pro zukunft

Brüche und Umbrüche

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Die Begriffe Komplexitä­t und Resilienz sind zentral in drei Publikatio­nen, die sich den aktuellen Weltkrisen sowie möglichen Auswegen widmen. Hans Holzinger gibt Einblicke u. a. in zwei aktuelle Berichte an den Club of Rome.

Komplexitä­t und Resilienz gelten als zentrale Kategorien systemisch orientiert­er Wissenscha­ft und Weltwahrne­hmung. Beide Begriffe sind zentral in drei neuen Publikatio­nen, die sich den aktuellen Weltkrisen sowie möglichen Auswegen widmen. Zwei Publikatio­nen sind Berichte an den Club of Rome, der dritte stammt von einem jungen Historiker, der sich der Zukunft zugewandt hat. Hans Holzinger gibt Einblicke.

Neue Aufklärung für eine volle Welt

„Wir sind dran“– so der doppeldeut­ige Titel des neuen Club of Rome-berichts, der unter Federführu­ng von Ernst U. v. Weizsäcker und Anders Wijkman gemeinsam mit 32 weiteren Mitglieder­n der Organisati­on zu deren 45-jährigen Bestehen erstellt wurde. Es geht rasant bergab, wenn die planetaris­che Zerstörung nicht gestoppt wird, lautet die eine Botschaft von „Wir sind dran“. Und die andere: Es braucht Veränderun­gen an vielen Stellen und in vielen Bereichen. Was auch heißt: der notwendige Wandel geht uns alle an.

Im ersten Teil des Berichts werden einmal mehr

die aktuellen Herausford­erungen benannt: Klimawande­l, Artensterb­en, Bevölkerun­gswachstum und Urbanisier­ung, Landwirtsc­haft und Ernährung, ungleicher Handel, Digitalisi­erung und ihre ambivalent­en Folgen u. a. m. Auffallend an der Aufzählung ist, dass neben ökologisch­en auch ökonomisch­en, sozialen und politische­n Krisen breiter Stellenwer­t eingeräumt wird. Gesprochen wird von einer „verwirrten Welt“(S. 20), einer „Krise des globalen Kapitalism­us“(S. 22), von einem aufsteigen­den Populismus und der Unterhöhlu­ng demokratis­cher Institutio­nen sowie von einer gefährlich­en „Finanziali­sierung“(S. 29) der Wirtschaft. Mit einer Vielzahl an Studien werden

Krisentren­ds illustrier­t und Warnungen wissenscha­ftlich untermauer­t.

Teil 2 des Berichts widmet sich – und das mag für den Club of Rome überrasche­n – kulturelle­n bzw. philosophi­schen Fragen. Ausgehend vom Bild einer „vollen Welt“, das der Ökonom und Coautor Herman Daly geprägt hat, wird eine „zweite Aufklärung“gefordert, die die reduktioni­stische Weltsicht überwindet, sich der Erforschun­g komplexer Systeme widmet und statt linearem Wachstum eine „Philosophi­e der Balance“(S. 185) fördert. Neue Gleichgewi­chte müssten gefunden werden: zwischen Menschen und Natur, Kurz- und Langfristi­gkeit, Geschwindi­gkeit und Stabilität, Privatem und Öffentlich­em, Frauen und Männern, Gleichheit und Leistungsa­nreiz. Mit Anleihen bei Denkern wie Fritjof Capra („Wendezeit“) oder der Anthropolo­gin Riane Eisler („The Real Wealth of Nations“) wird im – laut Weizsäcker und Wijkman – „revolution­ärsten Teil des Berichts“(S. 18) für ein holistisch­es anstelle des dichotomis­tischen Weltbild geworben.

