisierung“oder den möglichen Wertewandel hin zu weniger konsumorientierten Lebensstilen nicht. Der Hauptfokus wird jedoch auf die demografischen Verschiebungen bis zum Jahr2030 gelegt, der – so die Ausgangsthese – Deutschland einen markanten Fachkräftemangel und Probleme in der Finanzierung der Renten bescheren könnte. Ausgegangen wird von einer dramatischen Verschiebung des Altersquotienten, der das Verhältnis der über 65-Jährigen gegenüber den 20- bis 65 Jahren, also jenen im erwerbsfähigen Alter, anzeigt. Dieser werde von heute knapp 35 bis 2030 auf 50 ansteigen (100 Erwerbstätigen stehen dann 50 Seniorinnen gegenüber) und bis 2050 nochmals auf über 60 klettern.
Vor diesem Hintergrund werden Reformnotwendigkeiten in den Bereichen Arbeitsmarkt, Unternehmen, Sozialpartnerschaft, Bildung, Arbeitsrecht und Zukunft der sozialen Sicherung dargelegt. Drei „Politikcluster“dienen dabei als Handlungsrahmen, deren (Wechsel)wirkung analysiert wird: 1) Erhöhung der Erwerbspersonen, möglich durch verstärkten Arbeitsmarktzugang hier lebender Migrantinnen, durch Erhöhung der Nettozuwanderung und/oder der Geburtenrate. 2) Erhöhung des Arbeitsvolumens, möglich durch Ausweitung der Jahres- bzw. Lebensarbeitszeit sowie durch Erhöhung der Beschäftigungsquoten (Verringerung der Arbeitslosigkeit, Verringerung des Teilzeitangebots, Erhöhung der Erwerbsbeteiligung). 3) Steigerung der Arbeitsproduktivität, möglich durch die Erleichterung von Höherqualifizierung, Verbesserung der Arbeitsorganisation und des Lebenslangen Lernens sowie eine Steigerung der Innovationsproduktivität der Unternehmen (Zusammenfassung S. 67f).
Rolle von Bildung
Exemplarisch sei auf die geforderten Anstrengungen im Bereich Bildung eingegangen, denen eine wichtige Funktion zugesprochen wird. Kritik üben die Autorinnen dieses Kapitels an den nach wie vor bestehenden sozialen Ungleichheiten in Bezug auf Bildungschancen. Von bildungsbezogenen Risiken für Heranwachsende
wird dabei gesprochen, wenn beide Elternteile nicht mindestens einen Sekundar-ii-abschluss haben, was derzeit auf 12 Prozent der deutschen Bevölkerung zutreffe. Da „Gelegenheitsstrukturen“und „Verwertbarkeitsaspekte“eine entscheidende Rolle hinsichtlich Aufnahme von Weiterbildungsaktivitäten haben, sei die Erwerbstätigkeit sowie die Bildungsförderung am Arbeitsplatz ein wesentlicher Faktor für den Bildungszugang. Der überproportional hohe Anteil von Migrantinnenkinder in von sozialen und finanziellen Risiken betroffenen Gruppen stelle eine spezielle Herausforderung an das (Weiter)-bildungssystem in den nächsten Jahrzehnten dar.
Allein aufgrund der steigenden Zahl höher qualifizierter Beschäftigter in der Wissensgesellschaft bzw. der wissensbasierten Ökonomie sei in Zukunft mit einer Zunahme der Weiterbildungsteilnahme zu rechnen, so eine weitere These der Studienautorinnen, die von einer „veränderten Rhythmisierung von Bildungszeiten“ausgehen. Nicht mehr die Abfolge Ausbildung – Beruf – Ruhestand werde die Bildungszeiten bestimmen, sondern eine viel stärkere Verteilung von Bildungsaktivitäten auf alle Lebensphasen. Gründe seien die sich rascher verändernden Leistungsanforderungen in der wissensbasierten Ökonomie, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die sich kaum ohne verstärkte Weiterbildungsaktivitäten realisieren lasse, der Anstieg des durchschnittlichen Bildungs- und Qualifikationsniveaus in der Bevölkerung, der auf mittlere Sicht mit einem Anstieg der Weiterbildungsbeteiligung auch in höheren Altersgruppen einhergehe, sowie schließlich neue Bildungsaktivitäten in der nachberuflichen Phase. Voraussichtlich werde das für Bildung aufgewendete Zeitvolumen zunehmen – bei wachsenden Anteilen non-formaler Bildung und informellen Lernens.
Neue Lernumgebungen
Ein weiterer Befund: Aufgrund des demografischen Wandels wird sich der „Innovationsmechanismus“vom „Generationenaustausch“zum „Weiterbildungsbedarf für die bereits Erwerbstätigen“verschieben. Die Unternehmen müssten vermehrt Lernumgebungen gestalten, in denen Lernen und Arbeit miteinander verknüpft sind. „Neben den klassischen Seminaren werden individualisierte kurze Lernangebote benötigt.“(S. 116) Informelle Lernprozesse und damit auch ihre Zertifizierung gewinnen dadurch an Bedeutung. Drittens bedürfe es einer besseren Angebotsverzahnung zwischen formaler und non-formaler Bildung. Insbesondere bräuchten Unternehmen „neue Formen wissenschaftlicher Weiterbildung, welche die Erfahrungen der Beschäftigten mit neuen Wissensbeständen verknüpfen und für ältere Erwerbstätige attraktiv sind“(S. 113). Eine Folge davon sei der Wandel im Verständnis von Universitäten und Hochschulen, die neben Erstausbildungen immer stärker auch Weiterbildungen anbieten müssten. Generell könnte, so ein Fazit der Studie, die Deckung des zusätzlichen Bedarfs an Fachkräften in Zukunft nur gelingen, wenn die „kumulativ aufgebauten Qualifizierungsversäumnisse“überwunden werden. Zitat: „Insbesondere in der beruflichen Weiterbildung muss die Beteiligung älterer und geringqualifizierter Personen sowie von Personen mit Migrationshintergrund massiv erhöht werden.“(S. 120) Unterbelichtet bleiben – so das Resümee des Rezensenten – die wohl benannten Herausforderungen der Rohstoffverknappung und Energieversorgung zum einen sowie eines möglichen Wertewandels hin zu postkonsumistischen Lebensstilen andererseits, die auch eine Zukunftsperspektive mit (bedeutend) weniger Erwerbsarbeit in einer Postwachstumsökonomie (exemplarisch Paech 2012 sowie in dieser PZ, Nr. 107) möglich bzw. nötig machen könnten.
Arbeitswelt: Demografie 106 Arbeitswelt 2030. Trends, Prognosen, Gestaltungsmöglichkeiten. Hrsg. v. Jutta Rump ... Stuttgart: Schäffer-poeschel, 2013. 185 S., € 29,75 [D],
30,60 [A], sfr 40,50 ; ISBN 978-3-7910-3275-7
Zeitwohlstand
„Wie wir anders arbeiten, nachhaltig wirtschaften und besser leben“– dies verspricht ein Band des Konzeptwerk Neue Ökonomie zu „Zeitwohlstand“. Das Team des „jungen Thinktank“mit Sitz in Leipzig (Eigendefinition) lud bekannte Autorinnen wie Hartmut Rosa, Niko Paech, Friederike Habermann und Frigga Haugg zu einer Veranstaltungsreihe ein und machte aus den Beiträgen das vorliegende Buch. Vorgestellt werden Befunde zum steigenden Stress in der Arbeitswelt (so erwartet laut einer Umfrage in Deutschland bei ein bis zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen deren Chef(in), dass sie auch in der Freizeit erreichbar sind), den damit kontrastierenden Zeitwünschen der Bürgerinnen (zwei Drittel der Deutschen sehen als wichtigste Bedingung für Freiheit, selbst über seine eigene Zeit entscheiden zu können, Habermann S. 20f) sowie den ökologischen Schäden des permanent steigenden „Outputs“in einer hochrationalisierten Produktionsmaschinerie. Niko Paech prognostiziert den ökologischen Kollaps
