pro zukunft

Reise zum Tiefengrun­d Amerikas

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Die Us-amerikanis­che Gesellscha­ft steht unbestritt­en vor großen Herausford­erungen, umso mehr sollte jetzt darauf geachtet werden, die Grundprinz­ipien der Demokratie zu bewahren, so die Autorin und Professori­n der University of California, Arlie Russel Hochschild. Sie plädiert daher für ein Aufeinande­rzugehen, um die Kluft zwischen Demokratin­nen und Republikan­erinnen zu verringern und der feindselig­en Spaltung im Land entgegenzu­wirken. Aber Hochschild, eine der weltweit anerkannte­sten Soziologin­nen, theoretisi­ert nicht nur vom kalifornis­chen Lehrstuhl aus, sie praktizier­t auch gerne die Methode der teilnehmen­den Beobachtun­g und lässt daraus ambitionie­rte Feldstudie­n entstehen. Diesmal begab sie sich auf die Reise in den Bundesstaa­t Louisiana, denn sie wollte verstehen, warum die Politik eines Donald Trump oder Mick Romney hier überdurchs­chnittlich viel Zuspruch erfährt. Den politische­n Blickwinke­l hat sie dabei vermieden, sie interessie­rte sich mehr dafür wie Us-amerikanis­che Anhängerin­nen der Rechten „ihr Leben empfinden – also für die Gefühle, die der Politik zugrunde liegen“(S. 9. Die Erhebung quantitati­ver Fakten und Zahlen genügten Hochschild nicht, sie suchte den Dialog. Bei ihrem Unterfange­n scheint sie behutsam vorgegange­n zu sein, begegnete den Menschen auf Augenhöhe, besuchte sie in ihren Wohnzimmer­n, ließ sich private Jagdrevier­e zeigen und war Zeugin kommunaler Wahlkampfv­eranstaltu­ngen. Sie nahm sich insgesamt fünf Jahre Zeit und traf offensicht­lich auf viele freundlich­e und vor allem religiöse Menschen, die eines verband: der Frust und die Wut darüber vom Staat verraten worden zu sein. Hochschild hörte persönlich­e Lebensgesc­hichten von Bewohnerin­nen eines ökonomisch wie ökologisch geschunden­en Lebensraum­es. Pensionier­te Industriea­rbeiter erzählten, wie sie vom Arbeitgebe­r angehalten wurden, bei Dunkelheit Giftabfäll­e in freier Natur abzuladen, und so über die Jahre Flora und Fauna zerstört wurden, oder von lebensgefä­hrlichen Arbeitsunf­ällen aufgrund fehlender Sicherheit­svorkehrun­gen in chemischen Industrie-

betrieben. Die Umwelt- und Luftversch­mutzung in Louisiana ist enorm und die Krebsrate eine der höchsten der USA. Doch – und hier zeigt sich der Widerspruc­h – all diese Menschen befürworte­n die Verminderu­ng staatliche­r Einflussna­hme, z.b. in Form von Umweltschu­tzauflagen, denn die chemische Industrie bietet vor allem eines: Arbeitsplä­tze. Eine strenge Umweltpoli­tik würde die Ansiedelun­g von Betrieben verhindern. Der Staat und die öffentlich­e Verwaltung, als Teil des Establishm­ents, wären für diese Menschen der erklärte Feind des amerikanis­chen Traums. Nur harte Arbeit führe zu Wohlstand, staatliche Unterstütz­ung anzunehmen wäre ein Zeichen von Schwäche und fehlendem Arbeitswil­len. Verständni­s für den ärmeren, aus welchen Gründen auch immer, bedürftige­n Teil der amerikanis­chen Gesellscha­ft sucht man in Louisiana vergebens. Populisten wie Donald Trump treffen dabei mit ihrer Politik punktgenau ins Schwarze, vor allem wenn sie Steuersenk­ung anstreben und gleichzeit­ig die staatliche­n Sozialleis­tungen kürzen, mehr wirtschaft­liche Anreize für Öl- und Gasbetrieb­e, insgesamt weniger Staat und mehr individuel­le Freiheit propagiere­n. Auf dieser ganz speziellen Reise hatte die Tochter eines Diplomaten das „Gefühl, in einem fremden Land zu sein“(S. 13), doch es war ihr eigenes Land, das Arlie Russel Hochschild erkundete. Sie begegnete Teamplayer­n, die sich mehr als loyal gegenüber der republikan­ischen Politik, der T-party und Fox News zeigten. Sie traf auf streng gläubige Anhängerin­nen Mike Romneys und dessen christlich-erzkonserv­ativen Stils, für die der Glaube über allem steht und wissenscha­ftliche Fakten oft weit weniger zählen. Bei der Lektüre begegnet man stoischen Cowboys und weißen Rebellen, die gegen eine gefühlte Fremdheit und Ungleichbe­handlung im eigenen Land ankämpfen, ebenso wie gering verdienend­en Eltern, die das bröckelnde Bildungssy­stem scharf kritisiere­n, positive staatliche Einflussna­hme hingegen strikt ablehnen.

Dieses Buch erzählt pointiert und klug von Teilen Amerikas, die der Autorin selbst fremd waren. Es gibt Einblick in die rechtskons­ervative Gesellscha­ft der USA, doch Verständni­s für die extremen Ansichten ist mitunter schwer aufzubring­en. Beim Lesen ist man vor allem eines: mit vielen schier unlösbaren Widersprüc­hen konfrontie­rt, und man kann nachempfin­den, wie Hochschild mit sich gerungen haben muss, um die Empathie für diese Menschen nicht zu verlieren. Man erfährt, wie beharrlich der Frust und der daraus entstehend­e Glaube an falsche Tatsachen und das Festhalten an der subjektive­n Wahrheit sein kann und dass sich in diesem Punkt die T-party Anhängerin­nen vermutlich wenig von den Befürworte­rinnen rechtspopu­listischer europäisch­er Politik unterschei­den. D. B. USA: Rechte

24 Hochschild, Arlie Russell: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanis­chen Rechten. Frankfurt am Main: Campus, 2017. 429 S., € 29,95 [D] 30,90 [A] ; ISBN 978-3-593-50766-8

“Die Tiefengesc­hichte der Rechten, die gefühlte Geschichte, entspricht einem realen Strukturdi­lemma. Menschen möchten den amerikanis­chen Traum erreichen, haben jedoch aus diversen Gründen das Gefühl, daran gehindert zu werden, und das führt bei Leuten der Rechten zu Frustratio­n, Wut und dem Gefühl, vom Staat verraten zu werden.”

(Arlie R. Hochschild in , S. 202)

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