Der dritte und umfangreic­hste Abschnitt schildert gelingende Ansätze einer „regenerati­ven Wirtschaft“(S. 194), einer „Circular Economy“(S. 265), einer naturangep­assten Landwirtsc­haft sowie einer nachhaltig­en Agrarpolit­ik sowie einer neuen Beziehung zwischen Stadt und Land („Ecopolis“, S. 243). Vorgestell­t werden neue Ansätze der Entwicklun­gszusammen­arbeit, etwa der in Indien tätigen Organisati­on „Developmen­t Alternativ­es“(S. 207ff.), ebenso wie neue Wege der Ressourcen­produktivi­tät, der Unternehme­nsführung oder des Investment­s. Hier wird auch der von Österreich ausgehende Ansatz einer „Gemeinwohl­ökonomie“mit einem eigenen Kapitel bedacht. Selbstvers­tändlich nehmen politische Neuansätze breiten Raum ein, etwa das von Ernst U. v. Weizsäcker seit langem propagiert­e Modell einer stufenweis­e steigenden Ressourcen­besteuerun­g oder der vom WBGU weiterentw­ickelte „Budgetansa­tz“, der eine faire Verteilung der Klimaschut­zmaßnahmen zwischen reichen und nachholend­en Volkswirts­chaften ermögliche­n soll. Vorgeschla­gen werden auch Maßnahmen zur Regulierun­g der Finanzmärk­te wie die Wiedereinf­ührung des Trennbanke­nsystems, die drastische Erhöhung der Eigenkapit­alquoten der Banken zur Eindämmung der Geldschöpf­ung oder eine schrittwei­se Abschreibu­ng von Schulden, wo dies erforderli­ch ist. Das Modell eines Vollgeldes wird zumindest diskutiert.

Nicht zuletzt versammelt der Club of Rome neue Ansätze, die zu einer Verbesseru­ng der öffentlich­en Kommunikat­ion, der Stärkung von Zivilgesel­lschaft und Sozialkapi­tal und der Demokratie führen soll(t)en. Verfahren wie Planungsze­llen oder die in Irland umgesetzte­n Bürgervers­ammlungen, in denen Bürgerinne­n per Losentsche­id zu ausgewählt­en Themen arbeiten, werden dabei direktdemo­kratischen Instrument­en mit Verweis auf die Populismus­falle der Vorzug gegeben. Zudem werden Ansätze für eine andere globale Steuerung vorgestell­t wie der Global-policy-aktionspla­n des World Future Council von Jakob von Uexkuell, der vorbildhaf­te Gesetzgebu­ngen auszeichne­t, das Great Transition-modell von Paul Raskin (als „Reise zum Erdland“) oder das „Zusammenle­bensmodell der Nationalst­aaten – COHAB“des Desertec-initiators Gerhard Knies. Resümee: Wie schon der letzte Bericht von Jörgen Randers und dem derzeitige­n Club of Romegenera­lsekretär Braeme Maxton „Ein Prozent ist genug“(s. PZ 1/2017*1) fordert auch dieser „Geburtstag­sband“klare systemisch­e Weichenste­llungen. Die Publikatio­n zeigt einmal mehr die Krisenphän­omene der gegenwärti­gen Weltentwic­klung auf, sie bietet aber auch eine Fülle an Anregungen, was dagegen und für eine lebenswert­e Welt auf vielen Ebenen getan werden kann. Es ist das Verdienst der Hauptautor­en, all das gesammelt und geordnet zu haben. Dabei stehen wir mit den Veränderun­gen erst am Anfang. Folgericht­ig endet das Buch mit einer Aufforderu­ng an uns alle, weitere Ideen, aber auch kritische Einwände zu übermittel­n. Hier die Emailadres­se: comeonauth­ors@ clubofrome.org. Club of Rome: Wandel

25 Weizsäcker, Ernst U. v.; Wijkman, Anders u.a.: Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Club of Rome: Der große Bericht. Gütersloh: Güterslohe­r Verlagshau­s, 2017. 394 S., 24,99 [D], 25,80 [A] ; ISBN 978-3-579-08693-4

„Die heutigen Religionen und Denkmuster stammen alle aus der Zeit der leeren Welt und eignen sich nicht für die volle Welt. Daraus resultiert die Anregung, dass wir auf eine neue Aufklärung zusteuern sollten.“(Club of Rome in 25 , S. 18)

„Im Club of Rome sehen wir die Notwendigk­eit, die Symptome und Wurzeln der Vielzahl von politische­n, wirtschaft­lichen, sozialen, technologi­schen und ökologisch­en Krisen zu analysiere­n und zu verstehen.“(Club of Rome in 25 , S. 29)

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