bis spätestens 2050, weite Teile der globalen Mobilität und Industrie werden dann zusammengebrochen sein, dahinter würden aber neue regionale Ökonomien zu blühen beginnen. Während Paech von einem neuen 20:20-Modell hinsichtlich Arbeit ausgeht (je 20 Wochenstunden Erwerbsarbeit und Eigenarbeit für alle), plädiert Frigga Haug für einen 4-Stundentag, der in einer „Vierin-einem-perspektive“neben Erwerbsarbeit auch Zeit für Reproduktionsarbeit, kulturelle Bildung und politisches Engagement für alle lässt. Und jenen, die dies als utopisch oder unrealistisch abtun, antwortet die feministische Sozialforscherin: „Ohne eine Vorstellung, wie eine andere Gesellschaft sein könnte, lässt sich schwer Politik machen.“(S. 33)
Felix Wittmann vom Konzeptwerk Neue Ökonomie plädiert dafür, die Wohlstandsdebatte in die Politik zu tragen. Denn „die Demokratie dient uns Menschen als Mittel, unsere Gesellschaft selbstbestimmt zu gestalten“(S. 76). Er schlägt vor, „Zeiten und Räume für demokratische Beteiligung zu schaffen“, die Mitbestimmung in Betrieben auszuweiten, politische Bildung und mediale Berichterstattung zu verbessern und nicht zuletzt die Instrumente direkter Demokratie auszubauen (S. 81f). Seine Kollegin Lena Kirschenmann führt schließlich ökologische, psychische und soziale Argumente für einen neuen Umgang mit Zeit und Wohlstand aus, wobei sie zeigt, dass allein der Arbeitsmarkt Neujustierungen erfordere. So sei die „Normalarbeit“in Deutschland auf dem Rückzug, die faire Verteilung des Arbeitsvolumens gelinge jedoch nicht. Der Anteil der Teilzeitstellen hat sich von 14 Prozent im Jahr 1991 auf 26,7 Prozent im Jahr 2010 erhöht, der Anteil der geringfügig Beschäftigten sei auf 14,3 Prozent und jener der befristet Beschäftigten auf knapp 10 Prozent angewachsen. Zeit: Arbeitswelt
107 Zeitwohlstand. Wie wir anders arbeiten, nachhaltig wirtschaften und besser leben. Hrsg. v. Konzeptwerk Neue Ökonomie. München: ökom, 2014. 106 S., € 16,95 [D], 17,50 [A], sfr 22,90 ; ISBN 978-3-86581-476-0
Beschleunigungsgesellschaft
Nicht weniger als eine neue „Soziologie der Beschleunigung“verspricht Hartmut Rosa in seinem Essay „Beschleunigung und Entfremdung“. Das Buch sei ein „kurzer Versuch über das moderne Leben“und wolle die Sozialwissenschaften wieder an jene Fragen heranführen, die die Menschen in ihrem Alltag beschäftigen. Es kehre daher zurück zur Frage „nach dem guten Leben – und der Frage danach, warum wir eigentlich kein gutes Leben haben“(S. 7). In einer „Theorie der Beschleunigung“beschreibt Rosa zunächst die technische Beschleunigung, jene des sozialen Wandels sowie jene des Lebenstempos. Er stößt dabei auf fast food, speed dating, power naps oder gar drive-trough funerals, die es den USA bereits geben soll. An Studien der Zeitverwendungsforschung macht der Autor deutlich, dass sich die Zeit in der Tat immer mehr verdichte, obwohl die technische Beschleunigung eigentlich Zeit freisetzen müsste. Als „Motoren der sozialen Beschleunigung“identifiziert Rosa zuallererst das wettbewerbsorientierte kapitalistische Marktsystem, das mit dem Wettbewerb der Nationalstaaten seit der Etablierung des „Westfälischen Systems“nach 1648 begonnen habe und sich heute aus der Perspektive der Individuen fortsetze, „in einem andauernden Konkurrenzkampf um Bildungsabschlüsse und Jobs, Güter zum demonstrativen Konsum, den Erfolg der Kinder, aber auch, und am wichtigsten, darum, einen Partner sowie eine Reihe von Freunden zu finden und zu halten“(S. 37). Dazu kommt nach Rosa ein „kultureller Motor“, da in der säkularen modernen Gesellschaft die Beschleunigung „ein funktionales Äquivalent für die (religiöse) Verheißung eines ewigen Lebens“darstelle (S. 39). Wer doppelt so schnell lebt, könne die Summe der Erfahrungen ebenfalls verdoppeln, so die trügerische Annahme, die jedoch in die Irre führe. Denn: „Dieselben Techniken, die uns dabei helfen, Zeit zu sparen, führen zu einer Explosion der Weltoptionen.“(S. 41)
In der Folge wendet sich Rosa Entschleunigungsstrategien zu, wobei er dysfunktionale oder pathologische Formen der Entschleunigung wie Staus, Depressionserkrankungen oder Langzeitarbeitslosigkeit von „intentionaler Entschleunigung“unterscheidet. Doch auch letztere könne wieder der Beschleunigung dienen, etwa der Einkehraufenthalt im Kloster oder der Yogakurs, die jedoch nur eine „Pause vom Rennen“(S. 50) seien. Anders verhalte es sich bei der „oppositionellen Entschleunigung“, die als Aussteigen aus dem System verstanden wird, was jedoch nur bedingt möglich sei. Mit Paul Virilio u. a. verweist Rosa schließlich auf das Phänomen des „rasenden Stillstands“bzw. der „Erschöpfung utopischer Energien“(S. 53) in den modernen Beschleunigungsgesellschaften.
Anerkennungskampf
Rosa sieht keine grundlegende Abkehr von der Akzelerationsdynamik, vielmehr eine Ablösung
des dynamischen Wandels, der eine Richtung hat und als Fortschritt gedeutet werden könne, hin zu einem ziellosen und rasenden Wandel, der in die Erschöpfung führen muss. Kennzeichen dieser Gesellschaft ohne Richtung seien die Schrumpfung von Raum und Gegenwart, der Verlust eines „Verhältnisses zur Welt der Dinge“, die keine Aura mehr haben (S. 64), aber auch der soziale Wettbewerb. Die „Erschöpfung des Selbst“sieht Rosa vor allem im steigenden Anerkennungskampf begründet, der mit dem intragenerationonalen Tempo des sozialen Wandels zusammenhänge: „Sobald ein Baby geboren wird, entwickeln die Eltern die paranoide Angst, es könne in der einen oder anderen Weise ,zurückgeblieben‘ sein.“(S. 88) Und auch die Politik müsse so verflachen: „Mehrheiten werden durch das Erzeugen und Beeinflussen (spinning) von Ereignissen gewonnen, nicht durch Argumente.“(S. 81) Wähler seien daher heute nicht mehr konservativ, links oder grün, sondern wählen nach der jeweiligen Performance der Parteien und Politikerinnen. Rosa folgert daraus, dass eine „Kritische Theorie der Anerkennungsverhältnisse“mit einer „Kritischen Theorie der Zeitverhältnisse“verknüpft werden müsse (S. 88). Die Demokratie wird laut Rosa auch geschwächt durch eine zunehmende „Desysnchronisation zwischen Politik und der ökonomischen Sphäre“(S. 103), welche durch die zunehmende Pluralisierung weiter verschärft werde (Verlängerung der Willensbildung und Entscheidungsfindung bei gleichzeitig beschleunigtem technologischen Wandel). Die Politik werde daher nicht mehr als Schrittmacher sozialen Wandels wahrgenommen, „progressive Politik“habe vielmehr die Aufgabe, Entschleunigungsbremsen einzubauen, um wieder eine gewisse Kontrolle über die Geschwindigkeit und Richtung des sozialen Wandels zu gewinnen.
