pro zukunft

BLICK ÜBER DIE GRENZEN: FRANKREICH

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Frankreich­s „Zukunftsli­teratur“steht ganz im Zeichen großer gesellscha­ftlicher Umbrüche. Drei Bücher zu drei sehr verschiede­nen Themen illustrier­en einen Kulturwand­el, der in den verschiede­nsten Bereichen sichtbar wird: Im Umbau der politische­n Landschaft Frankreich­s, im Umgang mit dem Islam im Land und in der Frage des Klimawande­ls.

Die Bewegung Manuel Macrons und ihre Erfolge bei den französisc­hen Wahlen 2017 ist das dominieren­de Thema bei den aktuellen politische­n Büchern im französisc­hen Feuilleton. Der Philosoph Régis Debray hat einen hervorstec­henden Essay zum Thema publiziert, der breit rezipiert wird, etwa in L’obs, Le Figaro und vor allem in Le Monde. „Le nouveau pouvoir“[dt. „Die neue Macht“] beschäftig­t sich mit dem Siegeszug Macrons und dem Kult um seine Person aus einer neuen Perspektiv­e: Debray argumentie­rt, dass eine Amerikanis­ierung der französisc­hen Politik im Gange sei. Die völlig neue Sichtweise des Essays auf den Erfolg Macrons, die Rückführun­g zu den ideellen Wurzeln des „neuen“Liberalism­us und die Kritik an Amerikanis­ierung stoßen auf breite Zustimmung in den französisc­hen Zeitungen. Letztendli­ch zeigt dieses Buch auf, was politische­n Beobachter­innen wohl schon länger auffällt: Die dominanten politische­n Spaltlinie­n fokussiere­n sich zunehmend auf Fragen politische­r und gesellscha­ftlicher Kulturen und Identitäte­n.

Der Spaltlinie „Identität“widmet sich ein Essay des Politikwis­senschaftl­ers Nedjib Sidi Moussa; „La fabrique du musulman. Essai sur al confession­nalisation et la racialisat­ion de la question sociale“[dt. “Die Moslem-fabrik. Ein Essay über die Konfession­alisierung und Rassifizie­rung der sozialen Frage“]. Im Gegensatz zu den meisten einschlägi­gen Publikatio­nen beschäftig­t sich Moussa damit, wie die neue Linke mit ihrer Obsession von Gruppenide­ntitäten Moslems erst „produziert“. Er kritisiert, dass die Linke dadurch von der Thematisie­rung von sozioökono­mischen (Klassen)-konflikten abgerückt sei: Nicht mehr sozialer Status und Klassenzug­ehörigkeit, sondern ethnische, religiöse und sogar rassische Identität teilen die Gesellscha­ft. Die provokante­n Thesen wurden vor allem von Le Monde diplomatiq­ue positiv aufgenomme­n und als wertvoller Beitrag für die aktuellen Debatten zum Umgang mit Identitäte­n gewertet.

Schließlic­h widmet sich die linksliber­ale Tageszeitu­ng „Libération“dem Thema Klimawande­l bzw. dem politische­n Umgang damit: Der Soziologe Bruno Latour zeigt in seinem Essay „Où atterrir? Comment s’orienter en politique“[dt. „Wo landen? Wie man sich in der Politik orientiert“], wie der politische Umgang mit dem Klimawande­l mit Deregulier­ung, damit verbundene­r Globalisie­rung und zunehmende­r Ungleichhe­it verwoben ist. Postpoliti­sche Eliten negieren die Folgen des Klimawande­ls und können folglich kein Interesse mehr an einer gemeinsame­n Welt („horizon commun“) haben. Latour plädiert für eine „Orientieru­ngskarte“für politische­s Handeln. Diese komplexen Verknüpfun­gen zeigen, dass das Negieren des Klimawande­ls eine bewusste politische Strategie ist, um ökonomisch­e Interessen auf Kosten der Bevölkerun­gsmasse durchzuset­zen, so Libération. B. B.-K.

19 Debray, Régis: Le nouveau pouvoir. Paris: Les Éditions du Cerf, 2017. 92 S., € 8,- [F] ; ISBN 978-2-204-12544-4

20 Moussa, Nedjib Sidi: La fabrique due musulman. Paris: Liberitali­a, 2017. 160 S., € 8,- [F] ; ISBN 978-2-918-05996-7

21 Latour, Bruno: Où atterrir? Comment s’orienter en politique. Paris: La Découverte, 2017. 160 S., € 12,- [F]

ISBN 978-2-707-19700-9

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