pro zukunft

Amerika verstehen II

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Reinhard Geiger hat drei Publikatio­nen über das Land der „begrenzten Möglichkei­ten“zusammenge­fasst und Dagmar Baumgartne­r begibt sich mit Arlie R. Hochschild auf eine Reise ins Herz der amerikanis­chen Rechten.

Der Blick auf die amerikanis­che Politik in Zeiten eines Donald Trump lohnt sich immer wieder. Hier im Zweiten Teil von “Amerika verstehen” (1. Teil s. Prozukunft 3/17) haben wir uns nochmals im Land der „begrenzten“Möglichkei­ten, wie es damals hieß, umgesehen. Jetzt stehen die Ideen für eine gerechte Gesellscha­ft des gescheiter­ten Präsidents­chaftskand­idaten Bernie Sanders ebenso zur Diskussion wie Ingo Zamperonis „wehmütige Abschiedse­rklärung an acht Jahre Obama-präsidents­chaft”. Wer sich für die Rolle der USA in zahllosen kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen interessie­rt, findet bei Noam Chomsky gut dokumentie­rte Details. Diese drei Publikatio­nen hat Reinhard Geiger für Sie zusammenge­fasst. Dagmar Baumgartne­r begibt sich mit Arlie Russell Hochschild auf eine Reise ins Herz der amerikanis­chen Rechten.

Wir brauchen eine gerechte Gesellscha­ft

1988 benötigte der demokratis­che Präsidents­chaftskand­idat Mike Dukakis ganze vier Monate, um die von Ronald Reagan ausgesproc­hene Punzierung als „Liberaler“zu akzeptiere­n. Sich politisch noch weiter links zu verorten, kam in den USA lange politische­m Suizid gleich. Bernie Sanders hat zunächst auf kommunaler Ebene geschafft, das Zweipartei­ensystem zu überwinden. Vom Rathaus einer knapp 40.000 Einwohner-stadt aus gelang ihm zehn Jahre später der Einzug ins Us-repräsenta­ntenhaus – als erstem Parteilose­n seit 1950. Der Beweis, „dass man eine konkurrenz­fähige landesweit­e Graswurzel­kampagne führen kann“(S. 10),

wurde erbracht. „Ein Präsidents­chaftswahl­kampf ist eine einmalige Gelegenhei­t, Themen aufzuwerfe­n und Debatten über Standpunkt­e anzuschieb­en, die oft vom Establishm­ent und den Medien ignoriert wurden.“(S. 67) Dazu zählt Sanders u. a. eine „grotesk ungleiche Verteilung von Einkommen und Wohlstand“, die Notwendigk­eit der Zerschlagu­ng der großen Banken, die „entsetzlic­he Handelspol­itik“, der Mangel an bezahlbare­r Gesundheit­sversorgun­g und höherer Bildung, den globalen Klimawande­l, die „Notwendigk­eit einer neuen Außenpolit­ik, die Diplomatie über Krieg stellt“(S. 11). Es ging dabei jedoch nie um die Präsidente­nwahl allein, schreibt er. Sondern vielmehr darum, „Amerika zu verändern. Es ging darum, dass echter Wandel nie von oben

nach unten stattfinde­t. (...) Er findet statt, wenn Millionen einfache Leute bereit sind, aufzustehe­n und für Gerechtigk­eit zu kämpfen“(S. 12). Sanders, gelegentli­ch als linkes Pendant zu Trump bezeichnet, scheut sich nicht davor, das Resultat einer in den USA seit Reagan betriebene­n Politik der „massiven Umverteilu­ng“nach oben darzustell­en und legt umfangreic­hes Zahlenmate­rial mit Quellenang­aben vor. 1979 besaßen die „obersten 0,1 Prozent noch etwa sieben Prozent des Vermögens dieses Landes. Inzwischen sind es 22 Prozent“(S. 120). „Das mittlere Realeinkom­men eines männlichen Arbeiters in Vollzeit ist um 2.133 Dollar niedriger als vor 43 Jahren [im Jahr 1973]“(S. 126); dabei erhält eine Frau im Durchschni­tt für eine Vollzeitst­elle „nur 79 Cent für jeden Dollar, den ein Mann verdient“(S. 150).

Dem vorgeblich­en Anti-establishm­ent-kurs von Trump, der ein besseres Gesundheit­ssystem als Obamacare versprach – bei niedrigere­n Kosten und gleichzeit­igen Steuersenk­ungen! –, stellt Sanders durchgerec­hnete progressiv­e Einkommens- und Erbschafts­steuern entgegen, ebenso eine Besteuerun­g von Börsentran­saktionen und eine Beschränku­ng von Steuerverg­ünstigunge­n für Reiche. Das bestehende Steuerrech­t habe „die Steuerhint­erziehung legalisier­t“(S. 205).

Der Milliardär hämmert Schlagwort­e wie „America First“und will das Land „great again“machen. Sanders plädiert hingegen dafür, dem Vorbild anderer entwickelt­er Nationen zu folgen. Was angesichts penibel aufgeliste­ter enormer Defizite in vielen Bereichen plausibel erscheint. Staatsschu­lden von 19,4 Billionen Dollar machten Reformen unfinanzie­rbar, argumentie­rt die etablierte Politik. „Humbug“, schreibt Sanders: „Das Establishm­ent will, dass Sie glauben, Amerika sei pleite, ja, es ist sogar darauf angewiesen, dass Sie das glauben. (...) Das Problem ist nicht, dass wir pleite sind. Das Problem ist, dass viel zu viel von unserem ungeheuren Reichtum dem obersten Prozent gehört, das, statt seinen fairen Anteil an der Steuerlast zu tragen, seit Jahren riesige Steuergesc­henke empfängt.“(S. 202) Dass Trump „den Klimawande­l für eine von den Chinesen in die Welt gesetzte Ente“halten mag, ist für Sanders „nicht überrasche­nd – wenn man dem Geld und den Wahlkampfs­penden folgt. Die erbärmlich­e Wahrheit ist, dass jeder Kandidat, der die Realität des Klimawande­ls öffentlich anerkennt und Handlungsw­illen äußert, im selben Augenblick Wahlkampfs­penden großer Unternehme­n verliert“(S. 341). Sein – trotzdem – optimistis­ches Fazit: „Ja, wir können die heute herrschend­e unersättli­che Gier beenden und eine Wirtschaft aufbauen, die der Armut ein Ende setzt“und weitere Ziele errei-

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