Resonanzerfahrungen
Und wie finden wir nun zum guten Leben? Rosa verweist zunächst noch auf einen weiteren Widerspruch. Trotz der massiv gestiegenen Optionenvielfalt befänden wir uns einem bedenklichen Zwangskorsett. „Ich wage zu behaupten“, so der Autor pointiert, „dass nirgendwo außerhalb der westlichen Moderne Alltagspraktiken so konsistent durch den Rückgriff auf eine ,Rhetorik des Müssens‘ strukturiert sind.“(S. 109) Die Liste des Müssens sei lang und ende schließlich mit dem Muss zur Entspannung oder Fitnesstraining, um dem Herzinfarkt oder der Depression zu entgehen. Aufgrund der vielen Optionen und Verpflichtungen fühlten wir uns am Ende des Tages jedoch immer schuldig, weil wir die sozialen Erwartungen nicht genügend erfüllt und die To-do-listen nicht zur Gänze abgearbeitet hätten.
Rosa gelangt schließlich zum „gebrochenen Versprechen der Moderne“(S. 113), dass der Mensch aus Unmündigkeit und Zwängen befreit werde, was so nicht eingetreten sei: „Die Kräfte der Beschleunigung werden nicht länger als befreiend erfahren, sondern als unterdrückerische und permanenten Druck ausübende Macht.“(S. 116)
Hartmut Rosas Essay legt kritische Befunde vor – der Band schließt mit Beobachtungen, wie Beschleunigung auch zur Entfremdung vom Raum, von den Dingen sowie gegenüber den eigenen Handlungen führt – und deutet somit nur indirekt Auswege an. Diese müssen jedoch, das wird deutlich, vornehmlich in politischen Rahmensetzungen liegen, die dem Beschleunigungsdikat entgegenwirken. Und die Richtschnur für ein gutes Leben sieht Rosa in „vielschichtigen Resonanzerfahrungen“(S. 148), die sich in der Beziehung des „Subjekts zur sozialen Welt, zur Welt der Dinge, zur Natur und zur Arbeit ergeben“(ebd.), was auf die emotionale Dimension des In-der-welt-seins verweist und sich rein nutzenmaximierendem Denken entzieht. Beschleunigung: Entfremdung
108 Rosa, Harmut: Beschleunigung und Entfremdung. Frankfurt/m.: Suhrkamp, 2013. 156 S.,
€ 20,- [D], 20,60 [A], sfr 28,90
ISBN 978-3-518-58596-2
Neue Arbeit?
Jenseits soziologischer Befunde zur Arbeitswelt mehren sich freilich auch die Ratgeberbücher, die uns dazu auffordern, den alten Arbeitstrott zu verlassen und uns selbst zu verwirklichen in jener Arbeit, die wir gerne machen. Meist abstrahieren diese Bücher jedoch von den realen Arbeitsverhältnissen nach dem Motto: Jeder kann es schaffen, wenn er/sie es nur will. In diese Kategorie einzustufen ist der Titel „Hört auf zu arbeiten“. Anja Förster und Peter Kreuz wollen den Buchtitel freilich nicht als subversive Ansage gegen die grassierende Arbeitswut verstanden wissen, sondern als Aufforderung, sich selbst kreative Jobs zu schaffen. Die beiden plädieren für eine neue Gründerzeit, die uns blühende Startups in den Kreativbranchen beschert, sie kritisieren das veraltete Schul- und Ausbildungssystem, welches Kreativität im Keim ersticke, sowie veraltete Denkweisen in Unternehmen und Politik. Auch wenn die beiden die Szene der Zukunftsratgeber kritisieren („Leute machen ihr Ding, indem sie Leuten erklären, wie man sein Ding macht“, S. 129), so sind sie selbst nicht frei von der