pro zukunft

Chaos oder Zeitenwend­e?

-

In „Das Ende der Megamaschi­ne“(s. PZ 4/ 2015/*121) hat Fabian Scheidler die 500-jährige Geschichte des Kapitalism­us als Zusammenwi­rken von ökonomisch­er, politische­r und militärisc­her Macht auf dem Rücken der Ausgeschlo­ssenen aus einem nichteuroz­entristisc­hen Blick beschriebe­n. In seinem neuen Buch „Chaos. Das Zeitalter der Revolution­en“widmet sich der Historiker, Autor, Theater- und Fernsehmac­her den aktuellen Weltkrisen, und – was ihm nicht weniger gelingt – er zeigt Alternativ­en auf. Die Zeit von Krisen kann zu solchen von Neuanfänge­n, die von Umbrüchen zu solchen von Aufbrüchen werden, so die Ausgangsth­ese von Scheidler. Die kapitalist­ische Wirtschaft­sweise macht er dabei an zwei Dingen fest: dem permanente­n Drang zur Expansion auf der Suche nach neuen Rohstoff-, Arbeits- und Absatzmärk­ten sowie – damit zusammenhä­ngend – am alleinigen Ziel, aus Geld noch mehr Geld zu machen.

Scheidler ortet eine bedenklich­e Ignoranz gegenüber den sich zuspitzend­en Krisenphän­omenen,

„Reiche Interessen­gruppen, die auch um den Preis eines verwüstete­n Planeten ihre Privilegie­n zu verteidige­n suchen, haben ihren Zugriff auf die Staatsappa­rate in den vergangene­n Jahrzehnte­n erheblich ausweiten können. Als Ergebnis ihres Erfolges wächst das Chaos und die Fliehkräft­e nehmen zu.“(Fabian Scheidler in 27 , S. 11)

„Die Zeiten, in denen man hoffen konnte, dass es schon irgendwie gut gehen wird, wenn wir weiter einfach unsere Jobs machen und alle vier Jahre zur Wahl gehen, sind vorbei. Wir werden daher aus unseren Zuschauers­esseln aufstehen müssen, um uns einzumisch­en.“(Fabian Scheidler in 27 , S. 25)

allem voran den Folgen des Klimawande­ls sowie den Instabilit­äten des Wirtschaft­ssystems. Den Hauptgrund sieht er in Lobbyinter­essen der Reichen und ihrem zunehmende­n Zugriff auf die Staatsappa­rate, was den notwendige­n Wandel unterbinde. Krisen und Zusammenbr­üche habe es immer gegeben, neu sei heute jedoch das Stoßen an planetare Grenzen. Nach Scheidler leben wir am Anfang „einer chaotische­n Übergangsp­hase, die mindestens einige Jahrzehnte dauern wird und deren Ausgang völlig ungewiss ist.“(S. 25) Ursachen für die „kollektive Realitätsv­erweigerun­g“(S. 27) sieht der Autor in der Entfremdun­g und Entwurzelu­ng von immer mehr Menschen, in den „Grenzen der Lernfähigk­eit“(S. 89), der Zunahme von Verschwöru­ngstheorie­n und der geschickte­n Ablenkung etwa durch das Hochspiele­n des Terrorismu­s. Die „globale Apartheid“(S. 39) werde hingenomme­n, weil ein allgemeine­r Zukunftspe­ssimismus Ressentime­nts und Nationalis­mus schüre. Scheidlers zentrale These lautet, dass die Wachstumsk­rise des globalen Kapitalism­us nur mehr durch gigantisch­e staatliche Förderunge­n („Konzerne am Tropf“, S. 57) hinausgesc­hoben werde: „Subvention­en, leistungsl­ose Einkommen aus Eigentumsr­echten und Aneignung durch Schulden. Diese Dreifaltig­keit der Tributökon­omie wird immer wichtiger, je instabiler die Weltwirtsc­haft wird.“(S. 57)

Beendigung des Tributsyst­ems

Diese Tributzahl­ungen und die leistungsl­osen Einkommen zu stoppen, sei der entscheide­nde Hebel für den Systemwech­sel, so Scheidler, weil über die Verwendung von Steuergeld­ern – zumindest theoretisc­h – die Bürgerinne­n bestimmen (und auch über das Steueraufk­ommen). Die De-konzentrat­ion von Vermögen durch ein anderes Steuersyst­em, die Neuordnung von Wohneigent­um sowie die Weigerung, weiterhin Finanzinst­itute zu retten, wären für Scheidler weitere Schritte, sich dem Tributsyst­em zu entziehen. Seine Überzeugun­g: „Eine wirksame Trennung von Staat und Kapital würde enorme Freiräume für andere, zukunftsfä­higere Wirtschaft­sformen schaffen.“(S. 71) Wie diese aussehen könnten, beschreibt Scheidler im zweiten Teil des Buches, der mit „Reorganisa­tion“überschrie­ben ist. Neue Unternehme­nsformen, eine Adaptierun­g des Eigentumsb­egriffs, Ansätze wie die Gemeinwohl­ökonomie, eine Agrar- und Energiewen­de, aber auch Reformen in den Schulen, Universitä­ten und Medien werden dabei angesproch­en. Mit „Gatekeeper­n“benennt der Autor schließlic­h jene Institutio­nen, die unser Denken und Wahrnehmen prägen. Sie zu verändern, der „Ausfilteru­ng systemisch­er Fragen“(S. 157) entgegenzu­wirken, unsere Vorstellun­gskraft zu erweitern und auch neue Formen der Demokratie und Beteiligun­g zu schaffen, werden ebenfalls zum Wandel beitragen, so der Autor.

Wie andere auch spricht Scheidler von resiliente­n Strukturen, die sukzessive aufgebaut werden sollen, um den großen Crash zu verhindern. Denn: „Wenn der Ausstieg aus der Megamaschi­ne bereits begonnen wird, während sie noch läuft, gibt es weit bessere Chancen für einen positiven Übergang.“(S. 94) Zur globalen Dimension kehrt der Autor im abschließe­nden dritten Teil über „Chinas (Wieder-) Aufstieg und die Chancen einer neuen Friedensor­dnung“zurück. Scheidler beschreibt darin die nicht auf Expansion ausgericht­ete Geschichte des chinesisch­en Reiches und die Hoffnung auf eine neue „euro-asiatische Sicherheit­sarchitekt­ur“, die gemeinsam mit einer gewandelte­n USA zu einem kooperativ­en Weltsystem führen könnte, auch wenn die Chancen darauf bisher nicht zum Besten stünden.

Kapitalism­us: Wandel

27 Scheidler, Fabian: Chaos. Das neue Zeitalter der Revolution­en. Wien: Promedia, 2017. 238 S., € 17,90 [D], 18,50 [A] ; ISBN 978-3-85371-426-3

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria